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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Leibniz und der deutsche Geist

stein" könnte direkt in der "Monadologie" stehen. Wie ist nun der innere
monadologische Zusammenhang der Welt zu denken? Er beruht eben auf
der graduellen Abstufung der erkennenden Vorstellungskraft der Monaden.
Eine Monade untersten Ranges wird eine solche zu nennen sein, die bloß vor¬
stellt, also auf der Stufe der verworrensten Erkenntnis stehen bleibt; es handelt
sich hier also um die Erscheinungen der anorganischen Natur. Auf einer höheren
Stufe wird die Monadenvorstellung als eine bildende Lebenskraft, aber noch
ohne Bewußtsein tätig, das geschieht in den Bezirken der Pflanzenwelt. Auf
einer weiteren Stufe nimmt die Monade Empfindung und Gedächtnis an, so
offenbart sie ihr Wesen in der Tierwelt. Und schließlich erhebt sich die Monade¬
seele zu immer reinerer Bewußtheit, sie wird Vernunft und ergeht sich in einer
kombinierenden und reflektierenden Tätigkeit. Endlich hat sie sich zum absoluten
Geist erhoben, der in seiner vollendeten Ausprägung ohne Störung durch den
Zusammenhang mit andern, niedern Monaden sich nur im Begriff der Gott¬
heit vorfindet. Die Berührungspunkte mit der platonischen Idee werden hier
offenbar, aber lehrreicher ist noch der Vergleich mit einem andern typisch deutschen
Denker, mit Schopenhauer. Sein Stufenreich der Ideen ist ohne Leibnizens
Vorantritt kaum denkbar, und man darf es wohl als mehr denn eine Vermutung
hinstellen, daß alle jene Gedankengänge, die sich in der breiteren Meinung der
Gebildeten als Pantheismus darstellen, auf jenes Triumvirat von Platon,
Leibniz und Schopenhauer zurückgehen. Wenn etwa Bismarck am Eingang
der "Gedanken und Erinnerungen" von einem normalen pantheistischen Ergebnis
unserer Gymnastalbildung redet, so ist damit nicht die mathematische Substanz¬
theorie eines Spinoza gemeint, sondern die methaphysische Vorstellungswelt von
Leibniz -- Schopenhauer, die sich sehr viel mystischer und poetischer gibt. Vom
dunklen, verworrenen Drang steigt die Welt bis zu der farblosen Klarheit der
reinen Idee hinauf; das ist die Auffassung, die man vom Deutschen immer wieder
zu hören bekommt, wenn man ihn nach seinem metaphysischen Bekenntnis fragt.

Es hat dem deutschen Denken auch von jeher näher gelegen, nach den
Zwecken des Weltgeschehens als nach dessen Ursachen zu fragen. In dem
Zweckbegriff, den Leibniz in der philosophischen Betrachtung zu einer Zentral¬
frage erhob, wird durch die ideologische Harmonie aller Dinge das Problem
der Weltbestimmung gelöst. Nicht die Annahme einer mechanischen Abfolge von
einer ersten bewirkenden Ursache aus vermittelt uns das Verstehen alles Werdens
und Vergehens in der Natur, sondern aus der Tatsache, datz die Monaden¬
ordnung des Weltalls eine größtmögliche Harmonie verbürgt, läßt sich ein System
von Zwecken aufbauen. Diese Harmonie ist überall prästabiliert, das heißt,
sie liegt von Anfang an in der idealen Existenz der Monaden eingeschlossen.
Der Weltverlauf vollzieht sich nicht nach blinder Gesetzmäßigkeit, sondern in
der Form eines immer bewußteren Aufstiegs zu der vollkommeneren Durch¬
dringung der Welt mit geistigen Werten. Darum kann auch die Gottheit, die
höchste Offenbarung des monadologischen Prinzips, niemals der Vorwurf eines


Leibniz und der deutsche Geist

stein" könnte direkt in der „Monadologie" stehen. Wie ist nun der innere
monadologische Zusammenhang der Welt zu denken? Er beruht eben auf
der graduellen Abstufung der erkennenden Vorstellungskraft der Monaden.
Eine Monade untersten Ranges wird eine solche zu nennen sein, die bloß vor¬
stellt, also auf der Stufe der verworrensten Erkenntnis stehen bleibt; es handelt
sich hier also um die Erscheinungen der anorganischen Natur. Auf einer höheren
Stufe wird die Monadenvorstellung als eine bildende Lebenskraft, aber noch
ohne Bewußtsein tätig, das geschieht in den Bezirken der Pflanzenwelt. Auf
einer weiteren Stufe nimmt die Monade Empfindung und Gedächtnis an, so
offenbart sie ihr Wesen in der Tierwelt. Und schließlich erhebt sich die Monade¬
seele zu immer reinerer Bewußtheit, sie wird Vernunft und ergeht sich in einer
kombinierenden und reflektierenden Tätigkeit. Endlich hat sie sich zum absoluten
Geist erhoben, der in seiner vollendeten Ausprägung ohne Störung durch den
Zusammenhang mit andern, niedern Monaden sich nur im Begriff der Gott¬
heit vorfindet. Die Berührungspunkte mit der platonischen Idee werden hier
offenbar, aber lehrreicher ist noch der Vergleich mit einem andern typisch deutschen
Denker, mit Schopenhauer. Sein Stufenreich der Ideen ist ohne Leibnizens
Vorantritt kaum denkbar, und man darf es wohl als mehr denn eine Vermutung
hinstellen, daß alle jene Gedankengänge, die sich in der breiteren Meinung der
Gebildeten als Pantheismus darstellen, auf jenes Triumvirat von Platon,
Leibniz und Schopenhauer zurückgehen. Wenn etwa Bismarck am Eingang
der „Gedanken und Erinnerungen" von einem normalen pantheistischen Ergebnis
unserer Gymnastalbildung redet, so ist damit nicht die mathematische Substanz¬
theorie eines Spinoza gemeint, sondern die methaphysische Vorstellungswelt von
Leibniz — Schopenhauer, die sich sehr viel mystischer und poetischer gibt. Vom
dunklen, verworrenen Drang steigt die Welt bis zu der farblosen Klarheit der
reinen Idee hinauf; das ist die Auffassung, die man vom Deutschen immer wieder
zu hören bekommt, wenn man ihn nach seinem metaphysischen Bekenntnis fragt.

Es hat dem deutschen Denken auch von jeher näher gelegen, nach den
Zwecken des Weltgeschehens als nach dessen Ursachen zu fragen. In dem
Zweckbegriff, den Leibniz in der philosophischen Betrachtung zu einer Zentral¬
frage erhob, wird durch die ideologische Harmonie aller Dinge das Problem
der Weltbestimmung gelöst. Nicht die Annahme einer mechanischen Abfolge von
einer ersten bewirkenden Ursache aus vermittelt uns das Verstehen alles Werdens
und Vergehens in der Natur, sondern aus der Tatsache, datz die Monaden¬
ordnung des Weltalls eine größtmögliche Harmonie verbürgt, läßt sich ein System
von Zwecken aufbauen. Diese Harmonie ist überall prästabiliert, das heißt,
sie liegt von Anfang an in der idealen Existenz der Monaden eingeschlossen.
Der Weltverlauf vollzieht sich nicht nach blinder Gesetzmäßigkeit, sondern in
der Form eines immer bewußteren Aufstiegs zu der vollkommeneren Durch¬
dringung der Welt mit geistigen Werten. Darum kann auch die Gottheit, die
höchste Offenbarung des monadologischen Prinzips, niemals der Vorwurf eines


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[0188] Leibniz und der deutsche Geist stein" könnte direkt in der „Monadologie" stehen. Wie ist nun der innere monadologische Zusammenhang der Welt zu denken? Er beruht eben auf der graduellen Abstufung der erkennenden Vorstellungskraft der Monaden. Eine Monade untersten Ranges wird eine solche zu nennen sein, die bloß vor¬ stellt, also auf der Stufe der verworrensten Erkenntnis stehen bleibt; es handelt sich hier also um die Erscheinungen der anorganischen Natur. Auf einer höheren Stufe wird die Monadenvorstellung als eine bildende Lebenskraft, aber noch ohne Bewußtsein tätig, das geschieht in den Bezirken der Pflanzenwelt. Auf einer weiteren Stufe nimmt die Monade Empfindung und Gedächtnis an, so offenbart sie ihr Wesen in der Tierwelt. Und schließlich erhebt sich die Monade¬ seele zu immer reinerer Bewußtheit, sie wird Vernunft und ergeht sich in einer kombinierenden und reflektierenden Tätigkeit. Endlich hat sie sich zum absoluten Geist erhoben, der in seiner vollendeten Ausprägung ohne Störung durch den Zusammenhang mit andern, niedern Monaden sich nur im Begriff der Gott¬ heit vorfindet. Die Berührungspunkte mit der platonischen Idee werden hier offenbar, aber lehrreicher ist noch der Vergleich mit einem andern typisch deutschen Denker, mit Schopenhauer. Sein Stufenreich der Ideen ist ohne Leibnizens Vorantritt kaum denkbar, und man darf es wohl als mehr denn eine Vermutung hinstellen, daß alle jene Gedankengänge, die sich in der breiteren Meinung der Gebildeten als Pantheismus darstellen, auf jenes Triumvirat von Platon, Leibniz und Schopenhauer zurückgehen. Wenn etwa Bismarck am Eingang der „Gedanken und Erinnerungen" von einem normalen pantheistischen Ergebnis unserer Gymnastalbildung redet, so ist damit nicht die mathematische Substanz¬ theorie eines Spinoza gemeint, sondern die methaphysische Vorstellungswelt von Leibniz — Schopenhauer, die sich sehr viel mystischer und poetischer gibt. Vom dunklen, verworrenen Drang steigt die Welt bis zu der farblosen Klarheit der reinen Idee hinauf; das ist die Auffassung, die man vom Deutschen immer wieder zu hören bekommt, wenn man ihn nach seinem metaphysischen Bekenntnis fragt. Es hat dem deutschen Denken auch von jeher näher gelegen, nach den Zwecken des Weltgeschehens als nach dessen Ursachen zu fragen. In dem Zweckbegriff, den Leibniz in der philosophischen Betrachtung zu einer Zentral¬ frage erhob, wird durch die ideologische Harmonie aller Dinge das Problem der Weltbestimmung gelöst. Nicht die Annahme einer mechanischen Abfolge von einer ersten bewirkenden Ursache aus vermittelt uns das Verstehen alles Werdens und Vergehens in der Natur, sondern aus der Tatsache, datz die Monaden¬ ordnung des Weltalls eine größtmögliche Harmonie verbürgt, läßt sich ein System von Zwecken aufbauen. Diese Harmonie ist überall prästabiliert, das heißt, sie liegt von Anfang an in der idealen Existenz der Monaden eingeschlossen. Der Weltverlauf vollzieht sich nicht nach blinder Gesetzmäßigkeit, sondern in der Form eines immer bewußteren Aufstiegs zu der vollkommeneren Durch¬ dringung der Welt mit geistigen Werten. Darum kann auch die Gottheit, die höchste Offenbarung des monadologischen Prinzips, niemals der Vorwurf eines

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/188>, abgerufen am 23.07.2024.