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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Finnlands Befreiung

weniger weit gehen, aber darin scheint Einigkeit zu herrschen, daß das finnische
Volk nicht dazu verurteilt sein darf, sich beständig passiv zugunsten einer fremden
Oberklasse ausbeuten und unterdrücken zu lassen.

Was nun die Arbeiterklasse anbetrifft, so ist sie unerschütterlich entschlossen,
die machthabende russische Bureaukratie, die beständig nach Gelegenheiten zur Unter¬
drückung und Versklavung unseres Volkes ausspäht, zu bekämpfen.

Damit die jetzigen reaktionären Mächte Rußlands aufhören, eine Gefahr
für die Freiheit des finnischen Volkes zu sein, müßte Rußland eine lange politische
und wirtschaftliche Entwicklung durchmachen. Voller Bitterkeit hat die finnische
Arbeiterklasse alle die Hoffaungen, die sie an ihr allgemeines politisches Stimm¬
recht geknüpft, in nichts zerinnen sehen, und dies ist in wesentlichem Maße in¬
folge der Hindernisse geschehen, welche die reaktionären Mächte Rußlands einer
freieren demokratischen Entwicklung in Finnland immerfort in den Weg gelegt
haben und legen. Wenn es auch dem finnischen Volke infolge gelegentlicher
Schwäche der russischen Reaktion glücken sollte, sich politische und soziale Re¬
formen zu erkämpfen, so würde jene Reaktion doch immer die erste beste Ge¬
legenheit, die Gerechtsame der Finnen von neuem zu verkürzen, eifrigst benutzen.
Es wäre also eine Sisyphusarbeit, wenn man einer freieren Entwicklung Finnlands
den Weg bahnen wollte, solange in Rußland noch reaktionäre Elemente herrschen,
die sich wieder auf sie stürzen und sie erdrosseln würden.

Wie die Meinungen im übrigen auch auseinandergehen, eines steht fest:
das in Rußland herrschende reaktionäre System wird nicht einen Mann des
finnischen Proletariates zu sich hinüberziehen können, obgleich es an Versuchen
dazu keineswegs fehlt. Die überwältigende Mehrzahl des finnischen Volkes
besteht auf seinem Rechte, sein staatliches Leben nur nach seiner eigenen Rechts¬
auffassung und seinen eigenen Gesetzen zu führen."

Russisches Regime, es sei nun reaktionär oder liberal, wird nie verstehen
können, daß Finnland sowohl von der Natur wie von der Geschichte zuerst und
zuletzt seinem eigenen Volke geschenkt worden ist. Rußland ist zu nahe mit
Asien verwandt, um den geduldigsten Märtyrer Europas verstehen zu können,
jenen Märtyrer, der seine Kraft aus der unerschütterlichen Überzeugung schöpft,
daß Finnland nie ein lebender Teil Rußlands werden könne.

Zur Befreiung Finnlands gibt es nur einen Weg: den Weltkrieg. Nur
in Verbindung mit der Gestaltung einer gesicherteren Ordnung des Grenzen¬
verhältnisses zwischen Europa und Asien, wohin Rußland eigentlich gehört, kann
Finnlands Schicksal wieder lichter werden. Es ist derselbe Weg, der zu Polens
staatlicher Befreiung geführt hat und auf welchem auch die Ukraine ihre Freiheit
zu erlangen hofft. Dadurch, daß diese Länder einem großen mitteleuropäischen
Staatenbunde beitreten, kann ihre Freiheit von Dauer sein. Auf halbem Wege
stehen bleiben und Finnland dadurch, daß man ihm absolute Selbständigkeit
gibt, von Rußland loszureißen suchen, hieße, es Rußland von neuem als Köder
vorhalten. Finnlands Zukunft läßt sich, gleich der Polens, nur durch Anschluß


Finnlands Befreiung

weniger weit gehen, aber darin scheint Einigkeit zu herrschen, daß das finnische
Volk nicht dazu verurteilt sein darf, sich beständig passiv zugunsten einer fremden
Oberklasse ausbeuten und unterdrücken zu lassen.

Was nun die Arbeiterklasse anbetrifft, so ist sie unerschütterlich entschlossen,
die machthabende russische Bureaukratie, die beständig nach Gelegenheiten zur Unter¬
drückung und Versklavung unseres Volkes ausspäht, zu bekämpfen.

Damit die jetzigen reaktionären Mächte Rußlands aufhören, eine Gefahr
für die Freiheit des finnischen Volkes zu sein, müßte Rußland eine lange politische
und wirtschaftliche Entwicklung durchmachen. Voller Bitterkeit hat die finnische
Arbeiterklasse alle die Hoffaungen, die sie an ihr allgemeines politisches Stimm¬
recht geknüpft, in nichts zerinnen sehen, und dies ist in wesentlichem Maße in¬
folge der Hindernisse geschehen, welche die reaktionären Mächte Rußlands einer
freieren demokratischen Entwicklung in Finnland immerfort in den Weg gelegt
haben und legen. Wenn es auch dem finnischen Volke infolge gelegentlicher
Schwäche der russischen Reaktion glücken sollte, sich politische und soziale Re¬
formen zu erkämpfen, so würde jene Reaktion doch immer die erste beste Ge¬
legenheit, die Gerechtsame der Finnen von neuem zu verkürzen, eifrigst benutzen.
Es wäre also eine Sisyphusarbeit, wenn man einer freieren Entwicklung Finnlands
den Weg bahnen wollte, solange in Rußland noch reaktionäre Elemente herrschen,
die sich wieder auf sie stürzen und sie erdrosseln würden.

Wie die Meinungen im übrigen auch auseinandergehen, eines steht fest:
das in Rußland herrschende reaktionäre System wird nicht einen Mann des
finnischen Proletariates zu sich hinüberziehen können, obgleich es an Versuchen
dazu keineswegs fehlt. Die überwältigende Mehrzahl des finnischen Volkes
besteht auf seinem Rechte, sein staatliches Leben nur nach seiner eigenen Rechts¬
auffassung und seinen eigenen Gesetzen zu führen."

Russisches Regime, es sei nun reaktionär oder liberal, wird nie verstehen
können, daß Finnland sowohl von der Natur wie von der Geschichte zuerst und
zuletzt seinem eigenen Volke geschenkt worden ist. Rußland ist zu nahe mit
Asien verwandt, um den geduldigsten Märtyrer Europas verstehen zu können,
jenen Märtyrer, der seine Kraft aus der unerschütterlichen Überzeugung schöpft,
daß Finnland nie ein lebender Teil Rußlands werden könne.

Zur Befreiung Finnlands gibt es nur einen Weg: den Weltkrieg. Nur
in Verbindung mit der Gestaltung einer gesicherteren Ordnung des Grenzen¬
verhältnisses zwischen Europa und Asien, wohin Rußland eigentlich gehört, kann
Finnlands Schicksal wieder lichter werden. Es ist derselbe Weg, der zu Polens
staatlicher Befreiung geführt hat und auf welchem auch die Ukraine ihre Freiheit
zu erlangen hofft. Dadurch, daß diese Länder einem großen mitteleuropäischen
Staatenbunde beitreten, kann ihre Freiheit von Dauer sein. Auf halbem Wege
stehen bleiben und Finnland dadurch, daß man ihm absolute Selbständigkeit
gibt, von Rußland loszureißen suchen, hieße, es Rußland von neuem als Köder
vorhalten. Finnlands Zukunft läßt sich, gleich der Polens, nur durch Anschluß


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[0185] Finnlands Befreiung weniger weit gehen, aber darin scheint Einigkeit zu herrschen, daß das finnische Volk nicht dazu verurteilt sein darf, sich beständig passiv zugunsten einer fremden Oberklasse ausbeuten und unterdrücken zu lassen. Was nun die Arbeiterklasse anbetrifft, so ist sie unerschütterlich entschlossen, die machthabende russische Bureaukratie, die beständig nach Gelegenheiten zur Unter¬ drückung und Versklavung unseres Volkes ausspäht, zu bekämpfen. Damit die jetzigen reaktionären Mächte Rußlands aufhören, eine Gefahr für die Freiheit des finnischen Volkes zu sein, müßte Rußland eine lange politische und wirtschaftliche Entwicklung durchmachen. Voller Bitterkeit hat die finnische Arbeiterklasse alle die Hoffaungen, die sie an ihr allgemeines politisches Stimm¬ recht geknüpft, in nichts zerinnen sehen, und dies ist in wesentlichem Maße in¬ folge der Hindernisse geschehen, welche die reaktionären Mächte Rußlands einer freieren demokratischen Entwicklung in Finnland immerfort in den Weg gelegt haben und legen. Wenn es auch dem finnischen Volke infolge gelegentlicher Schwäche der russischen Reaktion glücken sollte, sich politische und soziale Re¬ formen zu erkämpfen, so würde jene Reaktion doch immer die erste beste Ge¬ legenheit, die Gerechtsame der Finnen von neuem zu verkürzen, eifrigst benutzen. Es wäre also eine Sisyphusarbeit, wenn man einer freieren Entwicklung Finnlands den Weg bahnen wollte, solange in Rußland noch reaktionäre Elemente herrschen, die sich wieder auf sie stürzen und sie erdrosseln würden. Wie die Meinungen im übrigen auch auseinandergehen, eines steht fest: das in Rußland herrschende reaktionäre System wird nicht einen Mann des finnischen Proletariates zu sich hinüberziehen können, obgleich es an Versuchen dazu keineswegs fehlt. Die überwältigende Mehrzahl des finnischen Volkes besteht auf seinem Rechte, sein staatliches Leben nur nach seiner eigenen Rechts¬ auffassung und seinen eigenen Gesetzen zu führen." Russisches Regime, es sei nun reaktionär oder liberal, wird nie verstehen können, daß Finnland sowohl von der Natur wie von der Geschichte zuerst und zuletzt seinem eigenen Volke geschenkt worden ist. Rußland ist zu nahe mit Asien verwandt, um den geduldigsten Märtyrer Europas verstehen zu können, jenen Märtyrer, der seine Kraft aus der unerschütterlichen Überzeugung schöpft, daß Finnland nie ein lebender Teil Rußlands werden könne. Zur Befreiung Finnlands gibt es nur einen Weg: den Weltkrieg. Nur in Verbindung mit der Gestaltung einer gesicherteren Ordnung des Grenzen¬ verhältnisses zwischen Europa und Asien, wohin Rußland eigentlich gehört, kann Finnlands Schicksal wieder lichter werden. Es ist derselbe Weg, der zu Polens staatlicher Befreiung geführt hat und auf welchem auch die Ukraine ihre Freiheit zu erlangen hofft. Dadurch, daß diese Länder einem großen mitteleuropäischen Staatenbunde beitreten, kann ihre Freiheit von Dauer sein. Auf halbem Wege stehen bleiben und Finnland dadurch, daß man ihm absolute Selbständigkeit gibt, von Rußland loszureißen suchen, hieße, es Rußland von neuem als Köder vorhalten. Finnlands Zukunft läßt sich, gleich der Polens, nur durch Anschluß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/185>, abgerufen am 25.08.2024.