Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Selbständigkeit Galiziens und die Deutschen

Der Landtag stellt folgenden Antrag: "Dem^ Königreich Galizien und
Lodomerien samt dem Großherzogtum Krakau wird die nationale Selbstver¬
waltung in dem seinen Bedürfnissen und den besonderen Landesverhältnissen
entsprechendem Maße zuerkannt, vor allem:

Der Landtag wird ausschließlich den Modus der Reichsratswahlen zu be¬
stimmen haben.

Die galizische Landtagsdelegation wird an den Beratungen des Reichsrates
nur bezüglich der diesem Königreiche mit den anderen im Reichsrate vertretenen
Teilen der Monarchie gemeinsamen Angelegenheiten teilnehmen.

Zur Bedeckung der Auslagen der Administration und des Gerichtswesens,
des Kultus und Unterrichtes, der öffentlichen Sicherheit und der Landeskultur
in Galizien wird aus dem Staatsschatze zur Verfügung des Landtages eine
dem wirklichen Bedarfs entsprechende Quote ausgeschieden und in betreff der
Details die Verwendung der reichsrätlichen Kompetenz entzogen.

Die Salzwerke im Königreiche werden ohne Bewilligung des Landtages
dieses Königreiches weder verkauft noch eingetauscht oder belastet.

Das Königreich Galizien und Lodomerien samt Krakau wird einen eigenen
obersten Gerichts- und Kassationshof erhalten.

Das Königreich wird eine dem Landtag verantwortliche Landesverwaltung
in Sachen der inneren Verwaltung, der Justiz, des Unterrichts, der öffentlichen
Sicherheit und der Landeskultur, sowie einen Landesminister im Rate der
Krone erhalten."

In einem besondern Abschnitt werden die zahlreichen Gegenstände auf¬
gezählt, über die der Landtag selbst zu entscheiden hat. Man ersieht daraus,
daß die Polen Galizien schon damals zu einer von Österreich völlig un¬
abhängigen Provinz zu machen beabsichtigten, nur daß sie des österreichischen
(d. h. deutschen) Geldes nicht entraten konnten: mit diesem wollten sie aber
ganz nach eigenem Gutdünken wirtschaften.

Ihr eigentliches Ziel war aber die Loslösung Galiziens von Österreich.
Darüber läßt die Debatte im Landtage vom Herbst 1868 gar keinen Zweifel
übrig. "Alle Konzessionen der Polen hatten nur gedient ihre Aspiration zu
steigern."

Es ist begreiflich, daß die Vorgänge im galizischen Landtage und die ge¬
faßte Resolution in Wien nicht geringe Mißstimmung erregten. Ministerium
und Reichstag verhielten sich ablehnend. Die Polen drohten und drängten und
der Erfolg blieb nicht aus. Es genügt hier zu bemerken, daß zufolge der Er¬
lasse vom 5. und 11. Juni 1869 die deutschen Beamten in Galizien entlassen
oder versetzt wurden, die Lemberger Universität wurde polonisiert und 1871 das
Ministerium für Galizien geschaffen, wodurch die Sonderstellung Galiziens be-



*) Vgl. Kölner, "Parlament und Verfassung in Österreich", I. S. 364. Dazu Fischel,
"Das österreichische Sprachenrecht und Materialien zur Sprachenfrage in Osterreich" (Brünn
1SV1 und 1902).
21*
Die Selbständigkeit Galiziens und die Deutschen

Der Landtag stellt folgenden Antrag: „Dem^ Königreich Galizien und
Lodomerien samt dem Großherzogtum Krakau wird die nationale Selbstver¬
waltung in dem seinen Bedürfnissen und den besonderen Landesverhältnissen
entsprechendem Maße zuerkannt, vor allem:

Der Landtag wird ausschließlich den Modus der Reichsratswahlen zu be¬
stimmen haben.

Die galizische Landtagsdelegation wird an den Beratungen des Reichsrates
nur bezüglich der diesem Königreiche mit den anderen im Reichsrate vertretenen
Teilen der Monarchie gemeinsamen Angelegenheiten teilnehmen.

Zur Bedeckung der Auslagen der Administration und des Gerichtswesens,
des Kultus und Unterrichtes, der öffentlichen Sicherheit und der Landeskultur
in Galizien wird aus dem Staatsschatze zur Verfügung des Landtages eine
dem wirklichen Bedarfs entsprechende Quote ausgeschieden und in betreff der
Details die Verwendung der reichsrätlichen Kompetenz entzogen.

Die Salzwerke im Königreiche werden ohne Bewilligung des Landtages
dieses Königreiches weder verkauft noch eingetauscht oder belastet.

Das Königreich Galizien und Lodomerien samt Krakau wird einen eigenen
obersten Gerichts- und Kassationshof erhalten.

Das Königreich wird eine dem Landtag verantwortliche Landesverwaltung
in Sachen der inneren Verwaltung, der Justiz, des Unterrichts, der öffentlichen
Sicherheit und der Landeskultur, sowie einen Landesminister im Rate der
Krone erhalten."

In einem besondern Abschnitt werden die zahlreichen Gegenstände auf¬
gezählt, über die der Landtag selbst zu entscheiden hat. Man ersieht daraus,
daß die Polen Galizien schon damals zu einer von Österreich völlig un¬
abhängigen Provinz zu machen beabsichtigten, nur daß sie des österreichischen
(d. h. deutschen) Geldes nicht entraten konnten: mit diesem wollten sie aber
ganz nach eigenem Gutdünken wirtschaften.

Ihr eigentliches Ziel war aber die Loslösung Galiziens von Österreich.
Darüber läßt die Debatte im Landtage vom Herbst 1868 gar keinen Zweifel
übrig. „Alle Konzessionen der Polen hatten nur gedient ihre Aspiration zu
steigern."

Es ist begreiflich, daß die Vorgänge im galizischen Landtage und die ge¬
faßte Resolution in Wien nicht geringe Mißstimmung erregten. Ministerium
und Reichstag verhielten sich ablehnend. Die Polen drohten und drängten und
der Erfolg blieb nicht aus. Es genügt hier zu bemerken, daß zufolge der Er¬
lasse vom 5. und 11. Juni 1869 die deutschen Beamten in Galizien entlassen
oder versetzt wurden, die Lemberger Universität wurde polonisiert und 1871 das
Ministerium für Galizien geschaffen, wodurch die Sonderstellung Galiziens be-



*) Vgl. Kölner, „Parlament und Verfassung in Österreich", I. S. 364. Dazu Fischel,
„Das österreichische Sprachenrecht und Materialien zur Sprachenfrage in Osterreich" (Brünn
1SV1 und 1902).
21*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0335" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331307"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Selbständigkeit Galiziens und die Deutschen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1187"> Der Landtag stellt folgenden Antrag: &#x201E;Dem^ Königreich Galizien und<lb/>
Lodomerien samt dem Großherzogtum Krakau wird die nationale Selbstver¬<lb/>
waltung in dem seinen Bedürfnissen und den besonderen Landesverhältnissen<lb/>
entsprechendem Maße zuerkannt, vor allem:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1188"> Der Landtag wird ausschließlich den Modus der Reichsratswahlen zu be¬<lb/>
stimmen haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1189"> Die galizische Landtagsdelegation wird an den Beratungen des Reichsrates<lb/>
nur bezüglich der diesem Königreiche mit den anderen im Reichsrate vertretenen<lb/>
Teilen der Monarchie gemeinsamen Angelegenheiten teilnehmen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1190"> Zur Bedeckung der Auslagen der Administration und des Gerichtswesens,<lb/>
des Kultus und Unterrichtes, der öffentlichen Sicherheit und der Landeskultur<lb/>
in Galizien wird aus dem Staatsschatze zur Verfügung des Landtages eine<lb/>
dem wirklichen Bedarfs entsprechende Quote ausgeschieden und in betreff der<lb/>
Details die Verwendung der reichsrätlichen Kompetenz entzogen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1191"> Die Salzwerke im Königreiche werden ohne Bewilligung des Landtages<lb/>
dieses Königreiches weder verkauft noch eingetauscht oder belastet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1192"> Das Königreich Galizien und Lodomerien samt Krakau wird einen eigenen<lb/>
obersten Gerichts- und Kassationshof erhalten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1193"> Das Königreich wird eine dem Landtag verantwortliche Landesverwaltung<lb/>
in Sachen der inneren Verwaltung, der Justiz, des Unterrichts, der öffentlichen<lb/>
Sicherheit und der Landeskultur, sowie einen Landesminister im Rate der<lb/>
Krone erhalten."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1194"> In einem besondern Abschnitt werden die zahlreichen Gegenstände auf¬<lb/>
gezählt, über die der Landtag selbst zu entscheiden hat. Man ersieht daraus,<lb/>
daß die Polen Galizien schon damals zu einer von Österreich völlig un¬<lb/>
abhängigen Provinz zu machen beabsichtigten, nur daß sie des österreichischen<lb/>
(d. h. deutschen) Geldes nicht entraten konnten: mit diesem wollten sie aber<lb/>
ganz nach eigenem Gutdünken wirtschaften.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1195"> Ihr eigentliches Ziel war aber die Loslösung Galiziens von Österreich.<lb/>
Darüber läßt die Debatte im Landtage vom Herbst 1868 gar keinen Zweifel<lb/>
übrig. &#x201E;Alle Konzessionen der Polen hatten nur gedient ihre Aspiration zu<lb/>
steigern."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1196" next="#ID_1197"> Es ist begreiflich, daß die Vorgänge im galizischen Landtage und die ge¬<lb/>
faßte Resolution in Wien nicht geringe Mißstimmung erregten. Ministerium<lb/>
und Reichstag verhielten sich ablehnend. Die Polen drohten und drängten und<lb/>
der Erfolg blieb nicht aus. Es genügt hier zu bemerken, daß zufolge der Er¬<lb/>
lasse vom 5. und 11. Juni 1869 die deutschen Beamten in Galizien entlassen<lb/>
oder versetzt wurden, die Lemberger Universität wurde polonisiert und 1871 das<lb/>
Ministerium für Galizien geschaffen, wodurch die Sonderstellung Galiziens be-</p><lb/>
          <note xml:id="FID_58" place="foot"> *) Vgl. Kölner, &#x201E;Parlament und Verfassung in Österreich", I. S. 364. Dazu Fischel,<lb/>
&#x201E;Das österreichische Sprachenrecht und Materialien zur Sprachenfrage in Osterreich" (Brünn<lb/>
1SV1 und 1902).</note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 21*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0335] Die Selbständigkeit Galiziens und die Deutschen Der Landtag stellt folgenden Antrag: „Dem^ Königreich Galizien und Lodomerien samt dem Großherzogtum Krakau wird die nationale Selbstver¬ waltung in dem seinen Bedürfnissen und den besonderen Landesverhältnissen entsprechendem Maße zuerkannt, vor allem: Der Landtag wird ausschließlich den Modus der Reichsratswahlen zu be¬ stimmen haben. Die galizische Landtagsdelegation wird an den Beratungen des Reichsrates nur bezüglich der diesem Königreiche mit den anderen im Reichsrate vertretenen Teilen der Monarchie gemeinsamen Angelegenheiten teilnehmen. Zur Bedeckung der Auslagen der Administration und des Gerichtswesens, des Kultus und Unterrichtes, der öffentlichen Sicherheit und der Landeskultur in Galizien wird aus dem Staatsschatze zur Verfügung des Landtages eine dem wirklichen Bedarfs entsprechende Quote ausgeschieden und in betreff der Details die Verwendung der reichsrätlichen Kompetenz entzogen. Die Salzwerke im Königreiche werden ohne Bewilligung des Landtages dieses Königreiches weder verkauft noch eingetauscht oder belastet. Das Königreich Galizien und Lodomerien samt Krakau wird einen eigenen obersten Gerichts- und Kassationshof erhalten. Das Königreich wird eine dem Landtag verantwortliche Landesverwaltung in Sachen der inneren Verwaltung, der Justiz, des Unterrichts, der öffentlichen Sicherheit und der Landeskultur, sowie einen Landesminister im Rate der Krone erhalten." In einem besondern Abschnitt werden die zahlreichen Gegenstände auf¬ gezählt, über die der Landtag selbst zu entscheiden hat. Man ersieht daraus, daß die Polen Galizien schon damals zu einer von Österreich völlig un¬ abhängigen Provinz zu machen beabsichtigten, nur daß sie des österreichischen (d. h. deutschen) Geldes nicht entraten konnten: mit diesem wollten sie aber ganz nach eigenem Gutdünken wirtschaften. Ihr eigentliches Ziel war aber die Loslösung Galiziens von Österreich. Darüber läßt die Debatte im Landtage vom Herbst 1868 gar keinen Zweifel übrig. „Alle Konzessionen der Polen hatten nur gedient ihre Aspiration zu steigern." Es ist begreiflich, daß die Vorgänge im galizischen Landtage und die ge¬ faßte Resolution in Wien nicht geringe Mißstimmung erregten. Ministerium und Reichstag verhielten sich ablehnend. Die Polen drohten und drängten und der Erfolg blieb nicht aus. Es genügt hier zu bemerken, daß zufolge der Er¬ lasse vom 5. und 11. Juni 1869 die deutschen Beamten in Galizien entlassen oder versetzt wurden, die Lemberger Universität wurde polonisiert und 1871 das Ministerium für Galizien geschaffen, wodurch die Sonderstellung Galiziens be- *) Vgl. Kölner, „Parlament und Verfassung in Österreich", I. S. 364. Dazu Fischel, „Das österreichische Sprachenrecht und Materialien zur Sprachenfrage in Osterreich" (Brünn 1SV1 und 1902). 21*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/335
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/335>, abgerufen am 23.07.2024.