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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Friedrich Gskar v. Schwarze

Preußischen Allgemeinen Landrechts. Stölzel in des letzteren Lebensbeschreibung
nachgewiesen hat, in Löbau in Sachsen geboren, trat Friedrich Oskar mit
19 Jahren nach mit bester Note bestandener Prüfung in den Staatsdienst.
Rasch stieg er die Stufen der Beamtenpyramide hinan. Mit 22 Jahren war
er Vortragssekretär im sächsischen Kultusministerium, 1842 Assessor am Appella¬
tionsgericht in Dresden, 1346 Mitglied des Spruchkollegiums der Universität
Leipzig, und 1^/2 Jahr später saß der Zweiunddreißigjährige als Avellations-
rat im Obersten Gerichtshof in Dresden. 1856 wurde er Oberstaatsanwalt
und Chef der Sächsischen Staatsanwaltschaft, seit 1860 mit dem Titel eines
General-Staatsanwalts. In dieser Stellung verblieb er und lehnte sogar, wenn
auch sehr schwankend, eine Berufung an das Reichsgericht als Senatspräsident
ab. 1885 schied er als Wirklicher Geheimer Rat aus dem Dienst und starb
am 17. Januar 1886 in Dresden.

Diese amtliche Tätigkeit war begleitet von einer reichen gesetzgeberischen:
Schon 1848 wurde er zur Teilnahme am Entwurf einer Strafprozeßordnung
berufen, 1849 wurde er Mitglied der Gesetzgebungs-Kommission, und die 1856
in Kraft getretene, als Musterwerk noch jetzt anerkannte, auf Anklageform,
Mündlichkeit, Öffentlichkeit und freier Beweiswürdigung beruhende Strafproze߬
ordnung für das Königreich Sachsen ist sein Werk. Er hat darin die Berufung
nur zu Gunsten des Verurteilten zugelassen und den Staatsanwalt ans der
Stellung des nur betastenden Anklägers herausgehoben, indem er ihm die Aus¬
gabe zuwies, das zur Entlastung des Beschuldigten Geeignete nicht minder zu
beachten, als das ihn Belastende. Unter seiner wesentlichen Mitwirkung kamen
1868 das Revidierte Strafgesetzbuch (Abschaffung der Todesstrafe!) und die
Revidierte Strafprozeßordnung zustande, die er durch die Einführung des
Schöffengerichts auch für mittlere Strafsachen ergänzte. Sie bewährten sich
vollkommen und genossen des Ansehens der Juristen nicht minder als des Ver¬
trauens der Bevölkerung. Vorzüglich auf ihren Erfolg ist es zurückzuführen,
daß der Entwurf einer Strafprozeßordnung für das Deutsche Reich von 1873
die Durchführung des Schöffengerichts-Systems unter Beseitigung des Ge¬
schworeneninstituts vorschlug und daß dieser Vorschlag von der vom Bundes¬
rat zur Beratung und Feststellung des Entwurfs eingesetzten Kommisston mit
erheblicher Mehrheit angenommen wurde. Wenn auch damals die Einführung
von Schöffengerichten für alle Strafsachen nicht ausführbar war, so hat
doch der erfolgreiche sächsische Versuch seine Bedeutung für die Zukunft nicht
eingebüßt, und das ist sonnt Schwarzes Verdienst.

Die politische Umgestaltung Deutschlands 1866 erweiterte das Feld seiner
gesetzgeberischen' Tätigkeit: von 1867 bis 1885 vertrat er im Reichstag den
Wahlkreis Dresden rechts der Elbe. Er gehörte zuerst der liberalen Reichs-,
partei, nach 1873 der Deutschen Reichspartei (Freikonservativen Partei) an, uno
zwar als einer ihrer Führer. Hier wirkte er mit an erster Stelle für die Her"
Stellung der deutschen Rechtseinheit als Vorsitzender in fast allen Reichstags-


Friedrich Gskar v. Schwarze

Preußischen Allgemeinen Landrechts. Stölzel in des letzteren Lebensbeschreibung
nachgewiesen hat, in Löbau in Sachsen geboren, trat Friedrich Oskar mit
19 Jahren nach mit bester Note bestandener Prüfung in den Staatsdienst.
Rasch stieg er die Stufen der Beamtenpyramide hinan. Mit 22 Jahren war
er Vortragssekretär im sächsischen Kultusministerium, 1842 Assessor am Appella¬
tionsgericht in Dresden, 1346 Mitglied des Spruchkollegiums der Universität
Leipzig, und 1^/2 Jahr später saß der Zweiunddreißigjährige als Avellations-
rat im Obersten Gerichtshof in Dresden. 1856 wurde er Oberstaatsanwalt
und Chef der Sächsischen Staatsanwaltschaft, seit 1860 mit dem Titel eines
General-Staatsanwalts. In dieser Stellung verblieb er und lehnte sogar, wenn
auch sehr schwankend, eine Berufung an das Reichsgericht als Senatspräsident
ab. 1885 schied er als Wirklicher Geheimer Rat aus dem Dienst und starb
am 17. Januar 1886 in Dresden.

Diese amtliche Tätigkeit war begleitet von einer reichen gesetzgeberischen:
Schon 1848 wurde er zur Teilnahme am Entwurf einer Strafprozeßordnung
berufen, 1849 wurde er Mitglied der Gesetzgebungs-Kommission, und die 1856
in Kraft getretene, als Musterwerk noch jetzt anerkannte, auf Anklageform,
Mündlichkeit, Öffentlichkeit und freier Beweiswürdigung beruhende Strafproze߬
ordnung für das Königreich Sachsen ist sein Werk. Er hat darin die Berufung
nur zu Gunsten des Verurteilten zugelassen und den Staatsanwalt ans der
Stellung des nur betastenden Anklägers herausgehoben, indem er ihm die Aus¬
gabe zuwies, das zur Entlastung des Beschuldigten Geeignete nicht minder zu
beachten, als das ihn Belastende. Unter seiner wesentlichen Mitwirkung kamen
1868 das Revidierte Strafgesetzbuch (Abschaffung der Todesstrafe!) und die
Revidierte Strafprozeßordnung zustande, die er durch die Einführung des
Schöffengerichts auch für mittlere Strafsachen ergänzte. Sie bewährten sich
vollkommen und genossen des Ansehens der Juristen nicht minder als des Ver¬
trauens der Bevölkerung. Vorzüglich auf ihren Erfolg ist es zurückzuführen,
daß der Entwurf einer Strafprozeßordnung für das Deutsche Reich von 1873
die Durchführung des Schöffengerichts-Systems unter Beseitigung des Ge¬
schworeneninstituts vorschlug und daß dieser Vorschlag von der vom Bundes¬
rat zur Beratung und Feststellung des Entwurfs eingesetzten Kommisston mit
erheblicher Mehrheit angenommen wurde. Wenn auch damals die Einführung
von Schöffengerichten für alle Strafsachen nicht ausführbar war, so hat
doch der erfolgreiche sächsische Versuch seine Bedeutung für die Zukunft nicht
eingebüßt, und das ist sonnt Schwarzes Verdienst.

Die politische Umgestaltung Deutschlands 1866 erweiterte das Feld seiner
gesetzgeberischen' Tätigkeit: von 1867 bis 1885 vertrat er im Reichstag den
Wahlkreis Dresden rechts der Elbe. Er gehörte zuerst der liberalen Reichs-,
partei, nach 1873 der Deutschen Reichspartei (Freikonservativen Partei) an, uno
zwar als einer ihrer Führer. Hier wirkte er mit an erster Stelle für die Her«
Stellung der deutschen Rechtseinheit als Vorsitzender in fast allen Reichstags-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/424>, abgerufen am 23.07.2024.