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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Kant -- unser Führer im Streit

Nun folgt die große Zeit des deutschen Idealismus. Man wurde sich der
stolzen Empfindung ganz bewußt, daß wir als handelnde Wesen teilnehmen an
jener übersinnlichen Welt, zu der unser erkenntnisdmstender Verstand vergebens
hintastet, an jener Welt, in der nicht alles wie in der Welt der Erfahrung
nach dem Zwange des Kausalgesetzes verläuft, sondern in der der Wille frei
schaltet und waltet. Das Vorhandensein des Sittengesetzes in uns verbürgt
uns ja das Bestehen dieser Willensfreiheit. Du kannst, denn du sollst! Fieudig
empfand man, daß es noch etwas anderes im Menschen gab als das nur auf
das eigene Wohl bedachte Triebwesen, etwas Höheres. Absolutes, das nicht
schwankt und wechselt, sondern das unveränderlich die gleiche marmorne Festig¬
keit bewahrt.

Achtung vor der Heiligkeit des Sittengesetzes wurde nun die allgemeine
Triebfeder des Handelns. Aus dem in kleinlichen Sorgen aufgehenden Philister
wurde der unerschrockene Kämpfer für eine Idee, heiße sie nun Wahrheit oder
Freiheit. Der Gedanke des Staates gewinnt Gestalt, und die Idee eines ein¬
zigen deutschen Vaterlandes als eines Absoluten, hinter dem die partikularistischen
Interessen zurückzutreten hatten, kann wieder aufkeimen. Der Tod fürs Vater¬
land bekommt einen neuen Sinn. Noch 1761 war eine Schrift von einem
edlen deutschen Denker erschienen mit dem stolzen Titel "Vom Tode fürs Vater¬
land", die noch ganz im Geiste der Aufklärung gehalten ist und die Schönheit,
ja man könnte ebensogut sagen die Vorteilhaftigkeit des Heldentodes -- beweist:
erwirbt man sich doch so unsterblichen Ruhm! So ehrenwert und im Sinne der
Antike das gedacht sein mag, mit Kant treten wir auf einen unendlich höheren
Boden. Aus dem oft nur schwach verhüllten Egoismus wird reiner Altruis¬
mus, und wie sehr wir mit dem großen Denker von der Aufklärung abrücken,
sehen wir am besten daraus, daß er eine an sich gute Tat geradezu als un¬
sittlich abweist, wenn das Tun uns mit Luft verknüpft ist, so daß Schiller, sein
redegewaltiger Schüler und Bundesgenosse, der seine oft schwerflüssigen Lehren in
die große Masse trug, gar spottet:


Gerne dient' ich den Freunden, ooch tu ich's leider mit Neigung,
Und so wurmt es mich oft, daß ich nicht tugendhaft bin.
Da ist kein anderer Rat. Du mußt suchen, sie zu verachten,
Und mit Abscheu alsdann tun, was die Pflicht dir gebeut.

Vielleicht meinte Kant aber gar nicht, daß eine Handlung mit Unlust verknüpft
sein müsse, um sittlich zu sein. Die Hauptsache war ihm, daß sie aus Achtung
vor dem Sittengesetz geschah, gleichviel ob mit oder gegen Neigung. Man muß,
um die Strenge Kants zu verstehen, sich eben die Anschauungen seiner Zeit
deutlich vor Augen halten, die auch in die edelsten Handlungen den Beweg¬
grund der eigenen Glückseligkeit, wenn auch noch so versteckt, hineinbrachte.

Nun formt Kantischer Geist in den folgenden Jahrzehnten unablässig weiter
Geschlecht auf Geschlecht. Nun entsteht nach dem Verstandesmenschen aus der
Zeit der Aufklärung und nach dem in Gefühlen sich verzehrenden Menschen der


Kant — unser Führer im Streit

Nun folgt die große Zeit des deutschen Idealismus. Man wurde sich der
stolzen Empfindung ganz bewußt, daß wir als handelnde Wesen teilnehmen an
jener übersinnlichen Welt, zu der unser erkenntnisdmstender Verstand vergebens
hintastet, an jener Welt, in der nicht alles wie in der Welt der Erfahrung
nach dem Zwange des Kausalgesetzes verläuft, sondern in der der Wille frei
schaltet und waltet. Das Vorhandensein des Sittengesetzes in uns verbürgt
uns ja das Bestehen dieser Willensfreiheit. Du kannst, denn du sollst! Fieudig
empfand man, daß es noch etwas anderes im Menschen gab als das nur auf
das eigene Wohl bedachte Triebwesen, etwas Höheres. Absolutes, das nicht
schwankt und wechselt, sondern das unveränderlich die gleiche marmorne Festig¬
keit bewahrt.

Achtung vor der Heiligkeit des Sittengesetzes wurde nun die allgemeine
Triebfeder des Handelns. Aus dem in kleinlichen Sorgen aufgehenden Philister
wurde der unerschrockene Kämpfer für eine Idee, heiße sie nun Wahrheit oder
Freiheit. Der Gedanke des Staates gewinnt Gestalt, und die Idee eines ein¬
zigen deutschen Vaterlandes als eines Absoluten, hinter dem die partikularistischen
Interessen zurückzutreten hatten, kann wieder aufkeimen. Der Tod fürs Vater¬
land bekommt einen neuen Sinn. Noch 1761 war eine Schrift von einem
edlen deutschen Denker erschienen mit dem stolzen Titel „Vom Tode fürs Vater¬
land", die noch ganz im Geiste der Aufklärung gehalten ist und die Schönheit,
ja man könnte ebensogut sagen die Vorteilhaftigkeit des Heldentodes — beweist:
erwirbt man sich doch so unsterblichen Ruhm! So ehrenwert und im Sinne der
Antike das gedacht sein mag, mit Kant treten wir auf einen unendlich höheren
Boden. Aus dem oft nur schwach verhüllten Egoismus wird reiner Altruis¬
mus, und wie sehr wir mit dem großen Denker von der Aufklärung abrücken,
sehen wir am besten daraus, daß er eine an sich gute Tat geradezu als un¬
sittlich abweist, wenn das Tun uns mit Luft verknüpft ist, so daß Schiller, sein
redegewaltiger Schüler und Bundesgenosse, der seine oft schwerflüssigen Lehren in
die große Masse trug, gar spottet:


Gerne dient' ich den Freunden, ooch tu ich's leider mit Neigung,
Und so wurmt es mich oft, daß ich nicht tugendhaft bin.
Da ist kein anderer Rat. Du mußt suchen, sie zu verachten,
Und mit Abscheu alsdann tun, was die Pflicht dir gebeut.

Vielleicht meinte Kant aber gar nicht, daß eine Handlung mit Unlust verknüpft
sein müsse, um sittlich zu sein. Die Hauptsache war ihm, daß sie aus Achtung
vor dem Sittengesetz geschah, gleichviel ob mit oder gegen Neigung. Man muß,
um die Strenge Kants zu verstehen, sich eben die Anschauungen seiner Zeit
deutlich vor Augen halten, die auch in die edelsten Handlungen den Beweg¬
grund der eigenen Glückseligkeit, wenn auch noch so versteckt, hineinbrachte.

Nun formt Kantischer Geist in den folgenden Jahrzehnten unablässig weiter
Geschlecht auf Geschlecht. Nun entsteht nach dem Verstandesmenschen aus der
Zeit der Aufklärung und nach dem in Gefühlen sich verzehrenden Menschen der


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[0194] Kant — unser Führer im Streit Nun folgt die große Zeit des deutschen Idealismus. Man wurde sich der stolzen Empfindung ganz bewußt, daß wir als handelnde Wesen teilnehmen an jener übersinnlichen Welt, zu der unser erkenntnisdmstender Verstand vergebens hintastet, an jener Welt, in der nicht alles wie in der Welt der Erfahrung nach dem Zwange des Kausalgesetzes verläuft, sondern in der der Wille frei schaltet und waltet. Das Vorhandensein des Sittengesetzes in uns verbürgt uns ja das Bestehen dieser Willensfreiheit. Du kannst, denn du sollst! Fieudig empfand man, daß es noch etwas anderes im Menschen gab als das nur auf das eigene Wohl bedachte Triebwesen, etwas Höheres. Absolutes, das nicht schwankt und wechselt, sondern das unveränderlich die gleiche marmorne Festig¬ keit bewahrt. Achtung vor der Heiligkeit des Sittengesetzes wurde nun die allgemeine Triebfeder des Handelns. Aus dem in kleinlichen Sorgen aufgehenden Philister wurde der unerschrockene Kämpfer für eine Idee, heiße sie nun Wahrheit oder Freiheit. Der Gedanke des Staates gewinnt Gestalt, und die Idee eines ein¬ zigen deutschen Vaterlandes als eines Absoluten, hinter dem die partikularistischen Interessen zurückzutreten hatten, kann wieder aufkeimen. Der Tod fürs Vater¬ land bekommt einen neuen Sinn. Noch 1761 war eine Schrift von einem edlen deutschen Denker erschienen mit dem stolzen Titel „Vom Tode fürs Vater¬ land", die noch ganz im Geiste der Aufklärung gehalten ist und die Schönheit, ja man könnte ebensogut sagen die Vorteilhaftigkeit des Heldentodes — beweist: erwirbt man sich doch so unsterblichen Ruhm! So ehrenwert und im Sinne der Antike das gedacht sein mag, mit Kant treten wir auf einen unendlich höheren Boden. Aus dem oft nur schwach verhüllten Egoismus wird reiner Altruis¬ mus, und wie sehr wir mit dem großen Denker von der Aufklärung abrücken, sehen wir am besten daraus, daß er eine an sich gute Tat geradezu als un¬ sittlich abweist, wenn das Tun uns mit Luft verknüpft ist, so daß Schiller, sein redegewaltiger Schüler und Bundesgenosse, der seine oft schwerflüssigen Lehren in die große Masse trug, gar spottet: Gerne dient' ich den Freunden, ooch tu ich's leider mit Neigung, Und so wurmt es mich oft, daß ich nicht tugendhaft bin. Da ist kein anderer Rat. Du mußt suchen, sie zu verachten, Und mit Abscheu alsdann tun, was die Pflicht dir gebeut. Vielleicht meinte Kant aber gar nicht, daß eine Handlung mit Unlust verknüpft sein müsse, um sittlich zu sein. Die Hauptsache war ihm, daß sie aus Achtung vor dem Sittengesetz geschah, gleichviel ob mit oder gegen Neigung. Man muß, um die Strenge Kants zu verstehen, sich eben die Anschauungen seiner Zeit deutlich vor Augen halten, die auch in die edelsten Handlungen den Beweg¬ grund der eigenen Glückseligkeit, wenn auch noch so versteckt, hineinbrachte. Nun formt Kantischer Geist in den folgenden Jahrzehnten unablässig weiter Geschlecht auf Geschlecht. Nun entsteht nach dem Verstandesmenschen aus der Zeit der Aufklärung und nach dem in Gefühlen sich verzehrenden Menschen der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/194>, abgerufen am 23.07.2024.