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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Die allgemeine Dienstpflicht

für jeden Bezirk einer Ersatzkommission zu bilden ist und aus einem Beauf¬
tragten des Kriegsamts als Vorsitzenden sowie aus je drei Vertretern der
Arbeitgeber und Arbeitnehmer besteht.

Die löbliche Absicht der Friedensvermittlung in allen Ehren, immerhin
wird mit den Arbeiterausschüssen und der Beschwerdeiustanz eine Streitfrage
kurzer Hand entschieden, die seit einem Jahrzehnt und länger die Parlamente
wiederholt beschäftigt hat, ohne daß eine befriedigende Lösung der wider¬
streitenden Interessen sich hätte erreichen lassen. Ein großer Teil der Industrie
hat von jeher den Standpunkt eingenommen, daß die Ausschüsse eine Mit¬
regierung auch in solchen BMebsangelegenheiten für sich beanspruchen könnten,
in denen einzig und allein die Betriebsleiter das entscheidende Wort sprechen
müßten. Der Abg. Stresemann ist allerdings den Besorgnissen, daß die
Autorität und Selbstbestimmung der Industriellen durch die Einsetzung von
Arbeiterausschüssen beeinträchtigt werden könnten, entgegengetreten, wird aber
die gegnerischen Meinungen schwerlich überzeugt haben. Vielleicht ist es den
Arbeitgebern aber nicht einmal unlieb, daß mit der neuen Maßnahme ein
praktischer Probeversuch gemacht wird, denn nur um einen solchen kann es sich
handeln, da die Geltung des Gesetzes über den vaterländischen Hilfsdienst zeitlich
begrenzt ist und nur auf diejenigen Betriebe sich erstreckt, die für die Kriegs-
arbeiten tätig sind. Was jetzt gesetzgeberisches Stückwerk ist, wird nach den
Erfahrungen der Kriegszeit späterhin erst neu zu ordnen sein. Alsdann werden
auch die sachlichen Gründe für die einzelnen Bestimmungen eingehenoer geprüft
werden als es beim Hasten nach Erledigung des keinen Aufschub duldenden
Dienstpflichtgesetzes geschehen konnte.

Die hier erwähnten Punkte hängen mit dem eigentlichen Wesen des Gesetzes
nur lose zusammen, sind Reglementierungen, die ebenso gut wegfallen könnten,
ohne den Geist, dem der Dienstpflichtgedanke entstammt, abzuschwächen. Die
"Firma Deutschland", wie von berufener Seite das Kriegsamt genannt worden
ist, bietet alle ihr ungehörigen Männer und Jünglinge auf zur Abwendung
von äußeren Gefahren, von denen sie durch eine feindliche Übermacht sich be¬
droht sieht. Sie vertraut darauf, daß das sittliche Pflichtbewußtsein in der
Nation stark genug sein wird, um die persönlichen Interessen dem Allgemein¬
wohl unterzuordnen. Das Prinzip der Freiwillig tett wird daher als
Eckstein des vaterländischen Hilfsdienstes dem Aufgebot zur Arbeit vorangestellt.
Über die praktischen Wirkungen eines Ausrufs zur Arbeitsbetätigung darf man
sich freilich keinen Illusionen hingeben. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß ein
Überangebot von freiwilligen Helfern mit einem Fehlbetrag an erforderlichen
Arbeitskräften zusammentrifft. Das ist nur scheinbar ungereimt. Die zu¬
vörderst notwendigen Arbeiten erfordern eben fachlich vorgebildete Arbeits¬
kräfte, die sich zumeist bereits in festen Stellungen befinden und daher bis auf
weiteres keine Veranlassung haben, nach einer neuen Beschäftigung sich umzutun.
Hingegen dürften viele, mutmaßlich viele Tausende in patriotischem Drange


Die allgemeine Dienstpflicht

für jeden Bezirk einer Ersatzkommission zu bilden ist und aus einem Beauf¬
tragten des Kriegsamts als Vorsitzenden sowie aus je drei Vertretern der
Arbeitgeber und Arbeitnehmer besteht.

Die löbliche Absicht der Friedensvermittlung in allen Ehren, immerhin
wird mit den Arbeiterausschüssen und der Beschwerdeiustanz eine Streitfrage
kurzer Hand entschieden, die seit einem Jahrzehnt und länger die Parlamente
wiederholt beschäftigt hat, ohne daß eine befriedigende Lösung der wider¬
streitenden Interessen sich hätte erreichen lassen. Ein großer Teil der Industrie
hat von jeher den Standpunkt eingenommen, daß die Ausschüsse eine Mit¬
regierung auch in solchen BMebsangelegenheiten für sich beanspruchen könnten,
in denen einzig und allein die Betriebsleiter das entscheidende Wort sprechen
müßten. Der Abg. Stresemann ist allerdings den Besorgnissen, daß die
Autorität und Selbstbestimmung der Industriellen durch die Einsetzung von
Arbeiterausschüssen beeinträchtigt werden könnten, entgegengetreten, wird aber
die gegnerischen Meinungen schwerlich überzeugt haben. Vielleicht ist es den
Arbeitgebern aber nicht einmal unlieb, daß mit der neuen Maßnahme ein
praktischer Probeversuch gemacht wird, denn nur um einen solchen kann es sich
handeln, da die Geltung des Gesetzes über den vaterländischen Hilfsdienst zeitlich
begrenzt ist und nur auf diejenigen Betriebe sich erstreckt, die für die Kriegs-
arbeiten tätig sind. Was jetzt gesetzgeberisches Stückwerk ist, wird nach den
Erfahrungen der Kriegszeit späterhin erst neu zu ordnen sein. Alsdann werden
auch die sachlichen Gründe für die einzelnen Bestimmungen eingehenoer geprüft
werden als es beim Hasten nach Erledigung des keinen Aufschub duldenden
Dienstpflichtgesetzes geschehen konnte.

Die hier erwähnten Punkte hängen mit dem eigentlichen Wesen des Gesetzes
nur lose zusammen, sind Reglementierungen, die ebenso gut wegfallen könnten,
ohne den Geist, dem der Dienstpflichtgedanke entstammt, abzuschwächen. Die
„Firma Deutschland", wie von berufener Seite das Kriegsamt genannt worden
ist, bietet alle ihr ungehörigen Männer und Jünglinge auf zur Abwendung
von äußeren Gefahren, von denen sie durch eine feindliche Übermacht sich be¬
droht sieht. Sie vertraut darauf, daß das sittliche Pflichtbewußtsein in der
Nation stark genug sein wird, um die persönlichen Interessen dem Allgemein¬
wohl unterzuordnen. Das Prinzip der Freiwillig tett wird daher als
Eckstein des vaterländischen Hilfsdienstes dem Aufgebot zur Arbeit vorangestellt.
Über die praktischen Wirkungen eines Ausrufs zur Arbeitsbetätigung darf man
sich freilich keinen Illusionen hingeben. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß ein
Überangebot von freiwilligen Helfern mit einem Fehlbetrag an erforderlichen
Arbeitskräften zusammentrifft. Das ist nur scheinbar ungereimt. Die zu¬
vörderst notwendigen Arbeiten erfordern eben fachlich vorgebildete Arbeits¬
kräfte, die sich zumeist bereits in festen Stellungen befinden und daher bis auf
weiteres keine Veranlassung haben, nach einer neuen Beschäftigung sich umzutun.
Hingegen dürften viele, mutmaßlich viele Tausende in patriotischem Drange


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[0368] Die allgemeine Dienstpflicht für jeden Bezirk einer Ersatzkommission zu bilden ist und aus einem Beauf¬ tragten des Kriegsamts als Vorsitzenden sowie aus je drei Vertretern der Arbeitgeber und Arbeitnehmer besteht. Die löbliche Absicht der Friedensvermittlung in allen Ehren, immerhin wird mit den Arbeiterausschüssen und der Beschwerdeiustanz eine Streitfrage kurzer Hand entschieden, die seit einem Jahrzehnt und länger die Parlamente wiederholt beschäftigt hat, ohne daß eine befriedigende Lösung der wider¬ streitenden Interessen sich hätte erreichen lassen. Ein großer Teil der Industrie hat von jeher den Standpunkt eingenommen, daß die Ausschüsse eine Mit¬ regierung auch in solchen BMebsangelegenheiten für sich beanspruchen könnten, in denen einzig und allein die Betriebsleiter das entscheidende Wort sprechen müßten. Der Abg. Stresemann ist allerdings den Besorgnissen, daß die Autorität und Selbstbestimmung der Industriellen durch die Einsetzung von Arbeiterausschüssen beeinträchtigt werden könnten, entgegengetreten, wird aber die gegnerischen Meinungen schwerlich überzeugt haben. Vielleicht ist es den Arbeitgebern aber nicht einmal unlieb, daß mit der neuen Maßnahme ein praktischer Probeversuch gemacht wird, denn nur um einen solchen kann es sich handeln, da die Geltung des Gesetzes über den vaterländischen Hilfsdienst zeitlich begrenzt ist und nur auf diejenigen Betriebe sich erstreckt, die für die Kriegs- arbeiten tätig sind. Was jetzt gesetzgeberisches Stückwerk ist, wird nach den Erfahrungen der Kriegszeit späterhin erst neu zu ordnen sein. Alsdann werden auch die sachlichen Gründe für die einzelnen Bestimmungen eingehenoer geprüft werden als es beim Hasten nach Erledigung des keinen Aufschub duldenden Dienstpflichtgesetzes geschehen konnte. Die hier erwähnten Punkte hängen mit dem eigentlichen Wesen des Gesetzes nur lose zusammen, sind Reglementierungen, die ebenso gut wegfallen könnten, ohne den Geist, dem der Dienstpflichtgedanke entstammt, abzuschwächen. Die „Firma Deutschland", wie von berufener Seite das Kriegsamt genannt worden ist, bietet alle ihr ungehörigen Männer und Jünglinge auf zur Abwendung von äußeren Gefahren, von denen sie durch eine feindliche Übermacht sich be¬ droht sieht. Sie vertraut darauf, daß das sittliche Pflichtbewußtsein in der Nation stark genug sein wird, um die persönlichen Interessen dem Allgemein¬ wohl unterzuordnen. Das Prinzip der Freiwillig tett wird daher als Eckstein des vaterländischen Hilfsdienstes dem Aufgebot zur Arbeit vorangestellt. Über die praktischen Wirkungen eines Ausrufs zur Arbeitsbetätigung darf man sich freilich keinen Illusionen hingeben. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß ein Überangebot von freiwilligen Helfern mit einem Fehlbetrag an erforderlichen Arbeitskräften zusammentrifft. Das ist nur scheinbar ungereimt. Die zu¬ vörderst notwendigen Arbeiten erfordern eben fachlich vorgebildete Arbeits¬ kräfte, die sich zumeist bereits in festen Stellungen befinden und daher bis auf weiteres keine Veranlassung haben, nach einer neuen Beschäftigung sich umzutun. Hingegen dürften viele, mutmaßlich viele Tausende in patriotischem Drange

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/368>, abgerufen am 23.07.2024.