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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Briefwechsel von Gustav Freytag mit Graf und Gräfin Baudissin

sehen u. habe nicht seine Adresse. Wollten Sie die Güte haben, dieselben durch
Ihren treuen Diener als einen Gruß auswärtiger Freunde an ihn senden lassen.

Zuletzt bitte ich um die Erlaubniß, Ihnen Ende der nächsten Woche in
das Haus fallen zu dürfen. Ich würde mir die Freiheit nehmen, den Tag --
Sonnabend -- noch zu schreiben. Da Sie mir doch erlauben wollen, Sie
selbst in Ihrer Häuslichkeit zu belästigen.

Herrn Grafen meinen innigen Dank und treuergebener Gruß. Hrn.
General meine artigsten Empfehlungen, Ihnen alle Treue u. Verehrung


Ihres Freytag.
Freytag an Gräfin Sophie Baudissin.

Meine verehrte holde Freundin!

Mein Doktor Günther hat mir für Morgen wegen verschwollenem Hals
die Erlaubniß kräftig verweigert und hat mich auf Anfang nächster Woche ver¬
tröstet. Ich bin sehr melancholisch darüber, denn ich bin in großer Gefahr
Ihnen überdrüssig und langweilig zu werden, bevor ich noch in persönlichem
Zusammensein als redlicher Mann das Meine dazu gethan habe. Wie ein
schlechtes Stück, welches immer wieder vom Zettel abgesetzt wird, weil sich die
Direction nicht damit heraustraut. Nur das Zeugniß darf ich mir geben, ich
habe die Ganze Woche Alles Erdenkliche gethan, mich für Sonnabend zurecht
zu stutzen. Ich habe einen ganzen ausgestalteten Zopf eines unsäglichen Stoffes
selber zerquirlt und als Mandelmilch verschluckt -- ein schwächliches Getränk! --
habe Stube gehütet, häufig Cigarrenspitzen abgeschnitten u. die armen Teufel
wieder in den Kasten gelegt, ich habe mich in menschlicher Sprache auf das
Nothwendigste beschränkt und meinen Leuten schwere mimische Aufgaben gestellt,
ich bin wie ein kleiner Junge ins Bett gekrochen, sobald der Nachtwächter das
erstemal blies, es hat Alles nichts geholfen, denn warum? es ist eine Drüse.
Ich bitte, ich beschwöre Sie, nur nichts mit diesem Zeug zu thun zu haben.
Zähne, Nerven, Magen sind nichts dagegen. Es ist eigensinnig, es ist hart¬
näckig, es ist heuchlerisch; es geht und kommt, wie im Sohn der Wildniß die
Liebe, und wenn es da ist, nützt kein Doktor und keine Salbei, sogar der
Höllenstein ist ihm wie Punsch. Dick und beharrlich ist sein Charakter, und
für die Stimme der Freundschaft und Verehrung ist es durchaus unzugänglich.

Mit solchem Gesindel muß man sich rumschlagen.

Meine Frau?) versucht vergebens mich mit Anfang nächster Woche zu ver¬
trösten. Wenn ich da noch kommen darf, der Braten ist doch gegessen.

Bitte sein Sie mir nicht böse. Gönnen Sie mir noch durch zwei drei
Tage den letzten Rest Ihres menschlichen Antheils, den bis aufs Aeußerste
erschöpft zu haben ich mir wohl bewußt bin. Bedenken Sie, daß es mir sehr
schlecht geht, daß. weil und indem ich morgen nicht kommen kann.



Freytags erste Gattin Emilie, geb. Scholz, geschiedene Gräfin Dyhrn.
Briefwechsel von Gustav Freytag mit Graf und Gräfin Baudissin

sehen u. habe nicht seine Adresse. Wollten Sie die Güte haben, dieselben durch
Ihren treuen Diener als einen Gruß auswärtiger Freunde an ihn senden lassen.

Zuletzt bitte ich um die Erlaubniß, Ihnen Ende der nächsten Woche in
das Haus fallen zu dürfen. Ich würde mir die Freiheit nehmen, den Tag —
Sonnabend — noch zu schreiben. Da Sie mir doch erlauben wollen, Sie
selbst in Ihrer Häuslichkeit zu belästigen.

Herrn Grafen meinen innigen Dank und treuergebener Gruß. Hrn.
General meine artigsten Empfehlungen, Ihnen alle Treue u. Verehrung


Ihres Freytag.
Freytag an Gräfin Sophie Baudissin.

Meine verehrte holde Freundin!

Mein Doktor Günther hat mir für Morgen wegen verschwollenem Hals
die Erlaubniß kräftig verweigert und hat mich auf Anfang nächster Woche ver¬
tröstet. Ich bin sehr melancholisch darüber, denn ich bin in großer Gefahr
Ihnen überdrüssig und langweilig zu werden, bevor ich noch in persönlichem
Zusammensein als redlicher Mann das Meine dazu gethan habe. Wie ein
schlechtes Stück, welches immer wieder vom Zettel abgesetzt wird, weil sich die
Direction nicht damit heraustraut. Nur das Zeugniß darf ich mir geben, ich
habe die Ganze Woche Alles Erdenkliche gethan, mich für Sonnabend zurecht
zu stutzen. Ich habe einen ganzen ausgestalteten Zopf eines unsäglichen Stoffes
selber zerquirlt und als Mandelmilch verschluckt — ein schwächliches Getränk! —
habe Stube gehütet, häufig Cigarrenspitzen abgeschnitten u. die armen Teufel
wieder in den Kasten gelegt, ich habe mich in menschlicher Sprache auf das
Nothwendigste beschränkt und meinen Leuten schwere mimische Aufgaben gestellt,
ich bin wie ein kleiner Junge ins Bett gekrochen, sobald der Nachtwächter das
erstemal blies, es hat Alles nichts geholfen, denn warum? es ist eine Drüse.
Ich bitte, ich beschwöre Sie, nur nichts mit diesem Zeug zu thun zu haben.
Zähne, Nerven, Magen sind nichts dagegen. Es ist eigensinnig, es ist hart¬
näckig, es ist heuchlerisch; es geht und kommt, wie im Sohn der Wildniß die
Liebe, und wenn es da ist, nützt kein Doktor und keine Salbei, sogar der
Höllenstein ist ihm wie Punsch. Dick und beharrlich ist sein Charakter, und
für die Stimme der Freundschaft und Verehrung ist es durchaus unzugänglich.

Mit solchem Gesindel muß man sich rumschlagen.

Meine Frau?) versucht vergebens mich mit Anfang nächster Woche zu ver¬
trösten. Wenn ich da noch kommen darf, der Braten ist doch gegessen.

Bitte sein Sie mir nicht böse. Gönnen Sie mir noch durch zwei drei
Tage den letzten Rest Ihres menschlichen Antheils, den bis aufs Aeußerste
erschöpft zu haben ich mir wohl bewußt bin. Bedenken Sie, daß es mir sehr
schlecht geht, daß. weil und indem ich morgen nicht kommen kann.



Freytags erste Gattin Emilie, geb. Scholz, geschiedene Gräfin Dyhrn.
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[0056] Briefwechsel von Gustav Freytag mit Graf und Gräfin Baudissin sehen u. habe nicht seine Adresse. Wollten Sie die Güte haben, dieselben durch Ihren treuen Diener als einen Gruß auswärtiger Freunde an ihn senden lassen. Zuletzt bitte ich um die Erlaubniß, Ihnen Ende der nächsten Woche in das Haus fallen zu dürfen. Ich würde mir die Freiheit nehmen, den Tag — Sonnabend — noch zu schreiben. Da Sie mir doch erlauben wollen, Sie selbst in Ihrer Häuslichkeit zu belästigen. Herrn Grafen meinen innigen Dank und treuergebener Gruß. Hrn. General meine artigsten Empfehlungen, Ihnen alle Treue u. Verehrung Ihres Freytag. Freytag an Gräfin Sophie Baudissin. Meine verehrte holde Freundin! Mein Doktor Günther hat mir für Morgen wegen verschwollenem Hals die Erlaubniß kräftig verweigert und hat mich auf Anfang nächster Woche ver¬ tröstet. Ich bin sehr melancholisch darüber, denn ich bin in großer Gefahr Ihnen überdrüssig und langweilig zu werden, bevor ich noch in persönlichem Zusammensein als redlicher Mann das Meine dazu gethan habe. Wie ein schlechtes Stück, welches immer wieder vom Zettel abgesetzt wird, weil sich die Direction nicht damit heraustraut. Nur das Zeugniß darf ich mir geben, ich habe die Ganze Woche Alles Erdenkliche gethan, mich für Sonnabend zurecht zu stutzen. Ich habe einen ganzen ausgestalteten Zopf eines unsäglichen Stoffes selber zerquirlt und als Mandelmilch verschluckt — ein schwächliches Getränk! — habe Stube gehütet, häufig Cigarrenspitzen abgeschnitten u. die armen Teufel wieder in den Kasten gelegt, ich habe mich in menschlicher Sprache auf das Nothwendigste beschränkt und meinen Leuten schwere mimische Aufgaben gestellt, ich bin wie ein kleiner Junge ins Bett gekrochen, sobald der Nachtwächter das erstemal blies, es hat Alles nichts geholfen, denn warum? es ist eine Drüse. Ich bitte, ich beschwöre Sie, nur nichts mit diesem Zeug zu thun zu haben. Zähne, Nerven, Magen sind nichts dagegen. Es ist eigensinnig, es ist hart¬ näckig, es ist heuchlerisch; es geht und kommt, wie im Sohn der Wildniß die Liebe, und wenn es da ist, nützt kein Doktor und keine Salbei, sogar der Höllenstein ist ihm wie Punsch. Dick und beharrlich ist sein Charakter, und für die Stimme der Freundschaft und Verehrung ist es durchaus unzugänglich. Mit solchem Gesindel muß man sich rumschlagen. Meine Frau?) versucht vergebens mich mit Anfang nächster Woche zu ver¬ trösten. Wenn ich da noch kommen darf, der Braten ist doch gegessen. Bitte sein Sie mir nicht böse. Gönnen Sie mir noch durch zwei drei Tage den letzten Rest Ihres menschlichen Antheils, den bis aufs Aeußerste erschöpft zu haben ich mir wohl bewußt bin. Bedenken Sie, daß es mir sehr schlecht geht, daß. weil und indem ich morgen nicht kommen kann. Freytags erste Gattin Emilie, geb. Scholz, geschiedene Gräfin Dyhrn.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/56>, abgerufen am 23.07.2024.