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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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poincarö, Frankreich und die Revanche

namentlich den Mitgliedern der sogenannten radikalen Partei äußerlich die "Ver¬
teidigung" der leitende Gedanke zu sein schien, so konnte man doch auch bei
ihnen bei schärferem Zusehen den Pferdefuß der Revanche hervorschauen sehen.

Die Hauptschlachten des antiklerikalen Feldzugs waren schon geschlagen, als
die Marokkokrisen begannen. Der Kampf war im Abflauen begriffen.

Die Linke hatte gesiegt. Ihr Ideal war zum großen Teil erreicht, ihr
Programm durchgeführt. Die breite radikale Oppositionspartei, die Haupt¬
bannerträgerin des Antiklerikalismus und der Demokratie, war längst an der
Macht und machte es sich in Ministerien und Präfekturen mehr als bequeni.
Die politische Lust wurde träge und stickicht. Das reinigende Element neuer
Gedanken fehlte. Damit trat denn auch die Zersetzung ein. Es bildeten sich
Gruppen. Klientelen einzelner bedeutenderer Männer, die sich gegenseitig in der
Herrschaft bekämpften. Die Anhängsel nach rechts, mochten sie sich demokratische
Linke oder anders nennen, gewannen an Bedeutung. Neue Parteibildungen
kristallisierten sich aus und es ist ja eine immer wieder zu beobachtende Er¬
scheinung, daß solche Minoritäten und solche kleinere Verwandten vermöge ihrer
strengeren Geschlossenheit und ihres infolgedessen strengeren Programms das Gros
der Familie mehr oder weniger beeinflussen.

Bei diesen kleineren Geiolgsgruppen aber gewann der nationale Gedanke
am ehesten, stärksten und bewußtestem wieder an Boden. Bei ihnen war er
überhaupt nie so zurückgedrängt gewesen wie bei den Radikalen. Sie vergaßen
bei dem Kampfe um die Freiheit nie jenes andere Ideal, das ebenfalls schon
die große Revolution in nicht unlogischer Jdeenverkettung und in frischer An¬
erkennung der nationalstaatlichen Tatsachen in ihrem Schoße geborgen hatte
und das als unklarer Volksinstinkt seitdem auch im französischen Volksleben
immer scharf lebendig war, den Gedanken an die Staatsmacht nach außen, die
Idee von der Größe des französischen Volkes und Staates, den Machtgedanken
mit all seinen Konsequenzen für die äußere Politik, mit feiner historisch gegebenen,
mit seiner von Franz dem Ersten und Ludwig dem Vierzehnten und einer ganzen
vierhundertjährigen Geschichte überlieferten Konsequenz der Feindschaft gegen
Deutschland vor allem.

Das gerade unterscheidet diesen rechten Flügel von der radikalen Linken,
wenn der Unterschied sich auch dem Auge anscheinend auf anderem Gebiete
offenbar macht. Sie sind nämlich innerpolitisch gemäßigter, wenn man will
konservativer. Ihr Freiheitsbegriff ist mehr gedämpft, ist strenger. Besorgten
und ängstlichen Blickes schielen sie immer mit einem Auge nach der Staatsmacht
und vorsichtig zügeln sie das an den Wagen des Staats gespannte Freiheitsroß,
um ihn und seine Lenkerin, die Macht, stark und willensfähig zu haben und
zu erhalten, zur Anwendung nach außen. Nicht zuletzt aus Machtgründen hatten
sie anch den Kampf gegen den Klerikalismus geführt. "Freiheit" war die Losung der
Radikalen, "Freiheit und Macht" die ihrige. Im Grunde der Unterschied von
deutschem "Fortschritt" und "Nationalliberalismus" ins Französische übertragen,


poincarö, Frankreich und die Revanche

namentlich den Mitgliedern der sogenannten radikalen Partei äußerlich die „Ver¬
teidigung" der leitende Gedanke zu sein schien, so konnte man doch auch bei
ihnen bei schärferem Zusehen den Pferdefuß der Revanche hervorschauen sehen.

Die Hauptschlachten des antiklerikalen Feldzugs waren schon geschlagen, als
die Marokkokrisen begannen. Der Kampf war im Abflauen begriffen.

Die Linke hatte gesiegt. Ihr Ideal war zum großen Teil erreicht, ihr
Programm durchgeführt. Die breite radikale Oppositionspartei, die Haupt¬
bannerträgerin des Antiklerikalismus und der Demokratie, war längst an der
Macht und machte es sich in Ministerien und Präfekturen mehr als bequeni.
Die politische Lust wurde träge und stickicht. Das reinigende Element neuer
Gedanken fehlte. Damit trat denn auch die Zersetzung ein. Es bildeten sich
Gruppen. Klientelen einzelner bedeutenderer Männer, die sich gegenseitig in der
Herrschaft bekämpften. Die Anhängsel nach rechts, mochten sie sich demokratische
Linke oder anders nennen, gewannen an Bedeutung. Neue Parteibildungen
kristallisierten sich aus und es ist ja eine immer wieder zu beobachtende Er¬
scheinung, daß solche Minoritäten und solche kleinere Verwandten vermöge ihrer
strengeren Geschlossenheit und ihres infolgedessen strengeren Programms das Gros
der Familie mehr oder weniger beeinflussen.

Bei diesen kleineren Geiolgsgruppen aber gewann der nationale Gedanke
am ehesten, stärksten und bewußtestem wieder an Boden. Bei ihnen war er
überhaupt nie so zurückgedrängt gewesen wie bei den Radikalen. Sie vergaßen
bei dem Kampfe um die Freiheit nie jenes andere Ideal, das ebenfalls schon
die große Revolution in nicht unlogischer Jdeenverkettung und in frischer An¬
erkennung der nationalstaatlichen Tatsachen in ihrem Schoße geborgen hatte
und das als unklarer Volksinstinkt seitdem auch im französischen Volksleben
immer scharf lebendig war, den Gedanken an die Staatsmacht nach außen, die
Idee von der Größe des französischen Volkes und Staates, den Machtgedanken
mit all seinen Konsequenzen für die äußere Politik, mit feiner historisch gegebenen,
mit seiner von Franz dem Ersten und Ludwig dem Vierzehnten und einer ganzen
vierhundertjährigen Geschichte überlieferten Konsequenz der Feindschaft gegen
Deutschland vor allem.

Das gerade unterscheidet diesen rechten Flügel von der radikalen Linken,
wenn der Unterschied sich auch dem Auge anscheinend auf anderem Gebiete
offenbar macht. Sie sind nämlich innerpolitisch gemäßigter, wenn man will
konservativer. Ihr Freiheitsbegriff ist mehr gedämpft, ist strenger. Besorgten
und ängstlichen Blickes schielen sie immer mit einem Auge nach der Staatsmacht
und vorsichtig zügeln sie das an den Wagen des Staats gespannte Freiheitsroß,
um ihn und seine Lenkerin, die Macht, stark und willensfähig zu haben und
zu erhalten, zur Anwendung nach außen. Nicht zuletzt aus Machtgründen hatten
sie anch den Kampf gegen den Klerikalismus geführt. „Freiheit" war die Losung der
Radikalen, „Freiheit und Macht" die ihrige. Im Grunde der Unterschied von
deutschem „Fortschritt" und „Nationalliberalismus" ins Französische übertragen,


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[0081] poincarö, Frankreich und die Revanche namentlich den Mitgliedern der sogenannten radikalen Partei äußerlich die „Ver¬ teidigung" der leitende Gedanke zu sein schien, so konnte man doch auch bei ihnen bei schärferem Zusehen den Pferdefuß der Revanche hervorschauen sehen. Die Hauptschlachten des antiklerikalen Feldzugs waren schon geschlagen, als die Marokkokrisen begannen. Der Kampf war im Abflauen begriffen. Die Linke hatte gesiegt. Ihr Ideal war zum großen Teil erreicht, ihr Programm durchgeführt. Die breite radikale Oppositionspartei, die Haupt¬ bannerträgerin des Antiklerikalismus und der Demokratie, war längst an der Macht und machte es sich in Ministerien und Präfekturen mehr als bequeni. Die politische Lust wurde träge und stickicht. Das reinigende Element neuer Gedanken fehlte. Damit trat denn auch die Zersetzung ein. Es bildeten sich Gruppen. Klientelen einzelner bedeutenderer Männer, die sich gegenseitig in der Herrschaft bekämpften. Die Anhängsel nach rechts, mochten sie sich demokratische Linke oder anders nennen, gewannen an Bedeutung. Neue Parteibildungen kristallisierten sich aus und es ist ja eine immer wieder zu beobachtende Er¬ scheinung, daß solche Minoritäten und solche kleinere Verwandten vermöge ihrer strengeren Geschlossenheit und ihres infolgedessen strengeren Programms das Gros der Familie mehr oder weniger beeinflussen. Bei diesen kleineren Geiolgsgruppen aber gewann der nationale Gedanke am ehesten, stärksten und bewußtestem wieder an Boden. Bei ihnen war er überhaupt nie so zurückgedrängt gewesen wie bei den Radikalen. Sie vergaßen bei dem Kampfe um die Freiheit nie jenes andere Ideal, das ebenfalls schon die große Revolution in nicht unlogischer Jdeenverkettung und in frischer An¬ erkennung der nationalstaatlichen Tatsachen in ihrem Schoße geborgen hatte und das als unklarer Volksinstinkt seitdem auch im französischen Volksleben immer scharf lebendig war, den Gedanken an die Staatsmacht nach außen, die Idee von der Größe des französischen Volkes und Staates, den Machtgedanken mit all seinen Konsequenzen für die äußere Politik, mit feiner historisch gegebenen, mit seiner von Franz dem Ersten und Ludwig dem Vierzehnten und einer ganzen vierhundertjährigen Geschichte überlieferten Konsequenz der Feindschaft gegen Deutschland vor allem. Das gerade unterscheidet diesen rechten Flügel von der radikalen Linken, wenn der Unterschied sich auch dem Auge anscheinend auf anderem Gebiete offenbar macht. Sie sind nämlich innerpolitisch gemäßigter, wenn man will konservativer. Ihr Freiheitsbegriff ist mehr gedämpft, ist strenger. Besorgten und ängstlichen Blickes schielen sie immer mit einem Auge nach der Staatsmacht und vorsichtig zügeln sie das an den Wagen des Staats gespannte Freiheitsroß, um ihn und seine Lenkerin, die Macht, stark und willensfähig zu haben und zu erhalten, zur Anwendung nach außen. Nicht zuletzt aus Machtgründen hatten sie anch den Kampf gegen den Klerikalismus geführt. „Freiheit" war die Losung der Radikalen, „Freiheit und Macht" die ihrige. Im Grunde der Unterschied von deutschem „Fortschritt" und „Nationalliberalismus" ins Französische übertragen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/81>, abgerufen am 26.06.2024.