Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Im neuen Deutschland

Organisation unseres öffentlichen Rechtslebens einzurücken. Das wirkt aber
Zurück auf die Umgestaltung des bisherigen privatrechtlich-individualistischen
Arbeitsvertrages des einzelnen Arbeiters zum Tarifvertrage der Arbeiterschaft
und seiner Einfügung in die Rechtsordnung.

Dagegen wiederholen die folgenden Aufsätze über die Ausgestaltung unserer
Rechtsordnung nur Forderungen, die bisher schon häufig gestellt worden sind,
ohne durch die öftere Wiederholung an Gewicht und Bedeutung zu gewinnen.
Der alte Vorkämpfer für Zulassung der Techniker zur Laufbahn der höheren
Verwaltungsbeamten, Professor Franz von der Technischen Hochschule zu
Charlottenburg, bricht auf diesem Steckenpferde noch einmal eine Lanze. Gewiß
wird im Wirtschaftsstaate der Zukunft die Technik eine immer größere Be¬
deutung gewinnen. Weshalb aber gerade die Fähigkeit, eine Maschine zu
bauen, die Befähigung zum höheren Verwaltungsdienst geben soll, während
man sich die nötige Kenntnis von Recht und Volkswirtschaft so nebenbei an¬
eignen soll, bleibt dabei unklar. Der Zentrumsmann Marx will den Richter
vor den Einwirkungen der Justizverwaltung auf seine Entscheidungen schützen,
gewiß ein Ziel aufs innigste zu wünschen, wenn diese Einwirkungen sich bisher
nur irgendwie in bedenklicher Weise gezeigt hätten. Der Sozialdemokrat Wolf¬
gang Heine hat namentlich vom Standpunkte der Klassenjustiz mehr Vertrauen zum
Volksrichter als zum Berufsrichter. Die Auffassungen darüber sind verschieden.
Nach meiner langjährigen richterlichen Erfahrung würde ich als unschuldiger An¬
geklagter die größte Furcht vor dem Schwurgerichte haben. Der Nationalliberale
Landgerichtspräsident von Campe wünscht in seinem Aufsatze über Richter, Anwalt
und Staatsanwalt den Staatsanwalt mehr zurücktreten zu lassen. Da würde
ich noch weiter gehen. Ich habe schon vor Jahren*) Rückkehr von Anklage¬
prozesse zum alten Jnquisitionsprozesse, aber mit Öffentlichkeit und Mündlichkeit
unter völliger Ausschaltung der Staatsanwaltschaft vorgeschlagen, ohne damit
gegenüber dem Gesetze der Trägheit in den überkommenen Anschauungen viel
Anklang zu finden. Riß will der Rechtsprechung eine freiere Stellung gegen¬
über dem Gesetze geben. Justizrat Bamberger verlangt Friedensrichter zur
vergleichsweisen Beseitigung verwüstender Rechtsstreitigkeiten. Das ist alles sehr
schön und brav, nur handelt es sich um alte, längst erörterte Forderungen,
die mit der neuen Gestaltung Deutschlands nach dem Kriege herzlich wenig zu
tun haben.

Eine zweite Gruppe von Aufsätzen beschäftigt sich mit der Gestaltung der
Arbeiterverhältnisse durch die künftige Rechtsordnung. Hier sind hauptsächlich
Leiter der Gewerkschaften verschiedenster Richtung zum Worte gekommen. Brauer
zeigt in einem Rückblick, der eigentlich mit dem neuen Deutschland nichts zu
tun hat, die Einwirkungen der Arbeiterbewegung auf die bisherige Rechts¬
entwicklung. Wisset fordert eine Vereinheitlichung des bisher von der Gesetz-



*) Zur Reform des Strafprozesses in der Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissen¬
schaft Bd. 19 (1893), S. 64 ff.
Im neuen Deutschland

Organisation unseres öffentlichen Rechtslebens einzurücken. Das wirkt aber
Zurück auf die Umgestaltung des bisherigen privatrechtlich-individualistischen
Arbeitsvertrages des einzelnen Arbeiters zum Tarifvertrage der Arbeiterschaft
und seiner Einfügung in die Rechtsordnung.

Dagegen wiederholen die folgenden Aufsätze über die Ausgestaltung unserer
Rechtsordnung nur Forderungen, die bisher schon häufig gestellt worden sind,
ohne durch die öftere Wiederholung an Gewicht und Bedeutung zu gewinnen.
Der alte Vorkämpfer für Zulassung der Techniker zur Laufbahn der höheren
Verwaltungsbeamten, Professor Franz von der Technischen Hochschule zu
Charlottenburg, bricht auf diesem Steckenpferde noch einmal eine Lanze. Gewiß
wird im Wirtschaftsstaate der Zukunft die Technik eine immer größere Be¬
deutung gewinnen. Weshalb aber gerade die Fähigkeit, eine Maschine zu
bauen, die Befähigung zum höheren Verwaltungsdienst geben soll, während
man sich die nötige Kenntnis von Recht und Volkswirtschaft so nebenbei an¬
eignen soll, bleibt dabei unklar. Der Zentrumsmann Marx will den Richter
vor den Einwirkungen der Justizverwaltung auf seine Entscheidungen schützen,
gewiß ein Ziel aufs innigste zu wünschen, wenn diese Einwirkungen sich bisher
nur irgendwie in bedenklicher Weise gezeigt hätten. Der Sozialdemokrat Wolf¬
gang Heine hat namentlich vom Standpunkte der Klassenjustiz mehr Vertrauen zum
Volksrichter als zum Berufsrichter. Die Auffassungen darüber sind verschieden.
Nach meiner langjährigen richterlichen Erfahrung würde ich als unschuldiger An¬
geklagter die größte Furcht vor dem Schwurgerichte haben. Der Nationalliberale
Landgerichtspräsident von Campe wünscht in seinem Aufsatze über Richter, Anwalt
und Staatsanwalt den Staatsanwalt mehr zurücktreten zu lassen. Da würde
ich noch weiter gehen. Ich habe schon vor Jahren*) Rückkehr von Anklage¬
prozesse zum alten Jnquisitionsprozesse, aber mit Öffentlichkeit und Mündlichkeit
unter völliger Ausschaltung der Staatsanwaltschaft vorgeschlagen, ohne damit
gegenüber dem Gesetze der Trägheit in den überkommenen Anschauungen viel
Anklang zu finden. Riß will der Rechtsprechung eine freiere Stellung gegen¬
über dem Gesetze geben. Justizrat Bamberger verlangt Friedensrichter zur
vergleichsweisen Beseitigung verwüstender Rechtsstreitigkeiten. Das ist alles sehr
schön und brav, nur handelt es sich um alte, längst erörterte Forderungen,
die mit der neuen Gestaltung Deutschlands nach dem Kriege herzlich wenig zu
tun haben.

Eine zweite Gruppe von Aufsätzen beschäftigt sich mit der Gestaltung der
Arbeiterverhältnisse durch die künftige Rechtsordnung. Hier sind hauptsächlich
Leiter der Gewerkschaften verschiedenster Richtung zum Worte gekommen. Brauer
zeigt in einem Rückblick, der eigentlich mit dem neuen Deutschland nichts zu
tun hat, die Einwirkungen der Arbeiterbewegung auf die bisherige Rechts¬
entwicklung. Wisset fordert eine Vereinheitlichung des bisher von der Gesetz-



*) Zur Reform des Strafprozesses in der Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissen¬
schaft Bd. 19 (1893), S. 64 ff.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0192" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331164"/>
          <fw type="header" place="top"> Im neuen Deutschland</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_656" prev="#ID_655"> Organisation unseres öffentlichen Rechtslebens einzurücken. Das wirkt aber<lb/>
Zurück auf die Umgestaltung des bisherigen privatrechtlich-individualistischen<lb/>
Arbeitsvertrages des einzelnen Arbeiters zum Tarifvertrage der Arbeiterschaft<lb/>
und seiner Einfügung in die Rechtsordnung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_657"> Dagegen wiederholen die folgenden Aufsätze über die Ausgestaltung unserer<lb/>
Rechtsordnung nur Forderungen, die bisher schon häufig gestellt worden sind,<lb/>
ohne durch die öftere Wiederholung an Gewicht und Bedeutung zu gewinnen.<lb/>
Der alte Vorkämpfer für Zulassung der Techniker zur Laufbahn der höheren<lb/>
Verwaltungsbeamten, Professor Franz von der Technischen Hochschule zu<lb/>
Charlottenburg, bricht auf diesem Steckenpferde noch einmal eine Lanze. Gewiß<lb/>
wird im Wirtschaftsstaate der Zukunft die Technik eine immer größere Be¬<lb/>
deutung gewinnen. Weshalb aber gerade die Fähigkeit, eine Maschine zu<lb/>
bauen, die Befähigung zum höheren Verwaltungsdienst geben soll, während<lb/>
man sich die nötige Kenntnis von Recht und Volkswirtschaft so nebenbei an¬<lb/>
eignen soll, bleibt dabei unklar. Der Zentrumsmann Marx will den Richter<lb/>
vor den Einwirkungen der Justizverwaltung auf seine Entscheidungen schützen,<lb/>
gewiß ein Ziel aufs innigste zu wünschen, wenn diese Einwirkungen sich bisher<lb/>
nur irgendwie in bedenklicher Weise gezeigt hätten. Der Sozialdemokrat Wolf¬<lb/>
gang Heine hat namentlich vom Standpunkte der Klassenjustiz mehr Vertrauen zum<lb/>
Volksrichter als zum Berufsrichter. Die Auffassungen darüber sind verschieden.<lb/>
Nach meiner langjährigen richterlichen Erfahrung würde ich als unschuldiger An¬<lb/>
geklagter die größte Furcht vor dem Schwurgerichte haben. Der Nationalliberale<lb/>
Landgerichtspräsident von Campe wünscht in seinem Aufsatze über Richter, Anwalt<lb/>
und Staatsanwalt den Staatsanwalt mehr zurücktreten zu lassen. Da würde<lb/>
ich noch weiter gehen. Ich habe schon vor Jahren*) Rückkehr von Anklage¬<lb/>
prozesse zum alten Jnquisitionsprozesse, aber mit Öffentlichkeit und Mündlichkeit<lb/>
unter völliger Ausschaltung der Staatsanwaltschaft vorgeschlagen, ohne damit<lb/>
gegenüber dem Gesetze der Trägheit in den überkommenen Anschauungen viel<lb/>
Anklang zu finden. Riß will der Rechtsprechung eine freiere Stellung gegen¬<lb/>
über dem Gesetze geben. Justizrat Bamberger verlangt Friedensrichter zur<lb/>
vergleichsweisen Beseitigung verwüstender Rechtsstreitigkeiten. Das ist alles sehr<lb/>
schön und brav, nur handelt es sich um alte, längst erörterte Forderungen,<lb/>
die mit der neuen Gestaltung Deutschlands nach dem Kriege herzlich wenig zu<lb/>
tun haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_658" next="#ID_659"> Eine zweite Gruppe von Aufsätzen beschäftigt sich mit der Gestaltung der<lb/>
Arbeiterverhältnisse durch die künftige Rechtsordnung. Hier sind hauptsächlich<lb/>
Leiter der Gewerkschaften verschiedenster Richtung zum Worte gekommen. Brauer<lb/>
zeigt in einem Rückblick, der eigentlich mit dem neuen Deutschland nichts zu<lb/>
tun hat, die Einwirkungen der Arbeiterbewegung auf die bisherige Rechts¬<lb/>
entwicklung. Wisset fordert eine Vereinheitlichung des bisher von der Gesetz-</p><lb/>
          <note xml:id="FID_43" place="foot"> *) Zur Reform des Strafprozesses in der Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissen¬<lb/>
schaft Bd. 19 (1893), S. 64 ff.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0192] Im neuen Deutschland Organisation unseres öffentlichen Rechtslebens einzurücken. Das wirkt aber Zurück auf die Umgestaltung des bisherigen privatrechtlich-individualistischen Arbeitsvertrages des einzelnen Arbeiters zum Tarifvertrage der Arbeiterschaft und seiner Einfügung in die Rechtsordnung. Dagegen wiederholen die folgenden Aufsätze über die Ausgestaltung unserer Rechtsordnung nur Forderungen, die bisher schon häufig gestellt worden sind, ohne durch die öftere Wiederholung an Gewicht und Bedeutung zu gewinnen. Der alte Vorkämpfer für Zulassung der Techniker zur Laufbahn der höheren Verwaltungsbeamten, Professor Franz von der Technischen Hochschule zu Charlottenburg, bricht auf diesem Steckenpferde noch einmal eine Lanze. Gewiß wird im Wirtschaftsstaate der Zukunft die Technik eine immer größere Be¬ deutung gewinnen. Weshalb aber gerade die Fähigkeit, eine Maschine zu bauen, die Befähigung zum höheren Verwaltungsdienst geben soll, während man sich die nötige Kenntnis von Recht und Volkswirtschaft so nebenbei an¬ eignen soll, bleibt dabei unklar. Der Zentrumsmann Marx will den Richter vor den Einwirkungen der Justizverwaltung auf seine Entscheidungen schützen, gewiß ein Ziel aufs innigste zu wünschen, wenn diese Einwirkungen sich bisher nur irgendwie in bedenklicher Weise gezeigt hätten. Der Sozialdemokrat Wolf¬ gang Heine hat namentlich vom Standpunkte der Klassenjustiz mehr Vertrauen zum Volksrichter als zum Berufsrichter. Die Auffassungen darüber sind verschieden. Nach meiner langjährigen richterlichen Erfahrung würde ich als unschuldiger An¬ geklagter die größte Furcht vor dem Schwurgerichte haben. Der Nationalliberale Landgerichtspräsident von Campe wünscht in seinem Aufsatze über Richter, Anwalt und Staatsanwalt den Staatsanwalt mehr zurücktreten zu lassen. Da würde ich noch weiter gehen. Ich habe schon vor Jahren*) Rückkehr von Anklage¬ prozesse zum alten Jnquisitionsprozesse, aber mit Öffentlichkeit und Mündlichkeit unter völliger Ausschaltung der Staatsanwaltschaft vorgeschlagen, ohne damit gegenüber dem Gesetze der Trägheit in den überkommenen Anschauungen viel Anklang zu finden. Riß will der Rechtsprechung eine freiere Stellung gegen¬ über dem Gesetze geben. Justizrat Bamberger verlangt Friedensrichter zur vergleichsweisen Beseitigung verwüstender Rechtsstreitigkeiten. Das ist alles sehr schön und brav, nur handelt es sich um alte, längst erörterte Forderungen, die mit der neuen Gestaltung Deutschlands nach dem Kriege herzlich wenig zu tun haben. Eine zweite Gruppe von Aufsätzen beschäftigt sich mit der Gestaltung der Arbeiterverhältnisse durch die künftige Rechtsordnung. Hier sind hauptsächlich Leiter der Gewerkschaften verschiedenster Richtung zum Worte gekommen. Brauer zeigt in einem Rückblick, der eigentlich mit dem neuen Deutschland nichts zu tun hat, die Einwirkungen der Arbeiterbewegung auf die bisherige Rechts¬ entwicklung. Wisset fordert eine Vereinheitlichung des bisher von der Gesetz- *) Zur Reform des Strafprozesses in der Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissen¬ schaft Bd. 19 (1893), S. 64 ff.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/192
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/192>, abgerufen am 23.07.2024.