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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Finnlands Befreiung

"Ein aus finnischen Männern zusammengesetzter Senat, der das Vertrauen
des Volkes besäße, würde nichts ausrichten können, wenn das politische System,
das in der Reichsgesetzgebung und der Zuständigkeit des Ministerrates in allen
finnischen Angelegenheiten Ausdruck gefunden, fernerhin beibehalten würde,
wenn auch die Methoden .versöhnlicher' als bisher wären. Es ist daher
einfach nicht möglich, einen Senat -- als wirtschaftliche sowohl wie als Rechts¬
behörde -- aus Männern, die das Vertrauen des Landes genießen, zustande¬
zubringen, wenn die Politik, welche die letzten Jahre gekennzeichnet hat, nicht
gänzlich aufgegeben wird und ihre Gründe nicht beseitigt werden. Was unser
Land anbetrifft, so ist die Hauptsache vollständige Systemveränderung; die Um¬
gestaltung der Verwaltung und des Personales der Behörden erfolgen dann
ganz von selbst als gegebene Wirkung des Ganzen."

Soweit das Hauptstadtblatt. Während des finnischen Verfassungskampfes
in den Jahren 1899 bis 1905 war die Bevölkerung Finnlands in zwei Teile
gespalten, deren Ansichten über die Art und Weise, wie der Kampf gegen das
russische Gewaltregime zu führen sei, weit auseinander gingen. Die konstitutio¬
nellen Parteien -- die schwedische und die jungfinnische -- drangen auf
entschiedenen passiven Widerstand, während die altfinnische den Weg des Nach¬
gebens einschlagen wollte, um dadurch Rußland versöhnlicher gegen Finnland
zu stimmen. Durch diese Spaltung der Volksmeinung wurde der Widerstand
in hohem Grade zugunsten der Verrussungsbestrebungen geschwächt.

Die Politik der Alifinnen nützte nichts. Es war unmöglich, durch Kom¬
promisse in ein freundschaftliches Verhältnis zu Rußland zu gelangen. Als im
Jahre 1908 der Druck von Osten her wieder einsetzte, versuchten die Altsinnen zwar
wieder zur Versöhnung zu raten, erkannten aber bald selbst, daß diese Taktik
aussichtslos war. Der russische Ministerpräsident Stolypin hatte in seiner strengen
Politik gegen Finnland die Majorität der Duma hinter sich, und nun vereinigten
sich endlich alle Parteien des unterdrückten Landes in der Überzeugung, daß die
Konstitutionellen doch recht gehabt hatten. Seitdem hat die allfinnische Partei
sowohl mit den Sozialdemokraten, der gegenwärtigen Mehrheit des finnländischen
Landtages, den die russische Regierung indessen nicht einzuberufen wagt, wie
auch mit der konstitutionellen Partei gemeinsame Sache gemacht, sobald es sich
darum handelt, die vergewaltigten Freiheiten und Rechte des Landes zu schützen.
Mit dem Weltkriege ist die russische Gewaltpolitik gegen Finnland immer ärger
geworden. Das Zwangsregime wird immerfort verschärft, einige der geachtetsten
Männer des Landes -- darunter der frühere Landtagsvorsitzende Svinhufvud --
sind nach Sibirien gebracht, wo sie noch schmachten.

Jetzt steht Finnland einig da und ist bereit, alles für sein Leben zu
wagen, sobald sich eine Aussicht auf Rettung bietet. Die Zeitung der Altfinnen,
"Aufl Suometar", welche früher jede Widerstandspolitik bekämpfte, spricht jetzt
eine ganz andere Sprache und hat neulich der russischen Zeitung "Novoje Wremja",
die beständig Finnland sowohl wie auch Schweden verleumdet und neuerdings


Finnlands Befreiung

„Ein aus finnischen Männern zusammengesetzter Senat, der das Vertrauen
des Volkes besäße, würde nichts ausrichten können, wenn das politische System,
das in der Reichsgesetzgebung und der Zuständigkeit des Ministerrates in allen
finnischen Angelegenheiten Ausdruck gefunden, fernerhin beibehalten würde,
wenn auch die Methoden .versöhnlicher' als bisher wären. Es ist daher
einfach nicht möglich, einen Senat — als wirtschaftliche sowohl wie als Rechts¬
behörde — aus Männern, die das Vertrauen des Landes genießen, zustande¬
zubringen, wenn die Politik, welche die letzten Jahre gekennzeichnet hat, nicht
gänzlich aufgegeben wird und ihre Gründe nicht beseitigt werden. Was unser
Land anbetrifft, so ist die Hauptsache vollständige Systemveränderung; die Um¬
gestaltung der Verwaltung und des Personales der Behörden erfolgen dann
ganz von selbst als gegebene Wirkung des Ganzen."

Soweit das Hauptstadtblatt. Während des finnischen Verfassungskampfes
in den Jahren 1899 bis 1905 war die Bevölkerung Finnlands in zwei Teile
gespalten, deren Ansichten über die Art und Weise, wie der Kampf gegen das
russische Gewaltregime zu führen sei, weit auseinander gingen. Die konstitutio¬
nellen Parteien — die schwedische und die jungfinnische — drangen auf
entschiedenen passiven Widerstand, während die altfinnische den Weg des Nach¬
gebens einschlagen wollte, um dadurch Rußland versöhnlicher gegen Finnland
zu stimmen. Durch diese Spaltung der Volksmeinung wurde der Widerstand
in hohem Grade zugunsten der Verrussungsbestrebungen geschwächt.

Die Politik der Alifinnen nützte nichts. Es war unmöglich, durch Kom¬
promisse in ein freundschaftliches Verhältnis zu Rußland zu gelangen. Als im
Jahre 1908 der Druck von Osten her wieder einsetzte, versuchten die Altsinnen zwar
wieder zur Versöhnung zu raten, erkannten aber bald selbst, daß diese Taktik
aussichtslos war. Der russische Ministerpräsident Stolypin hatte in seiner strengen
Politik gegen Finnland die Majorität der Duma hinter sich, und nun vereinigten
sich endlich alle Parteien des unterdrückten Landes in der Überzeugung, daß die
Konstitutionellen doch recht gehabt hatten. Seitdem hat die allfinnische Partei
sowohl mit den Sozialdemokraten, der gegenwärtigen Mehrheit des finnländischen
Landtages, den die russische Regierung indessen nicht einzuberufen wagt, wie
auch mit der konstitutionellen Partei gemeinsame Sache gemacht, sobald es sich
darum handelt, die vergewaltigten Freiheiten und Rechte des Landes zu schützen.
Mit dem Weltkriege ist die russische Gewaltpolitik gegen Finnland immer ärger
geworden. Das Zwangsregime wird immerfort verschärft, einige der geachtetsten
Männer des Landes — darunter der frühere Landtagsvorsitzende Svinhufvud —
sind nach Sibirien gebracht, wo sie noch schmachten.

Jetzt steht Finnland einig da und ist bereit, alles für sein Leben zu
wagen, sobald sich eine Aussicht auf Rettung bietet. Die Zeitung der Altfinnen,
„Aufl Suometar", welche früher jede Widerstandspolitik bekämpfte, spricht jetzt
eine ganz andere Sprache und hat neulich der russischen Zeitung „Novoje Wremja",
die beständig Finnland sowohl wie auch Schweden verleumdet und neuerdings


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[0181] Finnlands Befreiung „Ein aus finnischen Männern zusammengesetzter Senat, der das Vertrauen des Volkes besäße, würde nichts ausrichten können, wenn das politische System, das in der Reichsgesetzgebung und der Zuständigkeit des Ministerrates in allen finnischen Angelegenheiten Ausdruck gefunden, fernerhin beibehalten würde, wenn auch die Methoden .versöhnlicher' als bisher wären. Es ist daher einfach nicht möglich, einen Senat — als wirtschaftliche sowohl wie als Rechts¬ behörde — aus Männern, die das Vertrauen des Landes genießen, zustande¬ zubringen, wenn die Politik, welche die letzten Jahre gekennzeichnet hat, nicht gänzlich aufgegeben wird und ihre Gründe nicht beseitigt werden. Was unser Land anbetrifft, so ist die Hauptsache vollständige Systemveränderung; die Um¬ gestaltung der Verwaltung und des Personales der Behörden erfolgen dann ganz von selbst als gegebene Wirkung des Ganzen." Soweit das Hauptstadtblatt. Während des finnischen Verfassungskampfes in den Jahren 1899 bis 1905 war die Bevölkerung Finnlands in zwei Teile gespalten, deren Ansichten über die Art und Weise, wie der Kampf gegen das russische Gewaltregime zu führen sei, weit auseinander gingen. Die konstitutio¬ nellen Parteien — die schwedische und die jungfinnische — drangen auf entschiedenen passiven Widerstand, während die altfinnische den Weg des Nach¬ gebens einschlagen wollte, um dadurch Rußland versöhnlicher gegen Finnland zu stimmen. Durch diese Spaltung der Volksmeinung wurde der Widerstand in hohem Grade zugunsten der Verrussungsbestrebungen geschwächt. Die Politik der Alifinnen nützte nichts. Es war unmöglich, durch Kom¬ promisse in ein freundschaftliches Verhältnis zu Rußland zu gelangen. Als im Jahre 1908 der Druck von Osten her wieder einsetzte, versuchten die Altsinnen zwar wieder zur Versöhnung zu raten, erkannten aber bald selbst, daß diese Taktik aussichtslos war. Der russische Ministerpräsident Stolypin hatte in seiner strengen Politik gegen Finnland die Majorität der Duma hinter sich, und nun vereinigten sich endlich alle Parteien des unterdrückten Landes in der Überzeugung, daß die Konstitutionellen doch recht gehabt hatten. Seitdem hat die allfinnische Partei sowohl mit den Sozialdemokraten, der gegenwärtigen Mehrheit des finnländischen Landtages, den die russische Regierung indessen nicht einzuberufen wagt, wie auch mit der konstitutionellen Partei gemeinsame Sache gemacht, sobald es sich darum handelt, die vergewaltigten Freiheiten und Rechte des Landes zu schützen. Mit dem Weltkriege ist die russische Gewaltpolitik gegen Finnland immer ärger geworden. Das Zwangsregime wird immerfort verschärft, einige der geachtetsten Männer des Landes — darunter der frühere Landtagsvorsitzende Svinhufvud — sind nach Sibirien gebracht, wo sie noch schmachten. Jetzt steht Finnland einig da und ist bereit, alles für sein Leben zu wagen, sobald sich eine Aussicht auf Rettung bietet. Die Zeitung der Altfinnen, „Aufl Suometar", welche früher jede Widerstandspolitik bekämpfte, spricht jetzt eine ganz andere Sprache und hat neulich der russischen Zeitung „Novoje Wremja", die beständig Finnland sowohl wie auch Schweden verleumdet und neuerdings

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/181>, abgerufen am 25.08.2024.