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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Die Entlassung Kriegsgefangener gegen Ehrenwort

die zweideutige Lage eines Offiziers hin, der nach seiner Entlassung aus feind¬
licher Kriegsgefangenschaft in seinem Vaterlande durch sein Ehrenwort ge¬
bunden, untätig den Opfern seiner Kameraden und seines Volkes zusehen
müsse. Aus solchen Gründen treten neuerdings Gesetze, Kriegsartikel und
auch die öffentliche Meinung der Entlassung Kriegsgefangener gegen Ehrenwort
entgegen, ja nach österre.chischem Gesetze ist Offizieren und Soldaten gänzlich
verboten, die endgültige Freiheit gegen Ehrenwort anzunehmen.

Diese Sachlage fanden die großen internationalen Zusammenkünste im
Haag, die über das Völkerkriegsrecht berieten, vor. Es blieb bei der Frage
des Widerstreites zwischen der Obrigkeit des Kriegsgefangenen und dem
Rechte des Feindes aus dem Versprechen nichts anderes übrig, als dem Staats¬
recht den Vorrang zu lassen, und nur für den Fall völkerrechtliche Bestimmungen
festzusetzen, daß die Gesetze des Heimatsstaates die Entlassung auf Ehrenwort
gestatten.

Daher stellt sich das internationale Recht der ehrenwörtlichen Entlassung
aus der Kriegsgefangenschaft heute in den Artikeln 10--12 der im Haag 1899
und 1907 festgelegten: "Ordnung der Gesetze und Gebräuche des Landkrieges"
folgendermaßen dar:

Art. 10.

"Kriegsgefangene können gegen Ehrenwort freigelassen werden, wenn die
Gesetze ihres Landes sie dazu ermächtigen. Sie find dann bei ihrer persön¬
lichen Ehre verbunden, die übernommenen Verpflichtungen sowohl ihrer eigenen
Regierung als auch dem Staate gegenüber, der sie zu Kriegsgefangenen ge¬
gemacht hat, gewissenhaft zu erfüllen. Ihre Regierung ist in solchem Falle
verpflichtet, keinerlei Dienste zu verlangen oder anzunehmen, die dem gege¬
benen Ehrenwort widersprechen."

Art. 11.

"Ein Kriegsgefangener kann nicht gezwungen werden, seine Freilassung
gegen Ehrenwort anzunehmen; ebensowenig ist die feindliche Regierung ver¬
pflichtet, dem Antrag eines Kriegsgefangenen auf Entlastung gegen Ehren-
wort zu entsprechen."

Art. 12.

"Jeder gegen Ehrenwort entlassener Kriegsgefangener, der gegen den
Staat, dem gegenüber er die Ehrenverpflichtung eingegangen ist, oder gegen
dessen Verbündete die Waffen trägt und wieder ergriffen wird, verliert das
Recht der Behandlung als Kriegsgefangener und kann vor Gericht gestellt
werden".

Es können demnach nicht nur Offiziere sondern auch Soldaten der Ver¬
günstigung teilhaftig werden. Kein Kriegsgefangener aber kann zur Abgabe
des Ehrenworts gezwungen werden. Ebenso hat jeder Staat das Recht zu
bestimmen, ob er Entlassungen gegen Ehrenwort vornehmen will oder nicht;
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Grenzboten IV Is
Die Entlassung Kriegsgefangener gegen Ehrenwort

die zweideutige Lage eines Offiziers hin, der nach seiner Entlassung aus feind¬
licher Kriegsgefangenschaft in seinem Vaterlande durch sein Ehrenwort ge¬
bunden, untätig den Opfern seiner Kameraden und seines Volkes zusehen
müsse. Aus solchen Gründen treten neuerdings Gesetze, Kriegsartikel und
auch die öffentliche Meinung der Entlassung Kriegsgefangener gegen Ehrenwort
entgegen, ja nach österre.chischem Gesetze ist Offizieren und Soldaten gänzlich
verboten, die endgültige Freiheit gegen Ehrenwort anzunehmen.

Diese Sachlage fanden die großen internationalen Zusammenkünste im
Haag, die über das Völkerkriegsrecht berieten, vor. Es blieb bei der Frage
des Widerstreites zwischen der Obrigkeit des Kriegsgefangenen und dem
Rechte des Feindes aus dem Versprechen nichts anderes übrig, als dem Staats¬
recht den Vorrang zu lassen, und nur für den Fall völkerrechtliche Bestimmungen
festzusetzen, daß die Gesetze des Heimatsstaates die Entlassung auf Ehrenwort
gestatten.

Daher stellt sich das internationale Recht der ehrenwörtlichen Entlassung
aus der Kriegsgefangenschaft heute in den Artikeln 10—12 der im Haag 1899
und 1907 festgelegten: „Ordnung der Gesetze und Gebräuche des Landkrieges"
folgendermaßen dar:

Art. 10.

„Kriegsgefangene können gegen Ehrenwort freigelassen werden, wenn die
Gesetze ihres Landes sie dazu ermächtigen. Sie find dann bei ihrer persön¬
lichen Ehre verbunden, die übernommenen Verpflichtungen sowohl ihrer eigenen
Regierung als auch dem Staate gegenüber, der sie zu Kriegsgefangenen ge¬
gemacht hat, gewissenhaft zu erfüllen. Ihre Regierung ist in solchem Falle
verpflichtet, keinerlei Dienste zu verlangen oder anzunehmen, die dem gege¬
benen Ehrenwort widersprechen."

Art. 11.

„Ein Kriegsgefangener kann nicht gezwungen werden, seine Freilassung
gegen Ehrenwort anzunehmen; ebensowenig ist die feindliche Regierung ver¬
pflichtet, dem Antrag eines Kriegsgefangenen auf Entlastung gegen Ehren-
wort zu entsprechen."

Art. 12.

„Jeder gegen Ehrenwort entlassener Kriegsgefangener, der gegen den
Staat, dem gegenüber er die Ehrenverpflichtung eingegangen ist, oder gegen
dessen Verbündete die Waffen trägt und wieder ergriffen wird, verliert das
Recht der Behandlung als Kriegsgefangener und kann vor Gericht gestellt
werden".

Es können demnach nicht nur Offiziere sondern auch Soldaten der Ver¬
günstigung teilhaftig werden. Kein Kriegsgefangener aber kann zur Abgabe
des Ehrenworts gezwungen werden. Ebenso hat jeder Staat das Recht zu
bestimmen, ob er Entlassungen gegen Ehrenwort vornehmen will oder nicht;
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[0253] Die Entlassung Kriegsgefangener gegen Ehrenwort die zweideutige Lage eines Offiziers hin, der nach seiner Entlassung aus feind¬ licher Kriegsgefangenschaft in seinem Vaterlande durch sein Ehrenwort ge¬ bunden, untätig den Opfern seiner Kameraden und seines Volkes zusehen müsse. Aus solchen Gründen treten neuerdings Gesetze, Kriegsartikel und auch die öffentliche Meinung der Entlassung Kriegsgefangener gegen Ehrenwort entgegen, ja nach österre.chischem Gesetze ist Offizieren und Soldaten gänzlich verboten, die endgültige Freiheit gegen Ehrenwort anzunehmen. Diese Sachlage fanden die großen internationalen Zusammenkünste im Haag, die über das Völkerkriegsrecht berieten, vor. Es blieb bei der Frage des Widerstreites zwischen der Obrigkeit des Kriegsgefangenen und dem Rechte des Feindes aus dem Versprechen nichts anderes übrig, als dem Staats¬ recht den Vorrang zu lassen, und nur für den Fall völkerrechtliche Bestimmungen festzusetzen, daß die Gesetze des Heimatsstaates die Entlassung auf Ehrenwort gestatten. Daher stellt sich das internationale Recht der ehrenwörtlichen Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft heute in den Artikeln 10—12 der im Haag 1899 und 1907 festgelegten: „Ordnung der Gesetze und Gebräuche des Landkrieges" folgendermaßen dar: Art. 10. „Kriegsgefangene können gegen Ehrenwort freigelassen werden, wenn die Gesetze ihres Landes sie dazu ermächtigen. Sie find dann bei ihrer persön¬ lichen Ehre verbunden, die übernommenen Verpflichtungen sowohl ihrer eigenen Regierung als auch dem Staate gegenüber, der sie zu Kriegsgefangenen ge¬ gemacht hat, gewissenhaft zu erfüllen. Ihre Regierung ist in solchem Falle verpflichtet, keinerlei Dienste zu verlangen oder anzunehmen, die dem gege¬ benen Ehrenwort widersprechen." Art. 11. „Ein Kriegsgefangener kann nicht gezwungen werden, seine Freilassung gegen Ehrenwort anzunehmen; ebensowenig ist die feindliche Regierung ver¬ pflichtet, dem Antrag eines Kriegsgefangenen auf Entlastung gegen Ehren- wort zu entsprechen." Art. 12. „Jeder gegen Ehrenwort entlassener Kriegsgefangener, der gegen den Staat, dem gegenüber er die Ehrenverpflichtung eingegangen ist, oder gegen dessen Verbündete die Waffen trägt und wieder ergriffen wird, verliert das Recht der Behandlung als Kriegsgefangener und kann vor Gericht gestellt werden". Es können demnach nicht nur Offiziere sondern auch Soldaten der Ver¬ günstigung teilhaftig werden. Kein Kriegsgefangener aber kann zur Abgabe des Ehrenworts gezwungen werden. Ebenso hat jeder Staat das Recht zu bestimmen, ob er Entlassungen gegen Ehrenwort vornehmen will oder nicht; ' Grenzboten IV Is

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/253>, abgerufen am 23.07.2024.