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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Deutschlands Wasserkräfte

Wir gelangen da zu einer Gesamtzahl von rund 12 Millionen ?L.
Selbstverständlich ist die Zahl der wirklich brauchbaren Wasserkräfte erheblich
kleiner, schon aus dem Grunde, weil immer ein Teil des Gefälles für die Zu¬
leitung des Wassers zur Kraftquelle im Oberkanal und für die Rückleitung des Flusses
im Unterkanal behufs Erzeugung der notwendigen Wassergeschwindigkeit verbraucht
wird. Außerdem spielt noch die größere oder geringere Durchlässigkeit des
Bodens eine erhebliche, die Wirkungsfähigkeit des Wassers herabsetzende Rolle.

Die wirklich verwendungsfähigen Wasserkräfte lassen sich danach bei vor¬
sichtiger Schätzung auf 4 Millionen ?L. feststellen, von denen höchstens ein
Viertel bereits ausgenutzt, 3 Millionen also noch nicht ausgebeutet, also unserer
Volkskraft indirekt bisher verloren gegangen sind.

Wie ist nun der gewaltige Unterschied zwischen der so ermittelten Zahl
und der bisher angenommenen zu erklären? Ganz einfach so, daß man bei
den früheren Zahlungen nur die sogenannten Niederwasserkräfte, d. h. die
unter allen Umstanden vorhandenen Wasserkräfte und ebenso auch die Wasser¬
kräfte der durch die Schiffahrt bereits beanspruchten Hauptströme im Großen und
Ganzen als praktisch unausnutzbar einfach bei Seite ließ.

Der Begriff der "natürlichen" Wasserkräfte hat unstreitig im Laufe der letzten
Jahrzehnte erhebliche Wandlungen erlebt, dank der unaufhaltsamen Fortschritte
der Technik, ein Umstand, der gerade unserer Heimat zum größten Vorteil ge¬
reicht hat und noch mehr gereichen wird. Ursprünglich verstand man uuter
natürlicher Wasserkraft nur diejenige, welche zustande kommt, wenn ein Fluß
in seinem Laufe senkrecht abfällt und das abstürzende Wasser unmittelbar in
eine Rohrleitung gefaßt und der am Fuß des Absturzes oder in unmittelbarer
Nähe gelegenen Wasserkraftmaschine zugeführt werden konnte. Später ging
man daran, hochgelegene einem Stromgebiet zugehörige Seen' anzuzapfen und
das ihnen entnommene Wasser durch Stollen und Rohrleitungen in das tief¬
gelegene Tal zu schaffen. Aber noch war das eigentliche Hügel- und flachere
Land vom Segen dieser Kraft ausgeschlossen, bis man auf den Gedanken kam,
ein ganzes Flußtal auf eine Länge von zehn, zwanzig und noch mehr Kilo¬
metern durch eine Sperrmauer abzuschließen und so das Gefälle der ganzen
Flußstrecke zu einem einzigen Absturz zu vereinigen, dessen Kraft einer so¬
genannten natürlichen Wasserkraft im früheren Sinn des Wortes im wesent¬
lichen gleichkam oder sie sogar noch übertraf. Leider bringt es dieser gewaltige
Fortschritt in der Verwendung der Wasserkräfte mit sich, daß große Ländereien
dauernd unter Wasser gesetzt werden müssen, die bisher der Kultur dienten,
und daß unter Umständen ganze Dörfer und Städte der Vernichtung einheimfallen.
Außerdem ist der Untergrund mancher Täter nicht fest genug, um sie in Stau¬
becken umwandeln zu können.

Im allgemeinen wird man daher von der Einrichtung solcher Staubecken,
die ja natürlich auch sehr große Kosten verursachen, nur da Gebrauch machen,
wo das Terrain wirtschaftlich von geringem Werte und das Tal nur wenig


Deutschlands Wasserkräfte

Wir gelangen da zu einer Gesamtzahl von rund 12 Millionen ?L.
Selbstverständlich ist die Zahl der wirklich brauchbaren Wasserkräfte erheblich
kleiner, schon aus dem Grunde, weil immer ein Teil des Gefälles für die Zu¬
leitung des Wassers zur Kraftquelle im Oberkanal und für die Rückleitung des Flusses
im Unterkanal behufs Erzeugung der notwendigen Wassergeschwindigkeit verbraucht
wird. Außerdem spielt noch die größere oder geringere Durchlässigkeit des
Bodens eine erhebliche, die Wirkungsfähigkeit des Wassers herabsetzende Rolle.

Die wirklich verwendungsfähigen Wasserkräfte lassen sich danach bei vor¬
sichtiger Schätzung auf 4 Millionen ?L. feststellen, von denen höchstens ein
Viertel bereits ausgenutzt, 3 Millionen also noch nicht ausgebeutet, also unserer
Volkskraft indirekt bisher verloren gegangen sind.

Wie ist nun der gewaltige Unterschied zwischen der so ermittelten Zahl
und der bisher angenommenen zu erklären? Ganz einfach so, daß man bei
den früheren Zahlungen nur die sogenannten Niederwasserkräfte, d. h. die
unter allen Umstanden vorhandenen Wasserkräfte und ebenso auch die Wasser¬
kräfte der durch die Schiffahrt bereits beanspruchten Hauptströme im Großen und
Ganzen als praktisch unausnutzbar einfach bei Seite ließ.

Der Begriff der „natürlichen" Wasserkräfte hat unstreitig im Laufe der letzten
Jahrzehnte erhebliche Wandlungen erlebt, dank der unaufhaltsamen Fortschritte
der Technik, ein Umstand, der gerade unserer Heimat zum größten Vorteil ge¬
reicht hat und noch mehr gereichen wird. Ursprünglich verstand man uuter
natürlicher Wasserkraft nur diejenige, welche zustande kommt, wenn ein Fluß
in seinem Laufe senkrecht abfällt und das abstürzende Wasser unmittelbar in
eine Rohrleitung gefaßt und der am Fuß des Absturzes oder in unmittelbarer
Nähe gelegenen Wasserkraftmaschine zugeführt werden konnte. Später ging
man daran, hochgelegene einem Stromgebiet zugehörige Seen' anzuzapfen und
das ihnen entnommene Wasser durch Stollen und Rohrleitungen in das tief¬
gelegene Tal zu schaffen. Aber noch war das eigentliche Hügel- und flachere
Land vom Segen dieser Kraft ausgeschlossen, bis man auf den Gedanken kam,
ein ganzes Flußtal auf eine Länge von zehn, zwanzig und noch mehr Kilo¬
metern durch eine Sperrmauer abzuschließen und so das Gefälle der ganzen
Flußstrecke zu einem einzigen Absturz zu vereinigen, dessen Kraft einer so¬
genannten natürlichen Wasserkraft im früheren Sinn des Wortes im wesent¬
lichen gleichkam oder sie sogar noch übertraf. Leider bringt es dieser gewaltige
Fortschritt in der Verwendung der Wasserkräfte mit sich, daß große Ländereien
dauernd unter Wasser gesetzt werden müssen, die bisher der Kultur dienten,
und daß unter Umständen ganze Dörfer und Städte der Vernichtung einheimfallen.
Außerdem ist der Untergrund mancher Täter nicht fest genug, um sie in Stau¬
becken umwandeln zu können.

Im allgemeinen wird man daher von der Einrichtung solcher Staubecken,
die ja natürlich auch sehr große Kosten verursachen, nur da Gebrauch machen,
wo das Terrain wirtschaftlich von geringem Werte und das Tal nur wenig


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[0344] Deutschlands Wasserkräfte Wir gelangen da zu einer Gesamtzahl von rund 12 Millionen ?L. Selbstverständlich ist die Zahl der wirklich brauchbaren Wasserkräfte erheblich kleiner, schon aus dem Grunde, weil immer ein Teil des Gefälles für die Zu¬ leitung des Wassers zur Kraftquelle im Oberkanal und für die Rückleitung des Flusses im Unterkanal behufs Erzeugung der notwendigen Wassergeschwindigkeit verbraucht wird. Außerdem spielt noch die größere oder geringere Durchlässigkeit des Bodens eine erhebliche, die Wirkungsfähigkeit des Wassers herabsetzende Rolle. Die wirklich verwendungsfähigen Wasserkräfte lassen sich danach bei vor¬ sichtiger Schätzung auf 4 Millionen ?L. feststellen, von denen höchstens ein Viertel bereits ausgenutzt, 3 Millionen also noch nicht ausgebeutet, also unserer Volkskraft indirekt bisher verloren gegangen sind. Wie ist nun der gewaltige Unterschied zwischen der so ermittelten Zahl und der bisher angenommenen zu erklären? Ganz einfach so, daß man bei den früheren Zahlungen nur die sogenannten Niederwasserkräfte, d. h. die unter allen Umstanden vorhandenen Wasserkräfte und ebenso auch die Wasser¬ kräfte der durch die Schiffahrt bereits beanspruchten Hauptströme im Großen und Ganzen als praktisch unausnutzbar einfach bei Seite ließ. Der Begriff der „natürlichen" Wasserkräfte hat unstreitig im Laufe der letzten Jahrzehnte erhebliche Wandlungen erlebt, dank der unaufhaltsamen Fortschritte der Technik, ein Umstand, der gerade unserer Heimat zum größten Vorteil ge¬ reicht hat und noch mehr gereichen wird. Ursprünglich verstand man uuter natürlicher Wasserkraft nur diejenige, welche zustande kommt, wenn ein Fluß in seinem Laufe senkrecht abfällt und das abstürzende Wasser unmittelbar in eine Rohrleitung gefaßt und der am Fuß des Absturzes oder in unmittelbarer Nähe gelegenen Wasserkraftmaschine zugeführt werden konnte. Später ging man daran, hochgelegene einem Stromgebiet zugehörige Seen' anzuzapfen und das ihnen entnommene Wasser durch Stollen und Rohrleitungen in das tief¬ gelegene Tal zu schaffen. Aber noch war das eigentliche Hügel- und flachere Land vom Segen dieser Kraft ausgeschlossen, bis man auf den Gedanken kam, ein ganzes Flußtal auf eine Länge von zehn, zwanzig und noch mehr Kilo¬ metern durch eine Sperrmauer abzuschließen und so das Gefälle der ganzen Flußstrecke zu einem einzigen Absturz zu vereinigen, dessen Kraft einer so¬ genannten natürlichen Wasserkraft im früheren Sinn des Wortes im wesent¬ lichen gleichkam oder sie sogar noch übertraf. Leider bringt es dieser gewaltige Fortschritt in der Verwendung der Wasserkräfte mit sich, daß große Ländereien dauernd unter Wasser gesetzt werden müssen, die bisher der Kultur dienten, und daß unter Umständen ganze Dörfer und Städte der Vernichtung einheimfallen. Außerdem ist der Untergrund mancher Täter nicht fest genug, um sie in Stau¬ becken umwandeln zu können. Im allgemeinen wird man daher von der Einrichtung solcher Staubecken, die ja natürlich auch sehr große Kosten verursachen, nur da Gebrauch machen, wo das Terrain wirtschaftlich von geringem Werte und das Tal nur wenig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/344>, abgerufen am 23.07.2024.