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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Erdkunde in den höheren Schulen

festen Stück unserer politischen Volksbildung wird, so werden wir nicht daran
denken können, zukünftigen Krisen mit einer besseren inneren Vorbereitung ent¬
gegenzugehen, als wir es diesmal getan haben." --

So hervorragend wichtig nun die politisch-kulturelle Seite der Erdkunde im
Hinblick auf die allgemeinen Ziele der Bildung ist, darf darum doch die physische
Erdkunde im Schulunterricht der Zukunft keinesfalls vernachlässigt oder zugunsten
der politischen gekürzt werden. Das Verhältnis der beiden scheinbar so grund¬
verschiedenen Seiten eines und desselben Unterrichtsgegenstandes andeuten,
heißt, auf einige weit verbreitete schiefe Ansichten und Mißverständnisse eingehen,
die allein schon aus Gründen der gesamten Schulreform einer Klärung in der
weiteren Öffentlichkeit bedürfen.

Die preußischen Lehrpläne von 1901 betonen die Notwendigkeit, physische
und politische Erdkunde im Unterricht nicht grundsätzlich zu trennen. Es scheint
auch heute noch angebracht, darauf hinzuweisen, daß beide zusammen, in engste
Beziehung zueinander gesetzt, die spezifisch-erdkundliche Betrachtungsweise im
modernen Sinne überhaupt erst ermöglichen. Ein Gebirge z. B. ist an und
sür sich ein Gegenstand geologischer Forschung, die Entstehung, Alter, Schichten¬
folge u. a. in. festzustellen sucht. Die physische Erdkunde dagegen interessieren
diese Untersuchungen und ihre Ergebnisse hauptsächlich insofern, als sie die
heutigen Gebirgsformen und deren Ausmaße, die Entstehung der Täter, u.tgi.
verständlich machen. Das Gesamtbild endlich, wie es namentlich die spezielle
Erdkunde ("Länderkunde") von jenem Gebirge entwirft, enthält überdies z. B.
eine Darstellung der wirtschaftlichen Bedeutung des Gebirges (Mineralschätze,
Bodenbenutzung usw.), ferner Näheres über die Verkehrsbedeutung, Lage und
Art der menschlichen Siedlungen: alles dies nach Möglichkeit in begründend-
vergleichender Darstellung. -- Entsprechend könnte man zeigen, wie z. B. die
geographische Klimakunde, ihrer scheinbaren "Ähnlichkeit" mit der Meteorologie
zum Trotz, tatsächlich nach Methoden und Zielen von der reinen Meteorologie,
d. h. Physik der freien Atmossphäre, wesentlich verschieden ist. Und die
Meereskunde bedeutet als Teilgebiet der geographischen Wissenschaft -- und
mutatis mutanäi8 der Schulerdkunde -- mehr als die Summe der chemisch-
physikalischen Eigenschaften des Meerwassers, der Strömungen und Gezeiten
usw. -- Eigentümlich ist also der heraufkommenden Schulerdkunde nach ihrem
physischen Teil das Hervorheben der Einwirkungen, die z. B. Luftkreis und
Meer auf die feste Erdoberfläche ausüben, fernerhin überhaupt die Darstellung
der Wechselbeziehungen zwischen Festem, Flüssigem und Luftförmigem nach ihrer
örtlichen Verteilung auf unserm Planeten.

Wie einerseits mit der politischen Erdkunde (Anthropogeographie), ist die
physische Erdkunde andererseits mit der astronomischen durch tausend Fäden
verknüpft. So wenig wie etwa die Klimakunde im Schulunterricht sich in


Erdkunde in den höheren Schulen

festen Stück unserer politischen Volksbildung wird, so werden wir nicht daran
denken können, zukünftigen Krisen mit einer besseren inneren Vorbereitung ent¬
gegenzugehen, als wir es diesmal getan haben." —

So hervorragend wichtig nun die politisch-kulturelle Seite der Erdkunde im
Hinblick auf die allgemeinen Ziele der Bildung ist, darf darum doch die physische
Erdkunde im Schulunterricht der Zukunft keinesfalls vernachlässigt oder zugunsten
der politischen gekürzt werden. Das Verhältnis der beiden scheinbar so grund¬
verschiedenen Seiten eines und desselben Unterrichtsgegenstandes andeuten,
heißt, auf einige weit verbreitete schiefe Ansichten und Mißverständnisse eingehen,
die allein schon aus Gründen der gesamten Schulreform einer Klärung in der
weiteren Öffentlichkeit bedürfen.

Die preußischen Lehrpläne von 1901 betonen die Notwendigkeit, physische
und politische Erdkunde im Unterricht nicht grundsätzlich zu trennen. Es scheint
auch heute noch angebracht, darauf hinzuweisen, daß beide zusammen, in engste
Beziehung zueinander gesetzt, die spezifisch-erdkundliche Betrachtungsweise im
modernen Sinne überhaupt erst ermöglichen. Ein Gebirge z. B. ist an und
sür sich ein Gegenstand geologischer Forschung, die Entstehung, Alter, Schichten¬
folge u. a. in. festzustellen sucht. Die physische Erdkunde dagegen interessieren
diese Untersuchungen und ihre Ergebnisse hauptsächlich insofern, als sie die
heutigen Gebirgsformen und deren Ausmaße, die Entstehung der Täter, u.tgi.
verständlich machen. Das Gesamtbild endlich, wie es namentlich die spezielle
Erdkunde („Länderkunde") von jenem Gebirge entwirft, enthält überdies z. B.
eine Darstellung der wirtschaftlichen Bedeutung des Gebirges (Mineralschätze,
Bodenbenutzung usw.), ferner Näheres über die Verkehrsbedeutung, Lage und
Art der menschlichen Siedlungen: alles dies nach Möglichkeit in begründend-
vergleichender Darstellung. — Entsprechend könnte man zeigen, wie z. B. die
geographische Klimakunde, ihrer scheinbaren „Ähnlichkeit" mit der Meteorologie
zum Trotz, tatsächlich nach Methoden und Zielen von der reinen Meteorologie,
d. h. Physik der freien Atmossphäre, wesentlich verschieden ist. Und die
Meereskunde bedeutet als Teilgebiet der geographischen Wissenschaft — und
mutatis mutanäi8 der Schulerdkunde — mehr als die Summe der chemisch-
physikalischen Eigenschaften des Meerwassers, der Strömungen und Gezeiten
usw. — Eigentümlich ist also der heraufkommenden Schulerdkunde nach ihrem
physischen Teil das Hervorheben der Einwirkungen, die z. B. Luftkreis und
Meer auf die feste Erdoberfläche ausüben, fernerhin überhaupt die Darstellung
der Wechselbeziehungen zwischen Festem, Flüssigem und Luftförmigem nach ihrer
örtlichen Verteilung auf unserm Planeten.

Wie einerseits mit der politischen Erdkunde (Anthropogeographie), ist die
physische Erdkunde andererseits mit der astronomischen durch tausend Fäden
verknüpft. So wenig wie etwa die Klimakunde im Schulunterricht sich in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/58>, abgerufen am 25.08.2024.