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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Die Selbständigkeit Galiziens und die Deutschen

sonders scharf zum Ausdruck kam. In der Folge wurde in diesem Sinne weiter
gearbeitet; es mag hier genügen zu bemerken, daß man es auch zustande
brachte, die für die Sicherheit des Eisenbahndienstes vorgeschriebene deutsche
Dienstsprache zu vernachlässigen, was militärischerseits oft gerügt wurde.

Wie man sieht, hat Galizien schon seit fünf Jahrzehnten eine Ausnahms¬
stellung in Österreich. In welcher Richtung sich der von den Polen gewünschte
Ausbau der Sonderstellung weiter entwickeln soll, ist aus dem eben Angeführten
zu ersehen. Unzweifelhaft wird man das zu erlangen suchen, was von den
Wünschen von 1868 noch nicht verwirklicht ist.

Wie wurden und werden die Interessen der Deutschen durch die Entwicklung
seit 1866 beeinflußt?

Schon nach dem oben Angeführten ist zu entnehmen, daß die für Galizien
errungenen Sonderrechte nur den Polen zugute kommen, daß die Deutschen und
Ruthenen schwer geschädigt wurden. Wir haben gesehen, wie die deutschen
Schulen, die deutschen Universitäten, die deutsche Amtssprache rasch beseitigt
wurden. Die deutschen Beamten und Professoren mußten außer Landes gehen.
Die polnischen Mittelschulen und Lehrerbildungsanstalten wurden Polonisierungs-
stätten für die deutsche Jugend. Den Deutschen wurden zumeist ihre deutschen
Lehrer und Priester genommen; die Jugend wuchs, wo keine deutschen Privat¬
schulen bestanden, in Unwissenheit auf und wurde sogar hier und da von den
polnischen Lehrern gequält. In den Städten verloren die Bürger und Beamten
infolge dieses Druckes ihr deutsches Volkstum. Ebenso wurden viele Dorf¬
bewohner, besonders in den kleineren Anftedlungen im Westen durch polnische
Kirche und Schule entnationalisiert. Der Bestand von zweihundert lebens¬
kräftigen dörflichen Ansiedlungen wurde totgeschwiegen. Bei den Volkszählungen
trachtete man die Zahl der Deutschen durch allerlei Kunstgriffe herabzudrücken;
ganze deutsche Dörfer wurden für polnisch ausgegeben. Auch bei der neuen
Landtagswahlrcform wurde den Deutschen jede Vertretung im Landtag versagt.
Bei ihren darauf gerichteten Bestrebungen verhielten sich auch die Ruthenen
ablehnend, obgleich diese von den Deutschen im politischen Leben wiederholt
unterstützt wurden und auch sonst den Wert des deutschen Kulturelementes zu
schätzen wissen. So konnten hunderttausend Deutsche in Galizien kein Mandat
erringen, während auf je fünfundzwanzigtausend Polen ein Mandat entfällt.
Aber auch sonst werden die Rechte der Deutschen auf Schritt und Tritt mi߬
achtet und sie um ihre staatsgnmdgesetzUchen Rechte gebracht. Im Oktober 1909
ist eS geschehen, daß das K. K. Bezirksgericht in Jaworow die Frau des
deutschen Landwirtes Schönhofer zu 48 Stunden Arrest verurteilt hat, weil sie
unter Hinweis auf ihre sehr mangelhafte Kenntnis der polnischen und ruthenischen
Sprache eine Zeugenaussage in deutscher Sprache machen wollte. Die an¬
gesehene Frau mußte schließlich sofort 24 Stunden im Arrest zubringen, obwohl
sie darauf verwies, daß sie ein drei Monate altes Kind zu stillen habe. Ebenso
kerkerte man den deutschen Ansiedler Josef Massinger aus Münchental vier


Die Selbständigkeit Galiziens und die Deutschen

sonders scharf zum Ausdruck kam. In der Folge wurde in diesem Sinne weiter
gearbeitet; es mag hier genügen zu bemerken, daß man es auch zustande
brachte, die für die Sicherheit des Eisenbahndienstes vorgeschriebene deutsche
Dienstsprache zu vernachlässigen, was militärischerseits oft gerügt wurde.

Wie man sieht, hat Galizien schon seit fünf Jahrzehnten eine Ausnahms¬
stellung in Österreich. In welcher Richtung sich der von den Polen gewünschte
Ausbau der Sonderstellung weiter entwickeln soll, ist aus dem eben Angeführten
zu ersehen. Unzweifelhaft wird man das zu erlangen suchen, was von den
Wünschen von 1868 noch nicht verwirklicht ist.

Wie wurden und werden die Interessen der Deutschen durch die Entwicklung
seit 1866 beeinflußt?

Schon nach dem oben Angeführten ist zu entnehmen, daß die für Galizien
errungenen Sonderrechte nur den Polen zugute kommen, daß die Deutschen und
Ruthenen schwer geschädigt wurden. Wir haben gesehen, wie die deutschen
Schulen, die deutschen Universitäten, die deutsche Amtssprache rasch beseitigt
wurden. Die deutschen Beamten und Professoren mußten außer Landes gehen.
Die polnischen Mittelschulen und Lehrerbildungsanstalten wurden Polonisierungs-
stätten für die deutsche Jugend. Den Deutschen wurden zumeist ihre deutschen
Lehrer und Priester genommen; die Jugend wuchs, wo keine deutschen Privat¬
schulen bestanden, in Unwissenheit auf und wurde sogar hier und da von den
polnischen Lehrern gequält. In den Städten verloren die Bürger und Beamten
infolge dieses Druckes ihr deutsches Volkstum. Ebenso wurden viele Dorf¬
bewohner, besonders in den kleineren Anftedlungen im Westen durch polnische
Kirche und Schule entnationalisiert. Der Bestand von zweihundert lebens¬
kräftigen dörflichen Ansiedlungen wurde totgeschwiegen. Bei den Volkszählungen
trachtete man die Zahl der Deutschen durch allerlei Kunstgriffe herabzudrücken;
ganze deutsche Dörfer wurden für polnisch ausgegeben. Auch bei der neuen
Landtagswahlrcform wurde den Deutschen jede Vertretung im Landtag versagt.
Bei ihren darauf gerichteten Bestrebungen verhielten sich auch die Ruthenen
ablehnend, obgleich diese von den Deutschen im politischen Leben wiederholt
unterstützt wurden und auch sonst den Wert des deutschen Kulturelementes zu
schätzen wissen. So konnten hunderttausend Deutsche in Galizien kein Mandat
erringen, während auf je fünfundzwanzigtausend Polen ein Mandat entfällt.
Aber auch sonst werden die Rechte der Deutschen auf Schritt und Tritt mi߬
achtet und sie um ihre staatsgnmdgesetzUchen Rechte gebracht. Im Oktober 1909
ist eS geschehen, daß das K. K. Bezirksgericht in Jaworow die Frau des
deutschen Landwirtes Schönhofer zu 48 Stunden Arrest verurteilt hat, weil sie
unter Hinweis auf ihre sehr mangelhafte Kenntnis der polnischen und ruthenischen
Sprache eine Zeugenaussage in deutscher Sprache machen wollte. Die an¬
gesehene Frau mußte schließlich sofort 24 Stunden im Arrest zubringen, obwohl
sie darauf verwies, daß sie ein drei Monate altes Kind zu stillen habe. Ebenso
kerkerte man den deutschen Ansiedler Josef Massinger aus Münchental vier


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/336>, abgerufen am 23.07.2024.