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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Gustav Freytag bei den Grenzboten

schmerzlichste Erfahrung seines Alters. Sie sagte ihm deutlich, daß die Richtung
seines großen Antipoden Bismarck gesiegt hatte.

Freytag und Bismarck. In diesen beiden Namen gewannen die großen
Gegensätze des Jahrhunderts Gestalt. Die Auseinandersetzung zwischen Freytag
und der Persönlichkeit Bismarcks war eine Auseinandersetzung der liberalen
Ideale mit der entgegengesetzten Staatsauffassung, mit der Macht- und Staatsidee.
Daneben waren es Gründe allgemein weltanschaulicher Art, die Freytag das
Verständnis seines überragenden Zeitgenossen verdunkelten. Wie wir bei ihm
das eigentlich schöpferisch-Geniale vermissen, sondern nur ein Talent in ihm
sehen, das, von der demokratischen Flutwelle der Zeit getragen, alle Vorzüge
und Schwächen des großen Mittelstandes in sich vereinigt, so vermochte er auch
bei der Abschätzung individueller Geistesgröße nur den Maßstab bürgerlicher
Moral anzulegen. Die akademische Theorie, mit der er arbeitete, die Vorstellung
einer selbsttätigwirksamen Volkskraft, ließ neben den höheren Lebensinteressen
der Gesamtheit dem schöpferischen Einzelwillen keinen Raum. Wo er in der
Geschichte solchen Herrenmenschen begegnete, ging er ihnen als Ausnahmen sorg¬
fältig nach. Seine pseudodemokratische Geschichtsauffassung sah in ihnen tragische
Helden, die an dem Konflikt der eigenen Größe mit den mächtigeren Bedürfnissen
der Nation verbluteten. Ein solches Schicksal teilte seiner Ansicht nach auch
Bismarck mit "höher organisierten Männern", wie Luther und Friedrich dem
Zweiten. Freytag war außerdem zu selbständig, als daß er sich, durch den
Erfolg verführt, mit einem schnellen Ruck zu Bismarck bekannt hätte, und wenn
er wohl auch zuweilen ahnte: "in der Politik freilich waren die Spießbürger
nicht immer die stärkeren", im Grunde gelang es ihm nicht, die Eindrücke seiner
Mannesjahre abzustreifen. Bismarck blieb seinem innersten Wesen fremd, er
war der dämonische, unberechenbare Gewaltmensch, der Abtrünnige, der sich vom
Kern des Volkes gelöst hatte, "doch nur möglich in einer Tageszeit, welche
aus der Nacht in das helle Licht hinüberführt."

Mit der Errichtung des norddeutschen Bundes, da die völlige Einheit
Deutschlands nur noch eine Frage der Zeit sein konnte, war auch Freytags
Hauptarbeit geleistet. Sieht man von den glänzenden Berichten ab, mit denen
er als Berichterstatter im Hauptquartier des Kronprinzen 1870 ratend und
mahnend die Kämpfe der Erfüllungszeit begleitete und auch rein äußerlich
seiner Publizistik den krönenden Abschluß gab, so hatte er seinem Volke nichts
mehr zu sagen. Das eine große Ziel seines Strebens war erreicht. Das
Verständnis für die Aufgaben der Gegenwart wußte er sich auch im kalten
Frühlicht einer neuen Zeit wachzuerhalten. Als die "Grenzboten" im Jahre
1870 infolge konfessioneller Meinungsverschiedenheiten mit dein Verleger in
andere Hände übergingen, schenkte Freytag der von Hirzel neugegründeten Zeit¬
schrift "Im neuen Reich" pflichtgetreu seine Teilnahme und drückte den ersten
Jahrgängen überwiegend den Stempel seines Geistes auf. Freilich, seine
geliebten "Grünen" waren es nicht mehr, und der Abschied von ihnen war


Gustav Freytag bei den Grenzboten

schmerzlichste Erfahrung seines Alters. Sie sagte ihm deutlich, daß die Richtung
seines großen Antipoden Bismarck gesiegt hatte.

Freytag und Bismarck. In diesen beiden Namen gewannen die großen
Gegensätze des Jahrhunderts Gestalt. Die Auseinandersetzung zwischen Freytag
und der Persönlichkeit Bismarcks war eine Auseinandersetzung der liberalen
Ideale mit der entgegengesetzten Staatsauffassung, mit der Macht- und Staatsidee.
Daneben waren es Gründe allgemein weltanschaulicher Art, die Freytag das
Verständnis seines überragenden Zeitgenossen verdunkelten. Wie wir bei ihm
das eigentlich schöpferisch-Geniale vermissen, sondern nur ein Talent in ihm
sehen, das, von der demokratischen Flutwelle der Zeit getragen, alle Vorzüge
und Schwächen des großen Mittelstandes in sich vereinigt, so vermochte er auch
bei der Abschätzung individueller Geistesgröße nur den Maßstab bürgerlicher
Moral anzulegen. Die akademische Theorie, mit der er arbeitete, die Vorstellung
einer selbsttätigwirksamen Volkskraft, ließ neben den höheren Lebensinteressen
der Gesamtheit dem schöpferischen Einzelwillen keinen Raum. Wo er in der
Geschichte solchen Herrenmenschen begegnete, ging er ihnen als Ausnahmen sorg¬
fältig nach. Seine pseudodemokratische Geschichtsauffassung sah in ihnen tragische
Helden, die an dem Konflikt der eigenen Größe mit den mächtigeren Bedürfnissen
der Nation verbluteten. Ein solches Schicksal teilte seiner Ansicht nach auch
Bismarck mit „höher organisierten Männern", wie Luther und Friedrich dem
Zweiten. Freytag war außerdem zu selbständig, als daß er sich, durch den
Erfolg verführt, mit einem schnellen Ruck zu Bismarck bekannt hätte, und wenn
er wohl auch zuweilen ahnte: „in der Politik freilich waren die Spießbürger
nicht immer die stärkeren", im Grunde gelang es ihm nicht, die Eindrücke seiner
Mannesjahre abzustreifen. Bismarck blieb seinem innersten Wesen fremd, er
war der dämonische, unberechenbare Gewaltmensch, der Abtrünnige, der sich vom
Kern des Volkes gelöst hatte, „doch nur möglich in einer Tageszeit, welche
aus der Nacht in das helle Licht hinüberführt."

Mit der Errichtung des norddeutschen Bundes, da die völlige Einheit
Deutschlands nur noch eine Frage der Zeit sein konnte, war auch Freytags
Hauptarbeit geleistet. Sieht man von den glänzenden Berichten ab, mit denen
er als Berichterstatter im Hauptquartier des Kronprinzen 1870 ratend und
mahnend die Kämpfe der Erfüllungszeit begleitete und auch rein äußerlich
seiner Publizistik den krönenden Abschluß gab, so hatte er seinem Volke nichts
mehr zu sagen. Das eine große Ziel seines Strebens war erreicht. Das
Verständnis für die Aufgaben der Gegenwart wußte er sich auch im kalten
Frühlicht einer neuen Zeit wachzuerhalten. Als die „Grenzboten" im Jahre
1870 infolge konfessioneller Meinungsverschiedenheiten mit dein Verleger in
andere Hände übergingen, schenkte Freytag der von Hirzel neugegründeten Zeit¬
schrift „Im neuen Reich" pflichtgetreu seine Teilnahme und drückte den ersten
Jahrgängen überwiegend den Stempel seines Geistes auf. Freilich, seine
geliebten „Grünen" waren es nicht mehr, und der Abschied von ihnen war


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[0052] Gustav Freytag bei den Grenzboten schmerzlichste Erfahrung seines Alters. Sie sagte ihm deutlich, daß die Richtung seines großen Antipoden Bismarck gesiegt hatte. Freytag und Bismarck. In diesen beiden Namen gewannen die großen Gegensätze des Jahrhunderts Gestalt. Die Auseinandersetzung zwischen Freytag und der Persönlichkeit Bismarcks war eine Auseinandersetzung der liberalen Ideale mit der entgegengesetzten Staatsauffassung, mit der Macht- und Staatsidee. Daneben waren es Gründe allgemein weltanschaulicher Art, die Freytag das Verständnis seines überragenden Zeitgenossen verdunkelten. Wie wir bei ihm das eigentlich schöpferisch-Geniale vermissen, sondern nur ein Talent in ihm sehen, das, von der demokratischen Flutwelle der Zeit getragen, alle Vorzüge und Schwächen des großen Mittelstandes in sich vereinigt, so vermochte er auch bei der Abschätzung individueller Geistesgröße nur den Maßstab bürgerlicher Moral anzulegen. Die akademische Theorie, mit der er arbeitete, die Vorstellung einer selbsttätigwirksamen Volkskraft, ließ neben den höheren Lebensinteressen der Gesamtheit dem schöpferischen Einzelwillen keinen Raum. Wo er in der Geschichte solchen Herrenmenschen begegnete, ging er ihnen als Ausnahmen sorg¬ fältig nach. Seine pseudodemokratische Geschichtsauffassung sah in ihnen tragische Helden, die an dem Konflikt der eigenen Größe mit den mächtigeren Bedürfnissen der Nation verbluteten. Ein solches Schicksal teilte seiner Ansicht nach auch Bismarck mit „höher organisierten Männern", wie Luther und Friedrich dem Zweiten. Freytag war außerdem zu selbständig, als daß er sich, durch den Erfolg verführt, mit einem schnellen Ruck zu Bismarck bekannt hätte, und wenn er wohl auch zuweilen ahnte: „in der Politik freilich waren die Spießbürger nicht immer die stärkeren", im Grunde gelang es ihm nicht, die Eindrücke seiner Mannesjahre abzustreifen. Bismarck blieb seinem innersten Wesen fremd, er war der dämonische, unberechenbare Gewaltmensch, der Abtrünnige, der sich vom Kern des Volkes gelöst hatte, „doch nur möglich in einer Tageszeit, welche aus der Nacht in das helle Licht hinüberführt." Mit der Errichtung des norddeutschen Bundes, da die völlige Einheit Deutschlands nur noch eine Frage der Zeit sein konnte, war auch Freytags Hauptarbeit geleistet. Sieht man von den glänzenden Berichten ab, mit denen er als Berichterstatter im Hauptquartier des Kronprinzen 1870 ratend und mahnend die Kämpfe der Erfüllungszeit begleitete und auch rein äußerlich seiner Publizistik den krönenden Abschluß gab, so hatte er seinem Volke nichts mehr zu sagen. Das eine große Ziel seines Strebens war erreicht. Das Verständnis für die Aufgaben der Gegenwart wußte er sich auch im kalten Frühlicht einer neuen Zeit wachzuerhalten. Als die „Grenzboten" im Jahre 1870 infolge konfessioneller Meinungsverschiedenheiten mit dein Verleger in andere Hände übergingen, schenkte Freytag der von Hirzel neugegründeten Zeit¬ schrift „Im neuen Reich" pflichtgetreu seine Teilnahme und drückte den ersten Jahrgängen überwiegend den Stempel seines Geistes auf. Freilich, seine geliebten „Grünen" waren es nicht mehr, und der Abschied von ihnen war

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/52>, abgerufen am 26.06.2024.