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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Gustav Freytag bei den Grenzboten

auch der Abschied vom besten Inhalt seines Lebens. Sein Verdienst war es
doch vor allem, wenn er bescheiden quittieren durfte, daß selbständige Über¬
zeugung und fester Ausdruck derselben die Zeitschrift bald zu einer der
geachtetsten machten und "daß die "Grenzboten" einen wesentlichen Einfluß
auf die Bildung der jungen Generation ausgeübt und allmählich den Ruhm
erworben haben, viel von deutscher Einsicht und deutschem Gewissen zutage
zu bringen".

Freytag hat den Umkreis seiner politischen Fähigkeiten am besten ge¬
kannt, die mannigfachen Irrtümer, die ihm unterliefen, nicht verschleiert. "Manch¬
mal hat mans getroffen, manchmal, und wohl öfter, nicht. Im ganzen macht
solche Durchsicht (se. seiner Aufsätze) bescheiden, es ist doch vieles anders
gekommen, als man sichs seiner Zeit gedacht hat. Wo man recht heiß begehrt
hat, und wo man das Ärgste befürchtet hat. ist man durch den Erfolg wider¬
legt worden. Und doch hat man seiner Zeit so ehrlich und klug, als man
vermochte, um das Künftige gesorgt." Man kann Freytag den Vorwurf starker
doktrinärer Befangenheit nicht ersparen. Wohl war er nicht Doktrinär von
der Art, daß er sich von den naturrechtlichen Phantomen hätte beirren lassen.
Vielmehr deshalb, weil seine politischen Überzeugungen sehr erheblich von wissen¬
schaftlichen Momenten bestimmt wurden, die ihnen erst im vollen Umfang den
Charakter einseitiger politischer Doktrinen verliehen. Die Doppelstellung als
Dichter und Gelehrter einerseits, Politiker andererseits wurde ihm verhängnisvoller
als den meisten anderen Politikern der alten Professoraten Schule. Akademische
Einflüsse und die gemütvolle Schwerfälligkeit einer spezifisch liberalen Welt-
anschauung erschwerten ihm das Verständnis Bismarckscher Macht- und Realpolitik.

Doch pflegen wir Wert und Bedeutung eines Mannes nicht so sehr nach
seinen Werken an sich zu messen, als nach Geist und Charakter, der daraus zu
uns spricht. Freytags publizistische Tätigkeit zeichnet sich weniger durch die Origi-
nalität und Schärfe der darin vertretenen Anschauungen aus als durch den
tiefen sittlichen Kern der dahinter stehenden Persönlichkeit. "Sie sind gewöhnt,
in jeden Stoff, den Ihre Feder berührt, ein Stück Ihres Herzens zu legen",
konnte Treitschke von ihm sagen. Es ist das Ethos eines durch und durch
deutschen Mannes, der wie kein zweiter seine Deutschen kannte und gerade hier,
in der Publizistik, am warmherzigsten ihrem nationalen und liberalen Idealismus
Ausdruck zu geben verstand. Dergestalt, als der "bescheidene Hausfreund seines
Volkes" wird Gustav Freytag, der Redakteur der "Grenzboten", dauernd in der
Geschichte des deutschen Idealismus und untrennbar vom tiefsten Gehalt unseres
Deutschtums fortleben. "Denn tüchtiges Leben endet auf Erden nicht mit dem
Tode, es dauert in Gemüt und Tun der Freunde, wie in den Gedanken und
der Arbeit des Volkes."




Gustav Freytag bei den Grenzboten

auch der Abschied vom besten Inhalt seines Lebens. Sein Verdienst war es
doch vor allem, wenn er bescheiden quittieren durfte, daß selbständige Über¬
zeugung und fester Ausdruck derselben die Zeitschrift bald zu einer der
geachtetsten machten und „daß die „Grenzboten" einen wesentlichen Einfluß
auf die Bildung der jungen Generation ausgeübt und allmählich den Ruhm
erworben haben, viel von deutscher Einsicht und deutschem Gewissen zutage
zu bringen".

Freytag hat den Umkreis seiner politischen Fähigkeiten am besten ge¬
kannt, die mannigfachen Irrtümer, die ihm unterliefen, nicht verschleiert. „Manch¬
mal hat mans getroffen, manchmal, und wohl öfter, nicht. Im ganzen macht
solche Durchsicht (se. seiner Aufsätze) bescheiden, es ist doch vieles anders
gekommen, als man sichs seiner Zeit gedacht hat. Wo man recht heiß begehrt
hat, und wo man das Ärgste befürchtet hat. ist man durch den Erfolg wider¬
legt worden. Und doch hat man seiner Zeit so ehrlich und klug, als man
vermochte, um das Künftige gesorgt." Man kann Freytag den Vorwurf starker
doktrinärer Befangenheit nicht ersparen. Wohl war er nicht Doktrinär von
der Art, daß er sich von den naturrechtlichen Phantomen hätte beirren lassen.
Vielmehr deshalb, weil seine politischen Überzeugungen sehr erheblich von wissen¬
schaftlichen Momenten bestimmt wurden, die ihnen erst im vollen Umfang den
Charakter einseitiger politischer Doktrinen verliehen. Die Doppelstellung als
Dichter und Gelehrter einerseits, Politiker andererseits wurde ihm verhängnisvoller
als den meisten anderen Politikern der alten Professoraten Schule. Akademische
Einflüsse und die gemütvolle Schwerfälligkeit einer spezifisch liberalen Welt-
anschauung erschwerten ihm das Verständnis Bismarckscher Macht- und Realpolitik.

Doch pflegen wir Wert und Bedeutung eines Mannes nicht so sehr nach
seinen Werken an sich zu messen, als nach Geist und Charakter, der daraus zu
uns spricht. Freytags publizistische Tätigkeit zeichnet sich weniger durch die Origi-
nalität und Schärfe der darin vertretenen Anschauungen aus als durch den
tiefen sittlichen Kern der dahinter stehenden Persönlichkeit. „Sie sind gewöhnt,
in jeden Stoff, den Ihre Feder berührt, ein Stück Ihres Herzens zu legen",
konnte Treitschke von ihm sagen. Es ist das Ethos eines durch und durch
deutschen Mannes, der wie kein zweiter seine Deutschen kannte und gerade hier,
in der Publizistik, am warmherzigsten ihrem nationalen und liberalen Idealismus
Ausdruck zu geben verstand. Dergestalt, als der „bescheidene Hausfreund seines
Volkes" wird Gustav Freytag, der Redakteur der „Grenzboten", dauernd in der
Geschichte des deutschen Idealismus und untrennbar vom tiefsten Gehalt unseres
Deutschtums fortleben. „Denn tüchtiges Leben endet auf Erden nicht mit dem
Tode, es dauert in Gemüt und Tun der Freunde, wie in den Gedanken und
der Arbeit des Volkes."




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/53>, abgerufen am 28.09.2024.