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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Trepow und die Kämpfe des Blocks

davon mehr entfernt als je. Wenn die Entente verpflichtet wäre, den Krieg
weiter durchzufechten. bis Rußlands Ehrgeiz gestillt sei, so würde Lord
Northcliffes Prophezeiung von einem weiteren fünfjährigen Krieg wohl zutreffen.
Das wäre aber ein Selbstmord der Zivilisation, und bevor es dazu komme,
würde es eine Revolte der Massen bedeuten. Keine Regierung habe das Recht,
einen solchen Handel mit dem Fleisch und Blut ihrer Bürger abzuschließen.
Rußland verlange, daß das Schwarze Meer sein mare clau8um sein soll.
Der deutsche Traum einer kompakten militärischen Pan - teutonischen Herrschaft
über Zentral-Europa sei ein Märchen, aber dieser panslawistische osteuropäische
Kompakt sei andererseits auch keine notwendige Alternative. Flottenfreiheit für
alle Meerengen und Kanäle der Welt dürfe nicht von dem Willen einer einzigen
Macht abhängen, sondern von einer internationalen Garantie.

Was Frankreich anlangt, so hat noch Heros neulich in einem Gespräche
mit einem Sozialisten als Meinung eines großen Volksteils das Wort zitiert:
"vn 8'su tout ac Loki8tantinopIs, en Trance".

Den Russen werden diese Ausführungen ihrer Verbündeten kaum sehr an¬
genehm in den Ohren klingen. Je weiter gerade während der jetzigen Friedens-
aktionen Deutschlands und der neutralen Staaten die Diskussion der Kriegs¬
ziele der einzelnen Staaten gehen wird, um so mehr wird sich herausstellen,
daß die Trepowsche Rede eine große Dummheit war. Zu bemerken dabei ist
übrigens, daß es Trepow nicht gewagt hat, den Asquithschen Andeutungen zu
folgen und davon zu sprechen, daß England auch den Erwerb von Armenien
in demselben Vertrage Rußland garantiert hat. Vielleicht hatte er das Gefühl,
daß dieses Übermaß der Eroberungen und Beschützung kleiner Nationalitäten
den Neutralen doch zu sehr auf die Nerven gefallen wäre. Die "Nation" sagt
mit Recht: "Wir wünschten, daß Trepow mit derselben Genauigkeit und dem¬
selben Umfange von Phrasen bei der Natur der .Freiheit', welche für das
wiedervereinte Polen vorbehalten ist, verweilt hätte." Von Polen hat Trepow
in der Tat weiter nichts gesagt, als daß es unter dem Zepter Rußlands frei
sein sollte. Das bedeutet also weniger als nichts.

Offenbar wird in einem großen Teile der russischen Öffentlichkeit die Un¬
möglichkeit und Lächerlichkeit derartiger politischer Ziele sür Rußland gefühlt.
Ich verweise vor allem auf das bekannte Buch von Suchanow, dessen Aus¬
führungen gerade über den Punkt Konstantinopel von großem Interesse sind.
Suchanow sagt, daß zunächst im Frieden die Freiheit der Passage der Meer¬
engen jeder Macht, auch Rußland, freistehe, daß für den Krieg aber, selbst für
einen mikroskopischen Feind, die Blockade der Meerengen ohne weiteres möglich
sei. Freiheit der Meerengen sei infolgedessen gar nicht mit dem Besitz not¬
wendig verbunden, denn sehr viele natürliche Meerverbindungen, wie z. B. der
Sund, Belt, Gibraltar, Suez und der Panamakanal seien für die allgemeine
internationale Schiffahrt unabhängig von ihrem Besitz geöffnet. Kuropatkin
hat seinerzeit erklärt, daß es für Rußland "nicht nur nicht vorteilhaft ist, sich


Trepow und die Kämpfe des Blocks

davon mehr entfernt als je. Wenn die Entente verpflichtet wäre, den Krieg
weiter durchzufechten. bis Rußlands Ehrgeiz gestillt sei, so würde Lord
Northcliffes Prophezeiung von einem weiteren fünfjährigen Krieg wohl zutreffen.
Das wäre aber ein Selbstmord der Zivilisation, und bevor es dazu komme,
würde es eine Revolte der Massen bedeuten. Keine Regierung habe das Recht,
einen solchen Handel mit dem Fleisch und Blut ihrer Bürger abzuschließen.
Rußland verlange, daß das Schwarze Meer sein mare clau8um sein soll.
Der deutsche Traum einer kompakten militärischen Pan - teutonischen Herrschaft
über Zentral-Europa sei ein Märchen, aber dieser panslawistische osteuropäische
Kompakt sei andererseits auch keine notwendige Alternative. Flottenfreiheit für
alle Meerengen und Kanäle der Welt dürfe nicht von dem Willen einer einzigen
Macht abhängen, sondern von einer internationalen Garantie.

Was Frankreich anlangt, so hat noch Heros neulich in einem Gespräche
mit einem Sozialisten als Meinung eines großen Volksteils das Wort zitiert:
„vn 8'su tout ac Loki8tantinopIs, en Trance".

Den Russen werden diese Ausführungen ihrer Verbündeten kaum sehr an¬
genehm in den Ohren klingen. Je weiter gerade während der jetzigen Friedens-
aktionen Deutschlands und der neutralen Staaten die Diskussion der Kriegs¬
ziele der einzelnen Staaten gehen wird, um so mehr wird sich herausstellen,
daß die Trepowsche Rede eine große Dummheit war. Zu bemerken dabei ist
übrigens, daß es Trepow nicht gewagt hat, den Asquithschen Andeutungen zu
folgen und davon zu sprechen, daß England auch den Erwerb von Armenien
in demselben Vertrage Rußland garantiert hat. Vielleicht hatte er das Gefühl,
daß dieses Übermaß der Eroberungen und Beschützung kleiner Nationalitäten
den Neutralen doch zu sehr auf die Nerven gefallen wäre. Die „Nation" sagt
mit Recht: „Wir wünschten, daß Trepow mit derselben Genauigkeit und dem¬
selben Umfange von Phrasen bei der Natur der .Freiheit', welche für das
wiedervereinte Polen vorbehalten ist, verweilt hätte." Von Polen hat Trepow
in der Tat weiter nichts gesagt, als daß es unter dem Zepter Rußlands frei
sein sollte. Das bedeutet also weniger als nichts.

Offenbar wird in einem großen Teile der russischen Öffentlichkeit die Un¬
möglichkeit und Lächerlichkeit derartiger politischer Ziele sür Rußland gefühlt.
Ich verweise vor allem auf das bekannte Buch von Suchanow, dessen Aus¬
führungen gerade über den Punkt Konstantinopel von großem Interesse sind.
Suchanow sagt, daß zunächst im Frieden die Freiheit der Passage der Meer¬
engen jeder Macht, auch Rußland, freistehe, daß für den Krieg aber, selbst für
einen mikroskopischen Feind, die Blockade der Meerengen ohne weiteres möglich
sei. Freiheit der Meerengen sei infolgedessen gar nicht mit dem Besitz not¬
wendig verbunden, denn sehr viele natürliche Meerverbindungen, wie z. B. der
Sund, Belt, Gibraltar, Suez und der Panamakanal seien für die allgemeine
internationale Schiffahrt unabhängig von ihrem Besitz geöffnet. Kuropatkin
hat seinerzeit erklärt, daß es für Rußland „nicht nur nicht vorteilhaft ist, sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/16>, abgerufen am 23.07.2024.