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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Religion und Volk

Leben, sondern auch um das Weiterbestehen unserer geistigen Art kämpfen, der
allen klar werden ließ -- man denke an den Vaterlandsdienst der Sozialisten --,
wie eng Empfinden und Wille jedes einzelnen mit der Gesamtheit, dem Volk
verknüpft ist, und in ihm eine metaphysische Liebe wachrief, eine Liebe, die
Treue hält bis zum Tode. --

Es hat in der deutschen Geschichte schon einmal eine Zeit gegeben, in der
Volksgedanke und Gottesgedanke sich innig verbanden. Das war, als man die
napoleonische Herrschaft abschüttelte und aus stumpfer Würdelosigkeit zu tätigen
Selbstbewußtsein erwachte. Es ist kein Wunder, daß gerade der Philosoph,
der damals die Einheit unseres Ewigkeitsbedürfnisses mit den höheren Zwecken
der Nation klar erkannt und mutig bekannt hat, heute wieder wirklich volks¬
tümlich geworden ist: Fichte, der Vorbereiter und Verkünder der deutschen Einheit.

Die achte seiner Reden an die deutsche Nation ist überschrieben: "Was
ein Volk sei in der höheren Bedeutung des Volkes und was Vaterlandsliebe."
Auch er geht von dem natürlichen Triebe des Menschen aus, "den Himmel
schon auf dieser Erde zu finden und ewig Dauerndes zu verstoßen in sein
irdisches Dasein." Er veranschaulicht ihn an der Liebe zu den Kindern, in
deren veredelten und vervollkommneten Wesen die Eltern auf dieser Erde noch
fortleben wollen. Man findet, sagt er, die Gewähr für einen solchen Glauben
an die Möglichkeit, unvergänglich im Geiste zu, bleiben, in einer Ordnung von
anerkannter Ewigkeit, vorausgesetzt, daß man an einer solchen Ordnung teil hat.
Diese Ordnung ist ihm weiter nichts als die "besondere geistige Natur der
menschlichen Umgebung, aus welcher er selbst mit seinem ganzen Denken und
Tun und mit seinem Glauben an die Ewigkeit desselben hervorgegangen ist,
das Volk, von welchem er abstammt und unter welchem er gebildet wurde."
Und indem er "Ewiges" und "Göttliches" einander gleichsetzt, steht er in der
geistigen Fortzeugung einer einheitlich fortlebenden Gemeinschaft- "den sinnlichen
Ausdruck der Offenbarungen des Göttlichen." Die Hoffnung des einzelnen
Menschen auf ewige Fortdauer seiner Wirksamkeit auch auf dieser Welt gründet
sich "auf die Hoffnung der ewigen Fortdauer des Volkes, aus dem er sich
entwickelt hat." Vaterlandsliebe ist Ewigkeits-, Gottesliebe in dem höheren
Sinne, der die Nation nicht bloß als äußere Form für die Gewährleistung
allgemeiner Ordnung und Wohlfahrt, sondern "als Hülle des Ewigen auffaßt."

Es ist kein Wunder, daß diese Fichtesche Anschauung gerade in dieser
Zeit notwendiger nationaler Selbstbesinnung wieder Wurzel gefaßt hat (oder
daß ihre deutsche Ursprünglichkeit durch diesen Krieg offenbar wurde). In den?
erwähnten früheren Aufsatze habe ich es an einer Reihe von Feldpostbriefen
einfacher Soldaten gezeigt. Heute will ich die Beispiele durch Stellen aus
Schriften der neuesten Kriegsliteratur ergänzen. Professor Alfred Uckelev, der
in seiner Schrift "Wie sie im Kriege Gott fanden" (Bonn 1916, Verlag Alex
Schmidt) mit großer Vorsicht Material gesammelt und verarbeitet hat, bringt
den sehr bezeichnenden Brief eines Reserveoffiziers bei. "Als ich endlich das


Religion und Volk

Leben, sondern auch um das Weiterbestehen unserer geistigen Art kämpfen, der
allen klar werden ließ — man denke an den Vaterlandsdienst der Sozialisten —,
wie eng Empfinden und Wille jedes einzelnen mit der Gesamtheit, dem Volk
verknüpft ist, und in ihm eine metaphysische Liebe wachrief, eine Liebe, die
Treue hält bis zum Tode. —

Es hat in der deutschen Geschichte schon einmal eine Zeit gegeben, in der
Volksgedanke und Gottesgedanke sich innig verbanden. Das war, als man die
napoleonische Herrschaft abschüttelte und aus stumpfer Würdelosigkeit zu tätigen
Selbstbewußtsein erwachte. Es ist kein Wunder, daß gerade der Philosoph,
der damals die Einheit unseres Ewigkeitsbedürfnisses mit den höheren Zwecken
der Nation klar erkannt und mutig bekannt hat, heute wieder wirklich volks¬
tümlich geworden ist: Fichte, der Vorbereiter und Verkünder der deutschen Einheit.

Die achte seiner Reden an die deutsche Nation ist überschrieben: „Was
ein Volk sei in der höheren Bedeutung des Volkes und was Vaterlandsliebe."
Auch er geht von dem natürlichen Triebe des Menschen aus, „den Himmel
schon auf dieser Erde zu finden und ewig Dauerndes zu verstoßen in sein
irdisches Dasein." Er veranschaulicht ihn an der Liebe zu den Kindern, in
deren veredelten und vervollkommneten Wesen die Eltern auf dieser Erde noch
fortleben wollen. Man findet, sagt er, die Gewähr für einen solchen Glauben
an die Möglichkeit, unvergänglich im Geiste zu, bleiben, in einer Ordnung von
anerkannter Ewigkeit, vorausgesetzt, daß man an einer solchen Ordnung teil hat.
Diese Ordnung ist ihm weiter nichts als die „besondere geistige Natur der
menschlichen Umgebung, aus welcher er selbst mit seinem ganzen Denken und
Tun und mit seinem Glauben an die Ewigkeit desselben hervorgegangen ist,
das Volk, von welchem er abstammt und unter welchem er gebildet wurde."
Und indem er „Ewiges" und „Göttliches" einander gleichsetzt, steht er in der
geistigen Fortzeugung einer einheitlich fortlebenden Gemeinschaft- „den sinnlichen
Ausdruck der Offenbarungen des Göttlichen." Die Hoffnung des einzelnen
Menschen auf ewige Fortdauer seiner Wirksamkeit auch auf dieser Welt gründet
sich „auf die Hoffnung der ewigen Fortdauer des Volkes, aus dem er sich
entwickelt hat." Vaterlandsliebe ist Ewigkeits-, Gottesliebe in dem höheren
Sinne, der die Nation nicht bloß als äußere Form für die Gewährleistung
allgemeiner Ordnung und Wohlfahrt, sondern „als Hülle des Ewigen auffaßt."

Es ist kein Wunder, daß diese Fichtesche Anschauung gerade in dieser
Zeit notwendiger nationaler Selbstbesinnung wieder Wurzel gefaßt hat (oder
daß ihre deutsche Ursprünglichkeit durch diesen Krieg offenbar wurde). In den?
erwähnten früheren Aufsatze habe ich es an einer Reihe von Feldpostbriefen
einfacher Soldaten gezeigt. Heute will ich die Beispiele durch Stellen aus
Schriften der neuesten Kriegsliteratur ergänzen. Professor Alfred Uckelev, der
in seiner Schrift „Wie sie im Kriege Gott fanden" (Bonn 1916, Verlag Alex
Schmidt) mit großer Vorsicht Material gesammelt und verarbeitet hat, bringt
den sehr bezeichnenden Brief eines Reserveoffiziers bei. „Als ich endlich das


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[0104] Religion und Volk Leben, sondern auch um das Weiterbestehen unserer geistigen Art kämpfen, der allen klar werden ließ — man denke an den Vaterlandsdienst der Sozialisten —, wie eng Empfinden und Wille jedes einzelnen mit der Gesamtheit, dem Volk verknüpft ist, und in ihm eine metaphysische Liebe wachrief, eine Liebe, die Treue hält bis zum Tode. — Es hat in der deutschen Geschichte schon einmal eine Zeit gegeben, in der Volksgedanke und Gottesgedanke sich innig verbanden. Das war, als man die napoleonische Herrschaft abschüttelte und aus stumpfer Würdelosigkeit zu tätigen Selbstbewußtsein erwachte. Es ist kein Wunder, daß gerade der Philosoph, der damals die Einheit unseres Ewigkeitsbedürfnisses mit den höheren Zwecken der Nation klar erkannt und mutig bekannt hat, heute wieder wirklich volks¬ tümlich geworden ist: Fichte, der Vorbereiter und Verkünder der deutschen Einheit. Die achte seiner Reden an die deutsche Nation ist überschrieben: „Was ein Volk sei in der höheren Bedeutung des Volkes und was Vaterlandsliebe." Auch er geht von dem natürlichen Triebe des Menschen aus, „den Himmel schon auf dieser Erde zu finden und ewig Dauerndes zu verstoßen in sein irdisches Dasein." Er veranschaulicht ihn an der Liebe zu den Kindern, in deren veredelten und vervollkommneten Wesen die Eltern auf dieser Erde noch fortleben wollen. Man findet, sagt er, die Gewähr für einen solchen Glauben an die Möglichkeit, unvergänglich im Geiste zu, bleiben, in einer Ordnung von anerkannter Ewigkeit, vorausgesetzt, daß man an einer solchen Ordnung teil hat. Diese Ordnung ist ihm weiter nichts als die „besondere geistige Natur der menschlichen Umgebung, aus welcher er selbst mit seinem ganzen Denken und Tun und mit seinem Glauben an die Ewigkeit desselben hervorgegangen ist, das Volk, von welchem er abstammt und unter welchem er gebildet wurde." Und indem er „Ewiges" und „Göttliches" einander gleichsetzt, steht er in der geistigen Fortzeugung einer einheitlich fortlebenden Gemeinschaft- „den sinnlichen Ausdruck der Offenbarungen des Göttlichen." Die Hoffnung des einzelnen Menschen auf ewige Fortdauer seiner Wirksamkeit auch auf dieser Welt gründet sich „auf die Hoffnung der ewigen Fortdauer des Volkes, aus dem er sich entwickelt hat." Vaterlandsliebe ist Ewigkeits-, Gottesliebe in dem höheren Sinne, der die Nation nicht bloß als äußere Form für die Gewährleistung allgemeiner Ordnung und Wohlfahrt, sondern „als Hülle des Ewigen auffaßt." Es ist kein Wunder, daß diese Fichtesche Anschauung gerade in dieser Zeit notwendiger nationaler Selbstbesinnung wieder Wurzel gefaßt hat (oder daß ihre deutsche Ursprünglichkeit durch diesen Krieg offenbar wurde). In den? erwähnten früheren Aufsatze habe ich es an einer Reihe von Feldpostbriefen einfacher Soldaten gezeigt. Heute will ich die Beispiele durch Stellen aus Schriften der neuesten Kriegsliteratur ergänzen. Professor Alfred Uckelev, der in seiner Schrift „Wie sie im Kriege Gott fanden" (Bonn 1916, Verlag Alex Schmidt) mit großer Vorsicht Material gesammelt und verarbeitet hat, bringt den sehr bezeichnenden Brief eines Reserveoffiziers bei. „Als ich endlich das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/104>, abgerufen am 23.07.2024.