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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Die Zukunft der deutschen Seeschiffahrt

Flotten nicht vorbeigehen ließen; konnten doch die "Neutralen" gar keinen
größeren Profit machen, als zu Wucherpreisen für die Ententemächte Kriegs¬
material und Lebensmittel zu führen. In welchem Umfange die einzelnen
Länder an diesem Kricgsfrachtgeschäft beteiligt sind, läßt sich zurzeit noch nicht
übersehen. Norwegen, das vor dem Kriege über eine Handelsflotte von noch
nicht ganz 1 ^ Millionen Tonnen verfügte, hat nach Angabe des norwegischen
Büros "Veritas" seit Kriegsausbruch Schiffe mit 700 000 bis 800 000 Tonnen
Ladefähigkeit bei ausländischen Schiffswerften bestellt. In Norwegen hat aller¬
dings die Ausnutzung der Konjunktur Formen angenommen, die an schlimmste
Gründerzeiten erinnern; nach Meldungen dortiger Zeitungen sind allein in der
Zeit von Juni bis Anfang September 1916 daselbst dreiunddreißig Reedereien
neu gegründet oder erweitert worden. In den anderen nentmleuropäischen
Staaten ist man auch nicht allzu zaghaft gewesen, wenn auch die deutsche
U-Boot-Tätigkeit recht unbequem wurde. Am wichtigsten sür die Zukunft aber
sind zweifelsohne die Anstrengungen, die die Vereinigten Staaten und Japan ge¬
macht haben und weiter machen werden, um ihre Flotten zu vergrößern. Die
Angaben darüber weichen ebenfalls weit voneinander ab, zweifellos aber wird
der Schiffsraum dieser Länder, von denen die Vereinigten Staaten bisher be¬
kanntlich in der Überseeschiffahrt nur eine geringe Rolle spielten, gleichfalls be¬
trächtlich wachsen. Nimmt man hinzu, daß die anderen Länder, namentlich
England, ihre Handelsflotten nach dem "barbarischen" Vorbilde Deutschlands
fester und straffer zu organisieren und in große Unternehmungen zusammen¬
zufassen beginnen, so ist es klar, daß die Konkurrenz recht groß sein wird.

Wie steht es nun mit der Beschäftigung nach dem Kriege? Kaum gibt
es eine Frage, in der die Ansichten der Praktiker soweit auseinandergehen als
hier. Der Personenverkehr über Meer zerfüllt in den Verkehr der Kajüt-
pafsagiere und den Zwischendeckverkehr. Der erstere kostet, der Auswanderer¬
verkehr bringt Verdienst. Es ist aber recht zweifelhaft, ob dieser Aus¬
wandererverkehr demnächst wieder einen größeren Umfang annehmen wird.
Die europäischen Regierungen werden bei den starken Menschenverlusten aus
dem Kriege jedenfalls einen solchen Verkehr nicht begünstigen; höchstens daß
Italien, das schon vorher seine Söhne nicht ernähren konnte, nun nach den
großen Opfern des Krieges selbst der dezimierten Bevölkerung keinen genügenden
Nahrungsspielraum mehr gewähren kann. So dürfte die Frachtschiffahrt das
wesentlichste Betätigungsfeld bleiben. Der Umfang des Frachtgutes nach dem
Kriege läßt sich aber noch in keiner Weise übersehen. Auf der einen Seite
verweist man darauf, wie stark der Bedarf und seine Deckung durch die Unter¬
brechung der Handelsbeziehungen zurückgepreßt sei, so daß sowohl Rohstoffe
wie Fertigerzeugnisse sogleich in gewaltigen Mengen zur Verschiffung kommen
müßten; dagegen behauptet man wieder auf der anderen Seite, durch den
Krieg seien solche Mengen von Rohstoffen aller Art verbraucht worden, daß in
den ersten Jahren eine ausgesprochene Knappheit herrschen müsse. Außerdem


Die Zukunft der deutschen Seeschiffahrt

Flotten nicht vorbeigehen ließen; konnten doch die „Neutralen" gar keinen
größeren Profit machen, als zu Wucherpreisen für die Ententemächte Kriegs¬
material und Lebensmittel zu führen. In welchem Umfange die einzelnen
Länder an diesem Kricgsfrachtgeschäft beteiligt sind, läßt sich zurzeit noch nicht
übersehen. Norwegen, das vor dem Kriege über eine Handelsflotte von noch
nicht ganz 1 ^ Millionen Tonnen verfügte, hat nach Angabe des norwegischen
Büros „Veritas" seit Kriegsausbruch Schiffe mit 700 000 bis 800 000 Tonnen
Ladefähigkeit bei ausländischen Schiffswerften bestellt. In Norwegen hat aller¬
dings die Ausnutzung der Konjunktur Formen angenommen, die an schlimmste
Gründerzeiten erinnern; nach Meldungen dortiger Zeitungen sind allein in der
Zeit von Juni bis Anfang September 1916 daselbst dreiunddreißig Reedereien
neu gegründet oder erweitert worden. In den anderen nentmleuropäischen
Staaten ist man auch nicht allzu zaghaft gewesen, wenn auch die deutsche
U-Boot-Tätigkeit recht unbequem wurde. Am wichtigsten sür die Zukunft aber
sind zweifelsohne die Anstrengungen, die die Vereinigten Staaten und Japan ge¬
macht haben und weiter machen werden, um ihre Flotten zu vergrößern. Die
Angaben darüber weichen ebenfalls weit voneinander ab, zweifellos aber wird
der Schiffsraum dieser Länder, von denen die Vereinigten Staaten bisher be¬
kanntlich in der Überseeschiffahrt nur eine geringe Rolle spielten, gleichfalls be¬
trächtlich wachsen. Nimmt man hinzu, daß die anderen Länder, namentlich
England, ihre Handelsflotten nach dem „barbarischen" Vorbilde Deutschlands
fester und straffer zu organisieren und in große Unternehmungen zusammen¬
zufassen beginnen, so ist es klar, daß die Konkurrenz recht groß sein wird.

Wie steht es nun mit der Beschäftigung nach dem Kriege? Kaum gibt
es eine Frage, in der die Ansichten der Praktiker soweit auseinandergehen als
hier. Der Personenverkehr über Meer zerfüllt in den Verkehr der Kajüt-
pafsagiere und den Zwischendeckverkehr. Der erstere kostet, der Auswanderer¬
verkehr bringt Verdienst. Es ist aber recht zweifelhaft, ob dieser Aus¬
wandererverkehr demnächst wieder einen größeren Umfang annehmen wird.
Die europäischen Regierungen werden bei den starken Menschenverlusten aus
dem Kriege jedenfalls einen solchen Verkehr nicht begünstigen; höchstens daß
Italien, das schon vorher seine Söhne nicht ernähren konnte, nun nach den
großen Opfern des Krieges selbst der dezimierten Bevölkerung keinen genügenden
Nahrungsspielraum mehr gewähren kann. So dürfte die Frachtschiffahrt das
wesentlichste Betätigungsfeld bleiben. Der Umfang des Frachtgutes nach dem
Kriege läßt sich aber noch in keiner Weise übersehen. Auf der einen Seite
verweist man darauf, wie stark der Bedarf und seine Deckung durch die Unter¬
brechung der Handelsbeziehungen zurückgepreßt sei, so daß sowohl Rohstoffe
wie Fertigerzeugnisse sogleich in gewaltigen Mengen zur Verschiffung kommen
müßten; dagegen behauptet man wieder auf der anderen Seite, durch den
Krieg seien solche Mengen von Rohstoffen aller Art verbraucht worden, daß in
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[0225] Die Zukunft der deutschen Seeschiffahrt Flotten nicht vorbeigehen ließen; konnten doch die „Neutralen" gar keinen größeren Profit machen, als zu Wucherpreisen für die Ententemächte Kriegs¬ material und Lebensmittel zu führen. In welchem Umfange die einzelnen Länder an diesem Kricgsfrachtgeschäft beteiligt sind, läßt sich zurzeit noch nicht übersehen. Norwegen, das vor dem Kriege über eine Handelsflotte von noch nicht ganz 1 ^ Millionen Tonnen verfügte, hat nach Angabe des norwegischen Büros „Veritas" seit Kriegsausbruch Schiffe mit 700 000 bis 800 000 Tonnen Ladefähigkeit bei ausländischen Schiffswerften bestellt. In Norwegen hat aller¬ dings die Ausnutzung der Konjunktur Formen angenommen, die an schlimmste Gründerzeiten erinnern; nach Meldungen dortiger Zeitungen sind allein in der Zeit von Juni bis Anfang September 1916 daselbst dreiunddreißig Reedereien neu gegründet oder erweitert worden. In den anderen nentmleuropäischen Staaten ist man auch nicht allzu zaghaft gewesen, wenn auch die deutsche U-Boot-Tätigkeit recht unbequem wurde. Am wichtigsten sür die Zukunft aber sind zweifelsohne die Anstrengungen, die die Vereinigten Staaten und Japan ge¬ macht haben und weiter machen werden, um ihre Flotten zu vergrößern. Die Angaben darüber weichen ebenfalls weit voneinander ab, zweifellos aber wird der Schiffsraum dieser Länder, von denen die Vereinigten Staaten bisher be¬ kanntlich in der Überseeschiffahrt nur eine geringe Rolle spielten, gleichfalls be¬ trächtlich wachsen. Nimmt man hinzu, daß die anderen Länder, namentlich England, ihre Handelsflotten nach dem „barbarischen" Vorbilde Deutschlands fester und straffer zu organisieren und in große Unternehmungen zusammen¬ zufassen beginnen, so ist es klar, daß die Konkurrenz recht groß sein wird. Wie steht es nun mit der Beschäftigung nach dem Kriege? Kaum gibt es eine Frage, in der die Ansichten der Praktiker soweit auseinandergehen als hier. Der Personenverkehr über Meer zerfüllt in den Verkehr der Kajüt- pafsagiere und den Zwischendeckverkehr. Der erstere kostet, der Auswanderer¬ verkehr bringt Verdienst. Es ist aber recht zweifelhaft, ob dieser Aus¬ wandererverkehr demnächst wieder einen größeren Umfang annehmen wird. Die europäischen Regierungen werden bei den starken Menschenverlusten aus dem Kriege jedenfalls einen solchen Verkehr nicht begünstigen; höchstens daß Italien, das schon vorher seine Söhne nicht ernähren konnte, nun nach den großen Opfern des Krieges selbst der dezimierten Bevölkerung keinen genügenden Nahrungsspielraum mehr gewähren kann. So dürfte die Frachtschiffahrt das wesentlichste Betätigungsfeld bleiben. Der Umfang des Frachtgutes nach dem Kriege läßt sich aber noch in keiner Weise übersehen. Auf der einen Seite verweist man darauf, wie stark der Bedarf und seine Deckung durch die Unter¬ brechung der Handelsbeziehungen zurückgepreßt sei, so daß sowohl Rohstoffe wie Fertigerzeugnisse sogleich in gewaltigen Mengen zur Verschiffung kommen müßten; dagegen behauptet man wieder auf der anderen Seite, durch den Krieg seien solche Mengen von Rohstoffen aller Art verbraucht worden, daß in den ersten Jahren eine ausgesprochene Knappheit herrschen müsse. Außerdem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/225>, abgerufen am 23.07.2024.