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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Die Deutsche Theologie

Bleibt nun aber die Forderung von der notwendigen Vereinigung des
Menschen mit Gott nur eine bloß für wahr gehaltene Lehre, so besteht die große
Gefahr, daß der Mensch die Folgerungen aus dem von ihm vorausgesetzten Handeln
vorwegnimmt, d. h. daß er glaubt, Gott gleich zu sein, obwohl er es nicht ist.
Die Folge davon ist dann ein unerträglicher geistlicher Hochmut und ein
Schwelgen in vermeintlicher Vollkommenheit. In Wirklichkeit aber ist der
Mensch Gott um so weniger ähnlich, je mehr er sich einbildet es zu sein;
denn er kann hinnieden nie Vollkommenheit erreichen, nur danach streben.

Warum aber hat nun Gott eine Welt mit der Möglichkeit des Unrecht¬
tuns geschaffen? Konnte er nicht vielmehr in ungetrübter Seligkeit dahin¬
leben, ohne sich sozusagen mit Geschöpfen herumärgern zu müssen, die ihm
doch immer und immer widerstreben? Der Deutschherr antwortet uns darauf,
daß Gott ohne Welt ein Nichts sei -- wohlverstanden sei. Denn so lange
außer Gott nichts anderes vorhanden war, konnte Gott gar keine Eigen¬
schaften haben; denn Eigenschaften sind nur Unterschiede von oder Beziehungen
zu andern Dingen, und andere Dinge gab's eben noch nicht. Gott konnte also erst
ein Etwas werden, wenn es außer ihm noch etwas anderes gab, und er mußte also
eine Welt schaffen, wenn er, um mit Fichte zu reden, aus dem Sein ins Dasein treten
wollte. In dieser Welt aber mußte es auch mit freiem Willen begabte Wesen
geben; denn zu einer nur von mechanischen Gesetzen bewegten Natur konnte
Gott nicht in ein dem Sittengesetze unterworfenes Verhältnis treten. Ein
Geschöpf -- der Mensch -- mußte also die Fähigkeit bekommen, zwischen
Gut und Böse zu unterscheiden und dem Guten aus freien Stücken nachzu¬
folgen. Tut er dies nicht, so betrübt er Gott ganz unendlich, und das alles,
trotzdem Gott als Gottheit, d. h. im Zustande des bloßen Seins, nicht das
Geringste bedarf. Darum auch so große Anstrengungen Gottes, um den
Menschen zu retten; aber was helfen sie, wenn der Mensch selber nicht mittut?
Denn wer sie nicht von vorneherein selber will, dem kann auch Gott nicht
die ewige Seligkeit schenken.

Was zum Schluß die Sprache des Buches anbetrifft, so ist diese el"
schönes und klares Deutsch, aber doch für uns Heutige deshalb nicht ganz
leicht zu verstehen, weil es die Sprache von etwa 1360 ist. Außer dem
einen, allerdings öfter vorkommenden Worte "Kreatur" und hier und da
einmal einem ganz vereinzelten Ausdruck, finden sich keine Fremdwörter in ihm.
Das ist eine Leistung, die ihm. namentlich bei einem so schwierigen Gegen¬
stände, heute so leicht niemand nachmacht, und gerade darum als Vorbild für
unsere Zeit wie geschaffen. Denn noch haben bei uns die Freunde
einer möglichst fremdwortreichen Sprache keineswegs den Kampf aufgegeben, und
da muß jeder Bundesgenosse willkommen sein, der nicht nur verlangt,
die Fremdwörter zu meiden, sondern der auch zeigt, wie man es machen kann,
und zwar ohne irgendwie gesucht oder geziert zu erscheinen.




Die Deutsche Theologie

Bleibt nun aber die Forderung von der notwendigen Vereinigung des
Menschen mit Gott nur eine bloß für wahr gehaltene Lehre, so besteht die große
Gefahr, daß der Mensch die Folgerungen aus dem von ihm vorausgesetzten Handeln
vorwegnimmt, d. h. daß er glaubt, Gott gleich zu sein, obwohl er es nicht ist.
Die Folge davon ist dann ein unerträglicher geistlicher Hochmut und ein
Schwelgen in vermeintlicher Vollkommenheit. In Wirklichkeit aber ist der
Mensch Gott um so weniger ähnlich, je mehr er sich einbildet es zu sein;
denn er kann hinnieden nie Vollkommenheit erreichen, nur danach streben.

Warum aber hat nun Gott eine Welt mit der Möglichkeit des Unrecht¬
tuns geschaffen? Konnte er nicht vielmehr in ungetrübter Seligkeit dahin¬
leben, ohne sich sozusagen mit Geschöpfen herumärgern zu müssen, die ihm
doch immer und immer widerstreben? Der Deutschherr antwortet uns darauf,
daß Gott ohne Welt ein Nichts sei — wohlverstanden sei. Denn so lange
außer Gott nichts anderes vorhanden war, konnte Gott gar keine Eigen¬
schaften haben; denn Eigenschaften sind nur Unterschiede von oder Beziehungen
zu andern Dingen, und andere Dinge gab's eben noch nicht. Gott konnte also erst
ein Etwas werden, wenn es außer ihm noch etwas anderes gab, und er mußte also
eine Welt schaffen, wenn er, um mit Fichte zu reden, aus dem Sein ins Dasein treten
wollte. In dieser Welt aber mußte es auch mit freiem Willen begabte Wesen
geben; denn zu einer nur von mechanischen Gesetzen bewegten Natur konnte
Gott nicht in ein dem Sittengesetze unterworfenes Verhältnis treten. Ein
Geschöpf — der Mensch — mußte also die Fähigkeit bekommen, zwischen
Gut und Böse zu unterscheiden und dem Guten aus freien Stücken nachzu¬
folgen. Tut er dies nicht, so betrübt er Gott ganz unendlich, und das alles,
trotzdem Gott als Gottheit, d. h. im Zustande des bloßen Seins, nicht das
Geringste bedarf. Darum auch so große Anstrengungen Gottes, um den
Menschen zu retten; aber was helfen sie, wenn der Mensch selber nicht mittut?
Denn wer sie nicht von vorneherein selber will, dem kann auch Gott nicht
die ewige Seligkeit schenken.

Was zum Schluß die Sprache des Buches anbetrifft, so ist diese el»
schönes und klares Deutsch, aber doch für uns Heutige deshalb nicht ganz
leicht zu verstehen, weil es die Sprache von etwa 1360 ist. Außer dem
einen, allerdings öfter vorkommenden Worte „Kreatur" und hier und da
einmal einem ganz vereinzelten Ausdruck, finden sich keine Fremdwörter in ihm.
Das ist eine Leistung, die ihm. namentlich bei einem so schwierigen Gegen¬
stände, heute so leicht niemand nachmacht, und gerade darum als Vorbild für
unsere Zeit wie geschaffen. Denn noch haben bei uns die Freunde
einer möglichst fremdwortreichen Sprache keineswegs den Kampf aufgegeben, und
da muß jeder Bundesgenosse willkommen sein, der nicht nur verlangt,
die Fremdwörter zu meiden, sondern der auch zeigt, wie man es machen kann,
und zwar ohne irgendwie gesucht oder geziert zu erscheinen.




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[0103] Die Deutsche Theologie Bleibt nun aber die Forderung von der notwendigen Vereinigung des Menschen mit Gott nur eine bloß für wahr gehaltene Lehre, so besteht die große Gefahr, daß der Mensch die Folgerungen aus dem von ihm vorausgesetzten Handeln vorwegnimmt, d. h. daß er glaubt, Gott gleich zu sein, obwohl er es nicht ist. Die Folge davon ist dann ein unerträglicher geistlicher Hochmut und ein Schwelgen in vermeintlicher Vollkommenheit. In Wirklichkeit aber ist der Mensch Gott um so weniger ähnlich, je mehr er sich einbildet es zu sein; denn er kann hinnieden nie Vollkommenheit erreichen, nur danach streben. Warum aber hat nun Gott eine Welt mit der Möglichkeit des Unrecht¬ tuns geschaffen? Konnte er nicht vielmehr in ungetrübter Seligkeit dahin¬ leben, ohne sich sozusagen mit Geschöpfen herumärgern zu müssen, die ihm doch immer und immer widerstreben? Der Deutschherr antwortet uns darauf, daß Gott ohne Welt ein Nichts sei — wohlverstanden sei. Denn so lange außer Gott nichts anderes vorhanden war, konnte Gott gar keine Eigen¬ schaften haben; denn Eigenschaften sind nur Unterschiede von oder Beziehungen zu andern Dingen, und andere Dinge gab's eben noch nicht. Gott konnte also erst ein Etwas werden, wenn es außer ihm noch etwas anderes gab, und er mußte also eine Welt schaffen, wenn er, um mit Fichte zu reden, aus dem Sein ins Dasein treten wollte. In dieser Welt aber mußte es auch mit freiem Willen begabte Wesen geben; denn zu einer nur von mechanischen Gesetzen bewegten Natur konnte Gott nicht in ein dem Sittengesetze unterworfenes Verhältnis treten. Ein Geschöpf — der Mensch — mußte also die Fähigkeit bekommen, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden und dem Guten aus freien Stücken nachzu¬ folgen. Tut er dies nicht, so betrübt er Gott ganz unendlich, und das alles, trotzdem Gott als Gottheit, d. h. im Zustande des bloßen Seins, nicht das Geringste bedarf. Darum auch so große Anstrengungen Gottes, um den Menschen zu retten; aber was helfen sie, wenn der Mensch selber nicht mittut? Denn wer sie nicht von vorneherein selber will, dem kann auch Gott nicht die ewige Seligkeit schenken. Was zum Schluß die Sprache des Buches anbetrifft, so ist diese el» schönes und klares Deutsch, aber doch für uns Heutige deshalb nicht ganz leicht zu verstehen, weil es die Sprache von etwa 1360 ist. Außer dem einen, allerdings öfter vorkommenden Worte „Kreatur" und hier und da einmal einem ganz vereinzelten Ausdruck, finden sich keine Fremdwörter in ihm. Das ist eine Leistung, die ihm. namentlich bei einem so schwierigen Gegen¬ stände, heute so leicht niemand nachmacht, und gerade darum als Vorbild für unsere Zeit wie geschaffen. Denn noch haben bei uns die Freunde einer möglichst fremdwortreichen Sprache keineswegs den Kampf aufgegeben, und da muß jeder Bundesgenosse willkommen sein, der nicht nur verlangt, die Fremdwörter zu meiden, sondern der auch zeigt, wie man es machen kann, und zwar ohne irgendwie gesucht oder geziert zu erscheinen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/103>, abgerufen am 23.07.2024.