Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Konservativismus und Neuorientierung

Partei sicher an die Spitze aller Parteien stellt, sei nunmehr im Begriff, in
greisenhafte Erstarrung und in Impotenz umzuschlagen?j

Niemand-wird erwarten, daß die konservative Partei ihre Hand dazu
reiche, das Reichstagswahlrecht nach Preußen zu übertragen oder sonst dem Land
ein Wahlrecht zu geben, das der gewachsenen Eigenart des preußischen Staates
keine Rechnung trüge. Auch auf das Pochen einer Partei, die für die selbst¬
verständliche Erfüllung ihrer vaterländisch-militärischen Pflicht gewissermaßen den
Lohn einer reißenden Demokratisierung fordert, braucht sie nicht zu hören. Sie
hat von diesen Dingen eine etwas andere Auffassung als jene, die den Staat
immer noch unter dem Schema eines contrat social sehen. Aber gerade wenn
man von der Voraussetzung ausgeht, angesichts mächtiger Zeitströmungen be¬
stünde eine Gefahr zu solch überstürzter Demokratisierung, dann ist die beste
Abwehr auch hier der Hieb, die beste Kritik der positive Gegenvorschlag. Der
preußischen Volksvertretung, so hören wir aus dem Munde des Führers der
Feudalpartei, solle ihr bürgerlicher Charakter erhalten bleiben. So möge auch
der Konservatismus darauf sinnen, wie die positiven, nationalen und organischen
Kräfte des gebildeten und berufstüchttgen Bürgertums in einem dem wahren
Preußentum gemäßen Pluralwahlrecht zu vollkommener Auswirkung gebracht
werden können. Gelegenheit zur Betätigung konservativen Geistes wird sich
dabei reichlich finden, freilich nicht eines solchen, dessen Kräfte nur mehr zu
krampfhaftem Festhalten langen, eines Konservatismus vielmehr, der sich jung
und kräftig und tatenfrisch genug weiß, einer veränderten Welt sein Gepräge
aufzudrücken, eines Konservativismus, der weise genug ist, das Recht zur
Zügelführung nicht nur durch brutale Gewalt zu behaupten, sondern es stets
von neuem durch politische Klugheit und edelmännische Billigkeit von innen her
zu erhärten.




Konservativismus und Neuorientierung

Partei sicher an die Spitze aller Parteien stellt, sei nunmehr im Begriff, in
greisenhafte Erstarrung und in Impotenz umzuschlagen?j

Niemand-wird erwarten, daß die konservative Partei ihre Hand dazu
reiche, das Reichstagswahlrecht nach Preußen zu übertragen oder sonst dem Land
ein Wahlrecht zu geben, das der gewachsenen Eigenart des preußischen Staates
keine Rechnung trüge. Auch auf das Pochen einer Partei, die für die selbst¬
verständliche Erfüllung ihrer vaterländisch-militärischen Pflicht gewissermaßen den
Lohn einer reißenden Demokratisierung fordert, braucht sie nicht zu hören. Sie
hat von diesen Dingen eine etwas andere Auffassung als jene, die den Staat
immer noch unter dem Schema eines contrat social sehen. Aber gerade wenn
man von der Voraussetzung ausgeht, angesichts mächtiger Zeitströmungen be¬
stünde eine Gefahr zu solch überstürzter Demokratisierung, dann ist die beste
Abwehr auch hier der Hieb, die beste Kritik der positive Gegenvorschlag. Der
preußischen Volksvertretung, so hören wir aus dem Munde des Führers der
Feudalpartei, solle ihr bürgerlicher Charakter erhalten bleiben. So möge auch
der Konservatismus darauf sinnen, wie die positiven, nationalen und organischen
Kräfte des gebildeten und berufstüchttgen Bürgertums in einem dem wahren
Preußentum gemäßen Pluralwahlrecht zu vollkommener Auswirkung gebracht
werden können. Gelegenheit zur Betätigung konservativen Geistes wird sich
dabei reichlich finden, freilich nicht eines solchen, dessen Kräfte nur mehr zu
krampfhaftem Festhalten langen, eines Konservatismus vielmehr, der sich jung
und kräftig und tatenfrisch genug weiß, einer veränderten Welt sein Gepräge
aufzudrücken, eines Konservativismus, der weise genug ist, das Recht zur
Zügelführung nicht nur durch brutale Gewalt zu behaupten, sondern es stets
von neuem durch politische Klugheit und edelmännische Billigkeit von innen her
zu erhärten.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0177" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331585"/>
          <fw type="header" place="top"> Konservativismus und Neuorientierung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_548" prev="#ID_547"> Partei sicher an die Spitze aller Parteien stellt, sei nunmehr im Begriff, in<lb/>
greisenhafte Erstarrung und in Impotenz umzuschlagen?j</p><lb/>
          <p xml:id="ID_549"> Niemand-wird erwarten, daß die konservative Partei ihre Hand dazu<lb/>
reiche, das Reichstagswahlrecht nach Preußen zu übertragen oder sonst dem Land<lb/>
ein Wahlrecht zu geben, das der gewachsenen Eigenart des preußischen Staates<lb/>
keine Rechnung trüge. Auch auf das Pochen einer Partei, die für die selbst¬<lb/>
verständliche Erfüllung ihrer vaterländisch-militärischen Pflicht gewissermaßen den<lb/>
Lohn einer reißenden Demokratisierung fordert, braucht sie nicht zu hören. Sie<lb/>
hat von diesen Dingen eine etwas andere Auffassung als jene, die den Staat<lb/>
immer noch unter dem Schema eines contrat social sehen. Aber gerade wenn<lb/>
man von der Voraussetzung ausgeht, angesichts mächtiger Zeitströmungen be¬<lb/>
stünde eine Gefahr zu solch überstürzter Demokratisierung, dann ist die beste<lb/>
Abwehr auch hier der Hieb, die beste Kritik der positive Gegenvorschlag. Der<lb/>
preußischen Volksvertretung, so hören wir aus dem Munde des Führers der<lb/>
Feudalpartei, solle ihr bürgerlicher Charakter erhalten bleiben. So möge auch<lb/>
der Konservatismus darauf sinnen, wie die positiven, nationalen und organischen<lb/>
Kräfte des gebildeten und berufstüchttgen Bürgertums in einem dem wahren<lb/>
Preußentum gemäßen Pluralwahlrecht zu vollkommener Auswirkung gebracht<lb/>
werden können. Gelegenheit zur Betätigung konservativen Geistes wird sich<lb/>
dabei reichlich finden, freilich nicht eines solchen, dessen Kräfte nur mehr zu<lb/>
krampfhaftem Festhalten langen, eines Konservatismus vielmehr, der sich jung<lb/>
und kräftig und tatenfrisch genug weiß, einer veränderten Welt sein Gepräge<lb/>
aufzudrücken, eines Konservativismus, der weise genug ist, das Recht zur<lb/>
Zügelführung nicht nur durch brutale Gewalt zu behaupten, sondern es stets<lb/>
von neuem durch politische Klugheit und edelmännische Billigkeit von innen her<lb/>
zu erhärten.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0177] Konservativismus und Neuorientierung Partei sicher an die Spitze aller Parteien stellt, sei nunmehr im Begriff, in greisenhafte Erstarrung und in Impotenz umzuschlagen?j Niemand-wird erwarten, daß die konservative Partei ihre Hand dazu reiche, das Reichstagswahlrecht nach Preußen zu übertragen oder sonst dem Land ein Wahlrecht zu geben, das der gewachsenen Eigenart des preußischen Staates keine Rechnung trüge. Auch auf das Pochen einer Partei, die für die selbst¬ verständliche Erfüllung ihrer vaterländisch-militärischen Pflicht gewissermaßen den Lohn einer reißenden Demokratisierung fordert, braucht sie nicht zu hören. Sie hat von diesen Dingen eine etwas andere Auffassung als jene, die den Staat immer noch unter dem Schema eines contrat social sehen. Aber gerade wenn man von der Voraussetzung ausgeht, angesichts mächtiger Zeitströmungen be¬ stünde eine Gefahr zu solch überstürzter Demokratisierung, dann ist die beste Abwehr auch hier der Hieb, die beste Kritik der positive Gegenvorschlag. Der preußischen Volksvertretung, so hören wir aus dem Munde des Führers der Feudalpartei, solle ihr bürgerlicher Charakter erhalten bleiben. So möge auch der Konservatismus darauf sinnen, wie die positiven, nationalen und organischen Kräfte des gebildeten und berufstüchttgen Bürgertums in einem dem wahren Preußentum gemäßen Pluralwahlrecht zu vollkommener Auswirkung gebracht werden können. Gelegenheit zur Betätigung konservativen Geistes wird sich dabei reichlich finden, freilich nicht eines solchen, dessen Kräfte nur mehr zu krampfhaftem Festhalten langen, eines Konservatismus vielmehr, der sich jung und kräftig und tatenfrisch genug weiß, einer veränderten Welt sein Gepräge aufzudrücken, eines Konservativismus, der weise genug ist, das Recht zur Zügelführung nicht nur durch brutale Gewalt zu behaupten, sondern es stets von neuem durch politische Klugheit und edelmännische Billigkeit von innen her zu erhärten.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/177
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/177>, abgerufen am 23.07.2024.