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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Finnlands Befreiung

denn die Sprache ist das Leben der Seele, aber das Rauschen ein e-squq
selben Waldes und das Wellengevlatscher ein und desselben Sees singen Finn¬
land in ihr Herz hinein. Das ist Vaterlandsliebe, und das ist nationale
Mystik. Wenn die Streitigkeiten innerhalb eines Landes den Gipfel ihrer Wut
erreicht haben, schwingt sich doch ein Gedanke, ein Gefühl, ein Wille noch höher
empor: die Besorgnis um die unteilbare Einheit des Landes. Wie es in Finn¬
land mit seinen beiden Sprachen oder in Oesterreich-Ungarn mit seinen neun
Sprachen eine solche Einheit geben kann -- das gehört zu den Wundern der
Weltgeschichte. Die Stubengelehrten glauben, das Geheimnis aus ihren sozialen
und politischen Studien herauszulesen, und einigermaßen kommen sie dabei ja
immer ins richtige Geleise, aber der Mensch, der sich der Natur hingibt, hört
Stimmen aus größeren Welten. Wohl keiner der Schweden Finnlands kann
beweisen, daß er zu Finnland gehört, nicht zu Schweden, aber suhlen kann er
es. Als am 3. November 1907 bei einer Debatte in der nrMndischen Ab¬
teilung der Helsingforser Universität das Thema "Skandinavien und Finnland"
besprochen wurde, erklärte Dr. Gunnar Landtman, der Kurator der Abteilung:
"Unter den Schwedischsprechenden Finnlands wird das Sausen des Westwindes
niemals von dem Rauschen der finnischen Wälder übertönt werden. So denken
die aufgewecktesten und gebildetsten Schweden Finnlands. Daher benennen sie
fich selbst und die Finnen mit dem gemeinsamen Namen "Finnländer", während
sie fich Schweden und die anderen Finnen nennen, sobald es gilt, die Rassen-,
Sprachen- und Kulturgegensätze festzustellen.

Es ist also klar, daß die Schweden Finnlands nicht zu Schweden, sondern
zu Finnland gehören. Jegliches Gerede über eine schwedische "Jrredenta" im
Osten des Bodenlöcher Meerbusens wird hinfällig, wenn damit Schwedens
natürliches Recht auf Staatsoberhoheit über die Schweden Finnlands genieint
sein soll. Eine schwedische auswärtige Politik, die darauf ausginge, eine geo¬
graphische Grenzlinie zwischen der schwedischen und finnischen Bevölkerung quer
durch Finnland zu ziehen, um das Gebiet der ersteren Schweden einzuverleiben,
würde von keiner Partei Finnlands gebilligt werden und überdies eine außer¬
ordentlich unvorteilhafte Grenze zwischen Schweden und Rußland schaffen.

Eine andere Möglichkeit wäre ein Zurückgehen auf Schwedens altes ge¬
schichtliches Recht vor 1809. nach welchem fich, wenn Rußland am Ende des
jetzt vor sich gehenden Krieges geschlagen ist, auf eine Wiedervereinigung ganz
Finnlands mit Schweden dringen ließe, fo daß der Ladogasee die strategische
Grenze bildete. Doch eine solche Anordnung brächte Schweden keinen Vorteil,
denn damit würde in unser einheitliches, im großen ganzen emsprachiges Volk
ein gewaltiger, 2^ Millionen zählender Volksstamm, ein fremdsprachiges und
fremdrassiges Volk eingekeilt werden. Der schwere Kampf zwrschen "schwedisch
und Finnisch" würde dann in Schwedens Grenzen hineingetragen. Auch
dürften weder Finnlands Schweden noch Finnlands Finnen eine solche Lö¬
sung wünschen.


Finnlands Befreiung

denn die Sprache ist das Leben der Seele, aber das Rauschen ein e-squq
selben Waldes und das Wellengevlatscher ein und desselben Sees singen Finn¬
land in ihr Herz hinein. Das ist Vaterlandsliebe, und das ist nationale
Mystik. Wenn die Streitigkeiten innerhalb eines Landes den Gipfel ihrer Wut
erreicht haben, schwingt sich doch ein Gedanke, ein Gefühl, ein Wille noch höher
empor: die Besorgnis um die unteilbare Einheit des Landes. Wie es in Finn¬
land mit seinen beiden Sprachen oder in Oesterreich-Ungarn mit seinen neun
Sprachen eine solche Einheit geben kann — das gehört zu den Wundern der
Weltgeschichte. Die Stubengelehrten glauben, das Geheimnis aus ihren sozialen
und politischen Studien herauszulesen, und einigermaßen kommen sie dabei ja
immer ins richtige Geleise, aber der Mensch, der sich der Natur hingibt, hört
Stimmen aus größeren Welten. Wohl keiner der Schweden Finnlands kann
beweisen, daß er zu Finnland gehört, nicht zu Schweden, aber suhlen kann er
es. Als am 3. November 1907 bei einer Debatte in der nrMndischen Ab¬
teilung der Helsingforser Universität das Thema „Skandinavien und Finnland"
besprochen wurde, erklärte Dr. Gunnar Landtman, der Kurator der Abteilung:
„Unter den Schwedischsprechenden Finnlands wird das Sausen des Westwindes
niemals von dem Rauschen der finnischen Wälder übertönt werden. So denken
die aufgewecktesten und gebildetsten Schweden Finnlands. Daher benennen sie
fich selbst und die Finnen mit dem gemeinsamen Namen „Finnländer", während
sie fich Schweden und die anderen Finnen nennen, sobald es gilt, die Rassen-,
Sprachen- und Kulturgegensätze festzustellen.

Es ist also klar, daß die Schweden Finnlands nicht zu Schweden, sondern
zu Finnland gehören. Jegliches Gerede über eine schwedische „Jrredenta" im
Osten des Bodenlöcher Meerbusens wird hinfällig, wenn damit Schwedens
natürliches Recht auf Staatsoberhoheit über die Schweden Finnlands genieint
sein soll. Eine schwedische auswärtige Politik, die darauf ausginge, eine geo¬
graphische Grenzlinie zwischen der schwedischen und finnischen Bevölkerung quer
durch Finnland zu ziehen, um das Gebiet der ersteren Schweden einzuverleiben,
würde von keiner Partei Finnlands gebilligt werden und überdies eine außer¬
ordentlich unvorteilhafte Grenze zwischen Schweden und Rußland schaffen.

Eine andere Möglichkeit wäre ein Zurückgehen auf Schwedens altes ge¬
schichtliches Recht vor 1809. nach welchem fich, wenn Rußland am Ende des
jetzt vor sich gehenden Krieges geschlagen ist, auf eine Wiedervereinigung ganz
Finnlands mit Schweden dringen ließe, fo daß der Ladogasee die strategische
Grenze bildete. Doch eine solche Anordnung brächte Schweden keinen Vorteil,
denn damit würde in unser einheitliches, im großen ganzen emsprachiges Volk
ein gewaltiger, 2^ Millionen zählender Volksstamm, ein fremdsprachiges und
fremdrassiges Volk eingekeilt werden. Der schwere Kampf zwrschen „schwedisch
und Finnisch" würde dann in Schwedens Grenzen hineingetragen. Auch
dürften weder Finnlands Schweden noch Finnlands Finnen eine solche Lö¬
sung wünschen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/179>, abgerufen am 23.07.2024.