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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Im neuen Deutschland

Schöppenstedt wetteifert, kann sie es wirklich noch aufnehmen. Im Hintergrunde
dieser Verwaltungsideale schwebt der Kampf um die Macht. Die Durchführung
würde die ganze Verwaltung dem Kapital und den Sozialdemokraten preisgeben,
die ja jetzt schon die wesentlichsten Regierungsstützen bilden. Es muß aber
billig bezweifelt werden, ob die anderen Gesellschaftsklassen, namentlich Land¬
wirtschaft und städtische Mittelklassen, die doch auch erkleckliche Leistungen für
das Gesamtwohl auszuweisen haben, sich so ohne weiteres durch die neue Ver¬
waltung unterbuttern lassen würden.

Der Katholik Dinck verlangt insbesondere noch stärkere Heranziehung der
Arbeiter, auch der Arbeiterinnen zur Selbstverwaltung unter rechtlicher An¬
erkennung der Gewerkschaften und öffentlich rechtlicher Organisation des Ar¬
beiterstandes.

Für staatsbürgerliche Erziehung erwärmt sich der Heidelberger Theologe
Niebergall, während der Jenaer Rein als Schulorganisation der Zukunft den
Unterbau der einheitlichen Volksschule für die ersten sechs Schuljahre fordert.
staatsbürgerliche Erziehung ist schon eine alte Forderung und erscheint voll
berechtigt. Die Einheitsschule liegt in dem demokratischen Zuge der Zeit und
wird schon lange von den Volksschullehrern gefordert. Die sozialen und pädagogi¬
schen Bedenken dagegen geltend zu machen, würde eine besondere Abhandlung
erfordern. Den Reichtum und die Mannigfaltigkeit in der Entwicklung deutscher
Bildungsstätten nach französischer Weise über einen Kamm scheren zu wollen,
ist aber eher Bureaukratismus als das, was man gewöhnlich dafür ausgibt.

Den Schluß bilden Aufsätze von Georg Bernhard über die Finanzwirt¬
schaft, von Otto Jöhlinger vom "Berliner Tageblatte" über die Kolonialpolitik
und von Maximilian von Hagen über die auswärtige Politik nach dem Kriege.
Schon jetzt von der künftigen Finanzwirtschaft zu reden, ist ziemlich müßig.
Denn sie wird sich nach den künftigen Bedürfnissen des Reiches richten. Und
davon wissen wir vorläufig nur so viel, daß sie eine bisher nicht geahnte
schwindelnde Höhe erreichen werden. Danach muß sich auch die Deckung ge¬
stalten. Wo sie liegen wird, kann man allenfalls andeuten, in indirekten und
in direkten Steuern und in Monopolen. Das ist ebenso selbstverständlich wie
nichtssagend. Daß sich ein Mann vom "Berliner Tageblatte" für die Fort¬
führung unserer Kolonialpolitik erwärmt, ist sehr anerkennenswert. Nur unter¬
läßt er leider den Nachweis, wie sich die Behauptung unserer Schutzgebiete in
einem künftigen Kriege ermöglichen lassen soll ohne Seegeltung, und wie See¬
geltung möglich ist ohne Stützpunkte an der Kanalküste. An demselben Mangel
leidet auch der letzte Aufsatz von Maximilian von Hagen über die auswärtige
Politik, wohl der bedenklichste des ganzen Buches. Im Interesse unserer
künftigen Weltmachtstellung sollen wir durch den Friedensschluß keinen unserer
bisherigen Gegner dauernd zurückstoßen, auch die kleinen Staaten an uns
ziehen. Belgien wird dabei ausdrücklich genannt, seine Wiederherstellung als
unabhängiges Staatswesen somit als selbstverständlich vorausgesetzt. Dann


Im neuen Deutschland

Schöppenstedt wetteifert, kann sie es wirklich noch aufnehmen. Im Hintergrunde
dieser Verwaltungsideale schwebt der Kampf um die Macht. Die Durchführung
würde die ganze Verwaltung dem Kapital und den Sozialdemokraten preisgeben,
die ja jetzt schon die wesentlichsten Regierungsstützen bilden. Es muß aber
billig bezweifelt werden, ob die anderen Gesellschaftsklassen, namentlich Land¬
wirtschaft und städtische Mittelklassen, die doch auch erkleckliche Leistungen für
das Gesamtwohl auszuweisen haben, sich so ohne weiteres durch die neue Ver¬
waltung unterbuttern lassen würden.

Der Katholik Dinck verlangt insbesondere noch stärkere Heranziehung der
Arbeiter, auch der Arbeiterinnen zur Selbstverwaltung unter rechtlicher An¬
erkennung der Gewerkschaften und öffentlich rechtlicher Organisation des Ar¬
beiterstandes.

Für staatsbürgerliche Erziehung erwärmt sich der Heidelberger Theologe
Niebergall, während der Jenaer Rein als Schulorganisation der Zukunft den
Unterbau der einheitlichen Volksschule für die ersten sechs Schuljahre fordert.
staatsbürgerliche Erziehung ist schon eine alte Forderung und erscheint voll
berechtigt. Die Einheitsschule liegt in dem demokratischen Zuge der Zeit und
wird schon lange von den Volksschullehrern gefordert. Die sozialen und pädagogi¬
schen Bedenken dagegen geltend zu machen, würde eine besondere Abhandlung
erfordern. Den Reichtum und die Mannigfaltigkeit in der Entwicklung deutscher
Bildungsstätten nach französischer Weise über einen Kamm scheren zu wollen,
ist aber eher Bureaukratismus als das, was man gewöhnlich dafür ausgibt.

Den Schluß bilden Aufsätze von Georg Bernhard über die Finanzwirt¬
schaft, von Otto Jöhlinger vom „Berliner Tageblatte" über die Kolonialpolitik
und von Maximilian von Hagen über die auswärtige Politik nach dem Kriege.
Schon jetzt von der künftigen Finanzwirtschaft zu reden, ist ziemlich müßig.
Denn sie wird sich nach den künftigen Bedürfnissen des Reiches richten. Und
davon wissen wir vorläufig nur so viel, daß sie eine bisher nicht geahnte
schwindelnde Höhe erreichen werden. Danach muß sich auch die Deckung ge¬
stalten. Wo sie liegen wird, kann man allenfalls andeuten, in indirekten und
in direkten Steuern und in Monopolen. Das ist ebenso selbstverständlich wie
nichtssagend. Daß sich ein Mann vom „Berliner Tageblatte" für die Fort¬
führung unserer Kolonialpolitik erwärmt, ist sehr anerkennenswert. Nur unter¬
läßt er leider den Nachweis, wie sich die Behauptung unserer Schutzgebiete in
einem künftigen Kriege ermöglichen lassen soll ohne Seegeltung, und wie See¬
geltung möglich ist ohne Stützpunkte an der Kanalküste. An demselben Mangel
leidet auch der letzte Aufsatz von Maximilian von Hagen über die auswärtige
Politik, wohl der bedenklichste des ganzen Buches. Im Interesse unserer
künftigen Weltmachtstellung sollen wir durch den Friedensschluß keinen unserer
bisherigen Gegner dauernd zurückstoßen, auch die kleinen Staaten an uns
ziehen. Belgien wird dabei ausdrücklich genannt, seine Wiederherstellung als
unabhängiges Staatswesen somit als selbstverständlich vorausgesetzt. Dann


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[0194] Im neuen Deutschland Schöppenstedt wetteifert, kann sie es wirklich noch aufnehmen. Im Hintergrunde dieser Verwaltungsideale schwebt der Kampf um die Macht. Die Durchführung würde die ganze Verwaltung dem Kapital und den Sozialdemokraten preisgeben, die ja jetzt schon die wesentlichsten Regierungsstützen bilden. Es muß aber billig bezweifelt werden, ob die anderen Gesellschaftsklassen, namentlich Land¬ wirtschaft und städtische Mittelklassen, die doch auch erkleckliche Leistungen für das Gesamtwohl auszuweisen haben, sich so ohne weiteres durch die neue Ver¬ waltung unterbuttern lassen würden. Der Katholik Dinck verlangt insbesondere noch stärkere Heranziehung der Arbeiter, auch der Arbeiterinnen zur Selbstverwaltung unter rechtlicher An¬ erkennung der Gewerkschaften und öffentlich rechtlicher Organisation des Ar¬ beiterstandes. Für staatsbürgerliche Erziehung erwärmt sich der Heidelberger Theologe Niebergall, während der Jenaer Rein als Schulorganisation der Zukunft den Unterbau der einheitlichen Volksschule für die ersten sechs Schuljahre fordert. staatsbürgerliche Erziehung ist schon eine alte Forderung und erscheint voll berechtigt. Die Einheitsschule liegt in dem demokratischen Zuge der Zeit und wird schon lange von den Volksschullehrern gefordert. Die sozialen und pädagogi¬ schen Bedenken dagegen geltend zu machen, würde eine besondere Abhandlung erfordern. Den Reichtum und die Mannigfaltigkeit in der Entwicklung deutscher Bildungsstätten nach französischer Weise über einen Kamm scheren zu wollen, ist aber eher Bureaukratismus als das, was man gewöhnlich dafür ausgibt. Den Schluß bilden Aufsätze von Georg Bernhard über die Finanzwirt¬ schaft, von Otto Jöhlinger vom „Berliner Tageblatte" über die Kolonialpolitik und von Maximilian von Hagen über die auswärtige Politik nach dem Kriege. Schon jetzt von der künftigen Finanzwirtschaft zu reden, ist ziemlich müßig. Denn sie wird sich nach den künftigen Bedürfnissen des Reiches richten. Und davon wissen wir vorläufig nur so viel, daß sie eine bisher nicht geahnte schwindelnde Höhe erreichen werden. Danach muß sich auch die Deckung ge¬ stalten. Wo sie liegen wird, kann man allenfalls andeuten, in indirekten und in direkten Steuern und in Monopolen. Das ist ebenso selbstverständlich wie nichtssagend. Daß sich ein Mann vom „Berliner Tageblatte" für die Fort¬ führung unserer Kolonialpolitik erwärmt, ist sehr anerkennenswert. Nur unter¬ läßt er leider den Nachweis, wie sich die Behauptung unserer Schutzgebiete in einem künftigen Kriege ermöglichen lassen soll ohne Seegeltung, und wie See¬ geltung möglich ist ohne Stützpunkte an der Kanalküste. An demselben Mangel leidet auch der letzte Aufsatz von Maximilian von Hagen über die auswärtige Politik, wohl der bedenklichste des ganzen Buches. Im Interesse unserer künftigen Weltmachtstellung sollen wir durch den Friedensschluß keinen unserer bisherigen Gegner dauernd zurückstoßen, auch die kleinen Staaten an uns ziehen. Belgien wird dabei ausdrücklich genannt, seine Wiederherstellung als unabhängiges Staatswesen somit als selbstverständlich vorausgesetzt. Dann

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/194>, abgerufen am 23.07.2024.