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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Die deutschen Ginwanderungen in Siebenbürgen

Zu beachten ist auch die alte siebenbürgische Sage, wonach die Sachsen
am Meere wohnten, wo vier Flüsse einmünden, die aber alle aus einem
kommen. Sie würde auch auf die Rheinmündung als Urheimat der Sachsen
hinweisen. -- Auffallend ist ferner, daß das alte Siegel des Hermannstädter
Gaues, das aus dem vierzehnten Jahrhundert stammt, drei Seeblumenblätter
führt. Endlich darf hier eine Redensart erwähnt werden, die man manchmal
in Kronstäbe hören kann, wonach Menschen, die sich sehr verdutzt zeigen, ge¬
sagt wird: "Du machst ein Gesicht, als wärest du gestern aus Holland ge¬
kommen". Doch ist diese Redensart vielleicht erst später entstanden und hat
ihren Ursprung eben erst der Theorie von der holländischen Abstammung der
Sachsen zu verdanken.

Der offizielle Namen der Einwanderer lautet jedoch nicht "Flandrer",
sondern "Teutonici" und "Saxones". Auch diese Benennungen besagen aller¬
dings nichts über die Herkunft, da sie allgemeine Kolonistennamen in Ungarn
waren.

Genauere Auskünfte über die Urheimat der Sachsen geben uns jedoch die
Dialektforschungen. Man hat gefunden, daß der siebenbürgisch-sächsische Dialekt
unter allen Mundarten Deutschlands die größte Verwandtschaft mit dem mittel¬
fränkischen Dialekt hat, der zwischen Trier und Düsseldorf, also in Köln, Bonn,
Koblenz, Trier und Aachen sowie im nordwestlichen Teile Deutsch-Lothringens
und im heutigen Luxemburg gesprochen wird. Demnach muß der größte Teil
der "Sachsen" aus dieser Gegend stammen. Die neuesten Forschungen auf diesem
Gebiete haben hierfür tatsächlich den deutlichsten Erweis gebracht. Sind doch
für einzelne Gegenden sogar Ortsbenennungen, Personen--, Fluß- und Riednamen
nachgewiesen, die einfach nach Siebenbürgen übernommen wurden. Auch Rechts¬
gewohnheiten, Sitten und Bräuche, Sagen, Märchen und Mythen aller Art
deuten hierher. Geradezu ergreifend, in wissenschaftlicher Hinsicht aber durch¬
schlagend zu nennen ist die folgende Begebenheit, die uns einer unser hervor¬
ragendsten sächsischen Dialektforscher (Stadtpfarrer v. Schullerus in Hermann¬
stadt) erzählt. Droben im Luxemburgischen war es, wo er und seine Genossen
gelegentlich einer wissenschaftlichen Forschungsreise in einer einfachen Dorfschenke
eingekehrt waren; sie saßen mit einigen schlichten Leuten zusammen und unter¬
hielten sich, jeder in seinem eigenen Dialekt. Man verstand sich vorzüglich. Nach
einer Weile fragt Schullerus: "Was meint ihr, sind wir aus dieser Gegend?"
"Ja", wird ihm geantwortet, "aber ihr seid lange aus dieser Gegend hier
weg". -- "Gewiß", sagt Schullerus, "es sind 760 Jahre her". Ein neu¬
gieriges Aufsehen. Schullerus erzählt nun und es zieht wie ein stilles Erinnern
durch den Raum.

Weniger sicher als über die Herkunft sind wir über den Weg orientiert,
den die Auswanderer nach Siebenbürgen genommen. Der Sage nach sollen
sie über Oberungarn gekommen sein, wo eine Anzahl Familien, ermüdet von
den Anstrengungen der Wanderschaft, zurückgeblieben seien. Von ihnen stammen


Die deutschen Ginwanderungen in Siebenbürgen

Zu beachten ist auch die alte siebenbürgische Sage, wonach die Sachsen
am Meere wohnten, wo vier Flüsse einmünden, die aber alle aus einem
kommen. Sie würde auch auf die Rheinmündung als Urheimat der Sachsen
hinweisen. — Auffallend ist ferner, daß das alte Siegel des Hermannstädter
Gaues, das aus dem vierzehnten Jahrhundert stammt, drei Seeblumenblätter
führt. Endlich darf hier eine Redensart erwähnt werden, die man manchmal
in Kronstäbe hören kann, wonach Menschen, die sich sehr verdutzt zeigen, ge¬
sagt wird: „Du machst ein Gesicht, als wärest du gestern aus Holland ge¬
kommen". Doch ist diese Redensart vielleicht erst später entstanden und hat
ihren Ursprung eben erst der Theorie von der holländischen Abstammung der
Sachsen zu verdanken.

Der offizielle Namen der Einwanderer lautet jedoch nicht „Flandrer",
sondern „Teutonici" und „Saxones". Auch diese Benennungen besagen aller¬
dings nichts über die Herkunft, da sie allgemeine Kolonistennamen in Ungarn
waren.

Genauere Auskünfte über die Urheimat der Sachsen geben uns jedoch die
Dialektforschungen. Man hat gefunden, daß der siebenbürgisch-sächsische Dialekt
unter allen Mundarten Deutschlands die größte Verwandtschaft mit dem mittel¬
fränkischen Dialekt hat, der zwischen Trier und Düsseldorf, also in Köln, Bonn,
Koblenz, Trier und Aachen sowie im nordwestlichen Teile Deutsch-Lothringens
und im heutigen Luxemburg gesprochen wird. Demnach muß der größte Teil
der „Sachsen" aus dieser Gegend stammen. Die neuesten Forschungen auf diesem
Gebiete haben hierfür tatsächlich den deutlichsten Erweis gebracht. Sind doch
für einzelne Gegenden sogar Ortsbenennungen, Personen--, Fluß- und Riednamen
nachgewiesen, die einfach nach Siebenbürgen übernommen wurden. Auch Rechts¬
gewohnheiten, Sitten und Bräuche, Sagen, Märchen und Mythen aller Art
deuten hierher. Geradezu ergreifend, in wissenschaftlicher Hinsicht aber durch¬
schlagend zu nennen ist die folgende Begebenheit, die uns einer unser hervor¬
ragendsten sächsischen Dialektforscher (Stadtpfarrer v. Schullerus in Hermann¬
stadt) erzählt. Droben im Luxemburgischen war es, wo er und seine Genossen
gelegentlich einer wissenschaftlichen Forschungsreise in einer einfachen Dorfschenke
eingekehrt waren; sie saßen mit einigen schlichten Leuten zusammen und unter¬
hielten sich, jeder in seinem eigenen Dialekt. Man verstand sich vorzüglich. Nach
einer Weile fragt Schullerus: „Was meint ihr, sind wir aus dieser Gegend?"
„Ja", wird ihm geantwortet, „aber ihr seid lange aus dieser Gegend hier
weg". — „Gewiß", sagt Schullerus, „es sind 760 Jahre her". Ein neu¬
gieriges Aufsehen. Schullerus erzählt nun und es zieht wie ein stilles Erinnern
durch den Raum.

Weniger sicher als über die Herkunft sind wir über den Weg orientiert,
den die Auswanderer nach Siebenbürgen genommen. Der Sage nach sollen
sie über Oberungarn gekommen sein, wo eine Anzahl Familien, ermüdet von
den Anstrengungen der Wanderschaft, zurückgeblieben seien. Von ihnen stammen


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[0289] Die deutschen Ginwanderungen in Siebenbürgen Zu beachten ist auch die alte siebenbürgische Sage, wonach die Sachsen am Meere wohnten, wo vier Flüsse einmünden, die aber alle aus einem kommen. Sie würde auch auf die Rheinmündung als Urheimat der Sachsen hinweisen. — Auffallend ist ferner, daß das alte Siegel des Hermannstädter Gaues, das aus dem vierzehnten Jahrhundert stammt, drei Seeblumenblätter führt. Endlich darf hier eine Redensart erwähnt werden, die man manchmal in Kronstäbe hören kann, wonach Menschen, die sich sehr verdutzt zeigen, ge¬ sagt wird: „Du machst ein Gesicht, als wärest du gestern aus Holland ge¬ kommen". Doch ist diese Redensart vielleicht erst später entstanden und hat ihren Ursprung eben erst der Theorie von der holländischen Abstammung der Sachsen zu verdanken. Der offizielle Namen der Einwanderer lautet jedoch nicht „Flandrer", sondern „Teutonici" und „Saxones". Auch diese Benennungen besagen aller¬ dings nichts über die Herkunft, da sie allgemeine Kolonistennamen in Ungarn waren. Genauere Auskünfte über die Urheimat der Sachsen geben uns jedoch die Dialektforschungen. Man hat gefunden, daß der siebenbürgisch-sächsische Dialekt unter allen Mundarten Deutschlands die größte Verwandtschaft mit dem mittel¬ fränkischen Dialekt hat, der zwischen Trier und Düsseldorf, also in Köln, Bonn, Koblenz, Trier und Aachen sowie im nordwestlichen Teile Deutsch-Lothringens und im heutigen Luxemburg gesprochen wird. Demnach muß der größte Teil der „Sachsen" aus dieser Gegend stammen. Die neuesten Forschungen auf diesem Gebiete haben hierfür tatsächlich den deutlichsten Erweis gebracht. Sind doch für einzelne Gegenden sogar Ortsbenennungen, Personen--, Fluß- und Riednamen nachgewiesen, die einfach nach Siebenbürgen übernommen wurden. Auch Rechts¬ gewohnheiten, Sitten und Bräuche, Sagen, Märchen und Mythen aller Art deuten hierher. Geradezu ergreifend, in wissenschaftlicher Hinsicht aber durch¬ schlagend zu nennen ist die folgende Begebenheit, die uns einer unser hervor¬ ragendsten sächsischen Dialektforscher (Stadtpfarrer v. Schullerus in Hermann¬ stadt) erzählt. Droben im Luxemburgischen war es, wo er und seine Genossen gelegentlich einer wissenschaftlichen Forschungsreise in einer einfachen Dorfschenke eingekehrt waren; sie saßen mit einigen schlichten Leuten zusammen und unter¬ hielten sich, jeder in seinem eigenen Dialekt. Man verstand sich vorzüglich. Nach einer Weile fragt Schullerus: „Was meint ihr, sind wir aus dieser Gegend?" „Ja", wird ihm geantwortet, „aber ihr seid lange aus dieser Gegend hier weg". — „Gewiß", sagt Schullerus, „es sind 760 Jahre her". Ein neu¬ gieriges Aufsehen. Schullerus erzählt nun und es zieht wie ein stilles Erinnern durch den Raum. Weniger sicher als über die Herkunft sind wir über den Weg orientiert, den die Auswanderer nach Siebenbürgen genommen. Der Sage nach sollen sie über Oberungarn gekommen sein, wo eine Anzahl Familien, ermüdet von den Anstrengungen der Wanderschaft, zurückgeblieben seien. Von ihnen stammen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/289>, abgerufen am 23.07.2024.