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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Finnlands Problem

sah zwischen schwedischen und norwegischen Wesen, während doch sowohl Rassen¬
gemeinschaft wie skandinavisches Stammesgefühl die beiden Völker miteinander
verknüpften, im Jahre 1905 zur Trennung führen konnte, so ist es ja selbst¬
verständlich, daß der Gegensatz zwischen schwedischen und finnischen Wesen,
wobei alle Rassen- und Stammverwandtschaft fehlt, als durchaus reale Macht
im Zeichen der Spaltung steht. Es kommt nun darauf an, ob über einer
solchen Macht noch eine andere steht, welche die auseinanderstrebenden Teile
zusammenhalten kann.

Es wird freilich in Finnland allgemein anerkannt, daß die schwedische
Kultur das Volk aus dem Naturniveau emporgehoben, den finnländischen Staat
rechtlich gefestigt und ihm dadurch auch bei den vielen Niederlagen seit 1898
das Behaupten seiner Rechtsordnung gegen die russische Gewaltherrschaft er¬
möglicht und seinem geistigen Leben durch die schwedische Mission seine pro¬
testantische Frömmigkeit gegeben habe. Hier haben die germanischen Rassen¬
eigenschaften mit ihrer tapferen Tatenlust und ihrem reichen Intellekte einer
hohen Zivilisation Bahn gebrochen, einer Zivilisation, die Finnland heute als
etwas anderes dastehen läßt, denn als einen verwundeten Wilden und es in
der schweren langen Zeit der Not zu dem gebildetsten und darum geduldigsten
Märtyrer Europas gemacht hat. Sogar von ausgeprägt fennomanischer Seite
her versucht man dieses Werk des Schwedentumes nicht zu verkleinern, denn
die Geschichte Finnlands läßt sich nicht willkürlich ändern. Aber man versucht
die heutige Bedeutung des Schwedentums wegzudeuten und den Leuten ein¬
zuschärfen, daß es, seitdem Finnland Kulturland geworden, eigentlich nur ein
dünner Firnis sei, der sich leicht abkratzen und durch rein finnländische Kultur
ersetzen lasse, wenn nur die finnischen Schweden die finnische Sprache an¬
nähmen.

Der Kampf zwischen schwedisch und finnisch gilt dort ausschließlich den
beiden Sprachen und den mit ihnen zusammenhängenden Kulturwerten. Einige
chauvinistische Finnen behaupten, daß es in Finnland zwar schwedischsprechende
Finnen, aber keine Schweden gebe. Letztere verfechten ihrerseits das Recht, sich
zum Unterschiede von den Finnen wirklich Schweden zu nennen, weil sie dem
skandinavischen Zweige der germanischen Rasse angehören, während die Finnen
Mongolen sind. Durch das vorzügliche, von mehreren Schweden Finnlands
herausgegebene Werk "schwedisch in Finnland" erhält man einen guten Ein¬
blick in diesen Kampf der Schweden um ihre Sprache und ihre nationale
Eigenart. Im Einleitungskapitel betont Artur Eklund, daß die finnischen Be¬
strebungen, die darauf ausgehen, das Schwedentum als realen Faktor wegzu-
erklären -- der Verfasser nennt dies "das Hasenpfotensyftem in der Nationalitäts¬
frage" -- sich in letzter Zeit genötigt gesehen haben, einer ganz entgegenge¬
setzten Tendenz, die ebenfalls von Finnen verfochten wird, Raum zu gewähren.
Diese Tendenz bemüht sich, die Eigenschaften der finnischen Rasse im Guten
und Bösen festzustellen, um einen eigenen Typus, ein eigenes Ideal zur Leitung


Finnlands Problem

sah zwischen schwedischen und norwegischen Wesen, während doch sowohl Rassen¬
gemeinschaft wie skandinavisches Stammesgefühl die beiden Völker miteinander
verknüpften, im Jahre 1905 zur Trennung führen konnte, so ist es ja selbst¬
verständlich, daß der Gegensatz zwischen schwedischen und finnischen Wesen,
wobei alle Rassen- und Stammverwandtschaft fehlt, als durchaus reale Macht
im Zeichen der Spaltung steht. Es kommt nun darauf an, ob über einer
solchen Macht noch eine andere steht, welche die auseinanderstrebenden Teile
zusammenhalten kann.

Es wird freilich in Finnland allgemein anerkannt, daß die schwedische
Kultur das Volk aus dem Naturniveau emporgehoben, den finnländischen Staat
rechtlich gefestigt und ihm dadurch auch bei den vielen Niederlagen seit 1898
das Behaupten seiner Rechtsordnung gegen die russische Gewaltherrschaft er¬
möglicht und seinem geistigen Leben durch die schwedische Mission seine pro¬
testantische Frömmigkeit gegeben habe. Hier haben die germanischen Rassen¬
eigenschaften mit ihrer tapferen Tatenlust und ihrem reichen Intellekte einer
hohen Zivilisation Bahn gebrochen, einer Zivilisation, die Finnland heute als
etwas anderes dastehen läßt, denn als einen verwundeten Wilden und es in
der schweren langen Zeit der Not zu dem gebildetsten und darum geduldigsten
Märtyrer Europas gemacht hat. Sogar von ausgeprägt fennomanischer Seite
her versucht man dieses Werk des Schwedentumes nicht zu verkleinern, denn
die Geschichte Finnlands läßt sich nicht willkürlich ändern. Aber man versucht
die heutige Bedeutung des Schwedentums wegzudeuten und den Leuten ein¬
zuschärfen, daß es, seitdem Finnland Kulturland geworden, eigentlich nur ein
dünner Firnis sei, der sich leicht abkratzen und durch rein finnländische Kultur
ersetzen lasse, wenn nur die finnischen Schweden die finnische Sprache an¬
nähmen.

Der Kampf zwischen schwedisch und finnisch gilt dort ausschließlich den
beiden Sprachen und den mit ihnen zusammenhängenden Kulturwerten. Einige
chauvinistische Finnen behaupten, daß es in Finnland zwar schwedischsprechende
Finnen, aber keine Schweden gebe. Letztere verfechten ihrerseits das Recht, sich
zum Unterschiede von den Finnen wirklich Schweden zu nennen, weil sie dem
skandinavischen Zweige der germanischen Rasse angehören, während die Finnen
Mongolen sind. Durch das vorzügliche, von mehreren Schweden Finnlands
herausgegebene Werk „schwedisch in Finnland" erhält man einen guten Ein¬
blick in diesen Kampf der Schweden um ihre Sprache und ihre nationale
Eigenart. Im Einleitungskapitel betont Artur Eklund, daß die finnischen Be¬
strebungen, die darauf ausgehen, das Schwedentum als realen Faktor wegzu-
erklären — der Verfasser nennt dies „das Hasenpfotensyftem in der Nationalitäts¬
frage" — sich in letzter Zeit genötigt gesehen haben, einer ganz entgegenge¬
setzten Tendenz, die ebenfalls von Finnen verfochten wird, Raum zu gewähren.
Diese Tendenz bemüht sich, die Eigenschaften der finnischen Rasse im Guten
und Bösen festzustellen, um einen eigenen Typus, ein eigenes Ideal zur Leitung


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[0152] Finnlands Problem sah zwischen schwedischen und norwegischen Wesen, während doch sowohl Rassen¬ gemeinschaft wie skandinavisches Stammesgefühl die beiden Völker miteinander verknüpften, im Jahre 1905 zur Trennung führen konnte, so ist es ja selbst¬ verständlich, daß der Gegensatz zwischen schwedischen und finnischen Wesen, wobei alle Rassen- und Stammverwandtschaft fehlt, als durchaus reale Macht im Zeichen der Spaltung steht. Es kommt nun darauf an, ob über einer solchen Macht noch eine andere steht, welche die auseinanderstrebenden Teile zusammenhalten kann. Es wird freilich in Finnland allgemein anerkannt, daß die schwedische Kultur das Volk aus dem Naturniveau emporgehoben, den finnländischen Staat rechtlich gefestigt und ihm dadurch auch bei den vielen Niederlagen seit 1898 das Behaupten seiner Rechtsordnung gegen die russische Gewaltherrschaft er¬ möglicht und seinem geistigen Leben durch die schwedische Mission seine pro¬ testantische Frömmigkeit gegeben habe. Hier haben die germanischen Rassen¬ eigenschaften mit ihrer tapferen Tatenlust und ihrem reichen Intellekte einer hohen Zivilisation Bahn gebrochen, einer Zivilisation, die Finnland heute als etwas anderes dastehen läßt, denn als einen verwundeten Wilden und es in der schweren langen Zeit der Not zu dem gebildetsten und darum geduldigsten Märtyrer Europas gemacht hat. Sogar von ausgeprägt fennomanischer Seite her versucht man dieses Werk des Schwedentumes nicht zu verkleinern, denn die Geschichte Finnlands läßt sich nicht willkürlich ändern. Aber man versucht die heutige Bedeutung des Schwedentums wegzudeuten und den Leuten ein¬ zuschärfen, daß es, seitdem Finnland Kulturland geworden, eigentlich nur ein dünner Firnis sei, der sich leicht abkratzen und durch rein finnländische Kultur ersetzen lasse, wenn nur die finnischen Schweden die finnische Sprache an¬ nähmen. Der Kampf zwischen schwedisch und finnisch gilt dort ausschließlich den beiden Sprachen und den mit ihnen zusammenhängenden Kulturwerten. Einige chauvinistische Finnen behaupten, daß es in Finnland zwar schwedischsprechende Finnen, aber keine Schweden gebe. Letztere verfechten ihrerseits das Recht, sich zum Unterschiede von den Finnen wirklich Schweden zu nennen, weil sie dem skandinavischen Zweige der germanischen Rasse angehören, während die Finnen Mongolen sind. Durch das vorzügliche, von mehreren Schweden Finnlands herausgegebene Werk „schwedisch in Finnland" erhält man einen guten Ein¬ blick in diesen Kampf der Schweden um ihre Sprache und ihre nationale Eigenart. Im Einleitungskapitel betont Artur Eklund, daß die finnischen Be¬ strebungen, die darauf ausgehen, das Schwedentum als realen Faktor wegzu- erklären — der Verfasser nennt dies „das Hasenpfotensyftem in der Nationalitäts¬ frage" — sich in letzter Zeit genötigt gesehen haben, einer ganz entgegenge¬ setzten Tendenz, die ebenfalls von Finnen verfochten wird, Raum zu gewähren. Diese Tendenz bemüht sich, die Eigenschaften der finnischen Rasse im Guten und Bösen festzustellen, um einen eigenen Typus, ein eigenes Ideal zur Leitung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/152>, abgerufen am 23.07.2024.