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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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ZVilsons Friedensliga

Was Präsident Wilson gegen die Bündnisse der Völker sagt, "die sie in
den Wettbewerb der Mächte hineintreiben", richtet sich augenscheinlich gegen die
Entente, die, wie ihre ganze Geschichte, u. a. die Aufteilung großer Gebiete
Afrikas und Asiens zwischen England und Frankreich und Rußland zeigt, von
Anfang an eine auf Eroberung gerichtete Erwerbsgenossenschaft war -- in
ausdrücklichen Gegensatz zum Dreibund, der nur der Verteidigung gedient hat
und seine Aufgabe, Europa und der Welt den Frieden zu erhalten, solange
erfüllt hat, bis es dem Vierverband gelungen ist, Italien durch die Vorspiegelung
von Eroberungsmöglichkeiten von ihm abwendig zu machen. Diese von Wilson
verurteilte Politik hat der Vierverband auch nach dem Kriegsausbruch noch
fortgesetzt und auf diese Weise durch die Vorspiegelung von Eroberungsmöglich-
keiten das ursprünglich noch neutrale Italien und Rumänien mit in den Krieg
getrieben. Angesichts dieser Politik, deren Ziele die deutschen Diplomaten
natürlich ebenso klar erkannt, wie sie die Diplomaten Belgiens in Berlin er¬
kannt hatten, mußte Deutschland natürlich bei seiner Zentrallage gerüstet sein.
Daß es dabei Maß gehalten hat, haben in früheren Jahren englische Staats¬
männer selbst anerkannt, so noch Lloyd George im Jahre 1908 in einer Rede,
in welcher er dieser zentralen Lage Rechnung trug und ausführte, daß Deutsch¬
land, wenn sein Heer vielleicht auch stärker sei als das Frankreichs, doch
nicht den Zweimächtestandard Englands angestrebt habe, nach welchem die
englische Flotte stets stärker sein müßte als die zwei nächststarken Flotten der
Welt zusammen. Dieses gewiß einwandfreie Zeugnis wird Herrn Wilson
zeigen, an welche Adresse er seine Abrüstungsvorschläge richten kann.

Wenn Wilson schließlich für einen Frieden eintritt "der wert ist, verbürgt
und gewahrt zu werden", so schließt er sich mit diesen Worten, auch fast im
Ausdruck an das vom Reichskanzler von Bethmann-Hollweg mehrfach bekun¬
dete deutsche Kriegsziel an.

Auch das Nationalitätsprinzip. für das Wilson eintritt, ist für Deutsch¬
land, das den Gedanken des Nationalstaates so verwirklicht wie wenige an¬
dere Staaten, nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen, besonders im Ge¬
gensatze zu England und Rußland, die wohl Veranlassung haben, sich darüber
verbindlich zu äußern. Vielleicht könnten wir sogar seiner Ausdehnung aus
unseren kolonialen Besitz zustimmen. Wohl niemand glaubt, das Südwest¬
afrika oder Ostafrika sich bei seiner wirklich freien Abstimmung für England ent¬
scheiden würde. Was aber würde von England und Rußland übrig bleiben,
wenn der Nationalitätsgedanke verwirklicht würde?

Es wäre mehr wie auffällig, wenn sich die deutschen und amerikanischen
Ziele, zumal der Standpunkt ein so verschiedener ist, in allen Punkten decken
würden. Tatsächlich fehlt es auch nicht an Unterschieden, so wenn Wilson für
"den Frieden ohne Sieg" eintritt. Hier ist sein Blick wohl durch falsche theo-
retische Voraussetzungen geblendet. Die Erfahrung der Geschichte zeigt vielmehr,
daß ein Friede ohne Sieg gewöhnlich die Gefahr eines neuen Krieges in sich


ZVilsons Friedensliga

Was Präsident Wilson gegen die Bündnisse der Völker sagt, „die sie in
den Wettbewerb der Mächte hineintreiben", richtet sich augenscheinlich gegen die
Entente, die, wie ihre ganze Geschichte, u. a. die Aufteilung großer Gebiete
Afrikas und Asiens zwischen England und Frankreich und Rußland zeigt, von
Anfang an eine auf Eroberung gerichtete Erwerbsgenossenschaft war — in
ausdrücklichen Gegensatz zum Dreibund, der nur der Verteidigung gedient hat
und seine Aufgabe, Europa und der Welt den Frieden zu erhalten, solange
erfüllt hat, bis es dem Vierverband gelungen ist, Italien durch die Vorspiegelung
von Eroberungsmöglichkeiten von ihm abwendig zu machen. Diese von Wilson
verurteilte Politik hat der Vierverband auch nach dem Kriegsausbruch noch
fortgesetzt und auf diese Weise durch die Vorspiegelung von Eroberungsmöglich-
keiten das ursprünglich noch neutrale Italien und Rumänien mit in den Krieg
getrieben. Angesichts dieser Politik, deren Ziele die deutschen Diplomaten
natürlich ebenso klar erkannt, wie sie die Diplomaten Belgiens in Berlin er¬
kannt hatten, mußte Deutschland natürlich bei seiner Zentrallage gerüstet sein.
Daß es dabei Maß gehalten hat, haben in früheren Jahren englische Staats¬
männer selbst anerkannt, so noch Lloyd George im Jahre 1908 in einer Rede,
in welcher er dieser zentralen Lage Rechnung trug und ausführte, daß Deutsch¬
land, wenn sein Heer vielleicht auch stärker sei als das Frankreichs, doch
nicht den Zweimächtestandard Englands angestrebt habe, nach welchem die
englische Flotte stets stärker sein müßte als die zwei nächststarken Flotten der
Welt zusammen. Dieses gewiß einwandfreie Zeugnis wird Herrn Wilson
zeigen, an welche Adresse er seine Abrüstungsvorschläge richten kann.

Wenn Wilson schließlich für einen Frieden eintritt „der wert ist, verbürgt
und gewahrt zu werden", so schließt er sich mit diesen Worten, auch fast im
Ausdruck an das vom Reichskanzler von Bethmann-Hollweg mehrfach bekun¬
dete deutsche Kriegsziel an.

Auch das Nationalitätsprinzip. für das Wilson eintritt, ist für Deutsch¬
land, das den Gedanken des Nationalstaates so verwirklicht wie wenige an¬
dere Staaten, nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen, besonders im Ge¬
gensatze zu England und Rußland, die wohl Veranlassung haben, sich darüber
verbindlich zu äußern. Vielleicht könnten wir sogar seiner Ausdehnung aus
unseren kolonialen Besitz zustimmen. Wohl niemand glaubt, das Südwest¬
afrika oder Ostafrika sich bei seiner wirklich freien Abstimmung für England ent¬
scheiden würde. Was aber würde von England und Rußland übrig bleiben,
wenn der Nationalitätsgedanke verwirklicht würde?

Es wäre mehr wie auffällig, wenn sich die deutschen und amerikanischen
Ziele, zumal der Standpunkt ein so verschiedener ist, in allen Punkten decken
würden. Tatsächlich fehlt es auch nicht an Unterschieden, so wenn Wilson für
„den Frieden ohne Sieg" eintritt. Hier ist sein Blick wohl durch falsche theo-
retische Voraussetzungen geblendet. Die Erfahrung der Geschichte zeigt vielmehr,
daß ein Friede ohne Sieg gewöhnlich die Gefahr eines neuen Krieges in sich


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[0168] ZVilsons Friedensliga Was Präsident Wilson gegen die Bündnisse der Völker sagt, „die sie in den Wettbewerb der Mächte hineintreiben", richtet sich augenscheinlich gegen die Entente, die, wie ihre ganze Geschichte, u. a. die Aufteilung großer Gebiete Afrikas und Asiens zwischen England und Frankreich und Rußland zeigt, von Anfang an eine auf Eroberung gerichtete Erwerbsgenossenschaft war — in ausdrücklichen Gegensatz zum Dreibund, der nur der Verteidigung gedient hat und seine Aufgabe, Europa und der Welt den Frieden zu erhalten, solange erfüllt hat, bis es dem Vierverband gelungen ist, Italien durch die Vorspiegelung von Eroberungsmöglichkeiten von ihm abwendig zu machen. Diese von Wilson verurteilte Politik hat der Vierverband auch nach dem Kriegsausbruch noch fortgesetzt und auf diese Weise durch die Vorspiegelung von Eroberungsmöglich- keiten das ursprünglich noch neutrale Italien und Rumänien mit in den Krieg getrieben. Angesichts dieser Politik, deren Ziele die deutschen Diplomaten natürlich ebenso klar erkannt, wie sie die Diplomaten Belgiens in Berlin er¬ kannt hatten, mußte Deutschland natürlich bei seiner Zentrallage gerüstet sein. Daß es dabei Maß gehalten hat, haben in früheren Jahren englische Staats¬ männer selbst anerkannt, so noch Lloyd George im Jahre 1908 in einer Rede, in welcher er dieser zentralen Lage Rechnung trug und ausführte, daß Deutsch¬ land, wenn sein Heer vielleicht auch stärker sei als das Frankreichs, doch nicht den Zweimächtestandard Englands angestrebt habe, nach welchem die englische Flotte stets stärker sein müßte als die zwei nächststarken Flotten der Welt zusammen. Dieses gewiß einwandfreie Zeugnis wird Herrn Wilson zeigen, an welche Adresse er seine Abrüstungsvorschläge richten kann. Wenn Wilson schließlich für einen Frieden eintritt „der wert ist, verbürgt und gewahrt zu werden", so schließt er sich mit diesen Worten, auch fast im Ausdruck an das vom Reichskanzler von Bethmann-Hollweg mehrfach bekun¬ dete deutsche Kriegsziel an. Auch das Nationalitätsprinzip. für das Wilson eintritt, ist für Deutsch¬ land, das den Gedanken des Nationalstaates so verwirklicht wie wenige an¬ dere Staaten, nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen, besonders im Ge¬ gensatze zu England und Rußland, die wohl Veranlassung haben, sich darüber verbindlich zu äußern. Vielleicht könnten wir sogar seiner Ausdehnung aus unseren kolonialen Besitz zustimmen. Wohl niemand glaubt, das Südwest¬ afrika oder Ostafrika sich bei seiner wirklich freien Abstimmung für England ent¬ scheiden würde. Was aber würde von England und Rußland übrig bleiben, wenn der Nationalitätsgedanke verwirklicht würde? Es wäre mehr wie auffällig, wenn sich die deutschen und amerikanischen Ziele, zumal der Standpunkt ein so verschiedener ist, in allen Punkten decken würden. Tatsächlich fehlt es auch nicht an Unterschieden, so wenn Wilson für „den Frieden ohne Sieg" eintritt. Hier ist sein Blick wohl durch falsche theo- retische Voraussetzungen geblendet. Die Erfahrung der Geschichte zeigt vielmehr, daß ein Friede ohne Sieg gewöhnlich die Gefahr eines neuen Krieges in sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/168>, abgerufen am 23.07.2024.