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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Akademische Ariegsliteratur

und zwar sind die meisten Aufsätze durchströmt von einem starken christlichen
Empfinden, das sich seines Glaubens in keiner Weise vor der Öffentlichkeit
schämt. So wirken die Liebesgaben ebenso wie die beiden streng katholischen
als eine christliche Tendcnzliteratur im edelsten Sinne, als Zeichen eines neu¬
erwachten, tief innerlichen religiösen Glaubens, der sich kräftig genug fühlt, den
Kampf mit der andersdenkenden Welt aufzunehmen und zu einem siegreichen
Ende zu führen. Den einen oder anderen Leser stört vielleicht die stark christ¬
liche Note, oder sie fordert gar seinen Widerspruch heraus, aber selbst der,
welcher die Grundstimmung der Bücher nicht teilt, wird gern zugeben, daß sie
inhaltlich wertvoll sind und "als schöner Einschlag in das so oft eintönige
Schützengrabenleben" die ihnen zuteil gewordene Massenverbreitung in mehr
als 300000 Abzügen tatsächlich verdienen. Einen entschiedenen Mangel dagegen
erblicke ich darin, daß von den eigentlich studentischen Führern, älteren wie
jüngeren, fast keiner in den Büchern der Furche und der beiden katholischen
Verlage vertreten ist. Diese Nichtbeteiligung mag darin ihren Grund haben,
daß es den Herausgebern in erster Linie darauf ankam, Weltanschauungsfragen
mit voller Schärfe herauszuarbeiten, aber sie hat doch zur Folge, daß der
Zusammenhang mit dem für die Hochschuljugend wichtigen und vertrauten
Studentenleben nicht gefördert wird. In dieser Hinsicht haben die deutschen
Studentinnen einen praktischeren Sinn bewiesen. In dem schönen Sammel¬
buche: "Vor uns der Tag", dessen gutgewählter symbolischer Titel schon wie
ein jauchzender Jubelruf, wie ein der eigenen Kraft sicherer Gruß an die
Zukunft klingt, werden nicht nur mit ruhigem Stolze die Probleme, Forderungen
und Leistungen des gegenwärtigen Frauengeschlechts von einem der christlichen
Studentenbewegung verwandten Standpunkt erörtert und die Redereien vom
"Versagen der Frau im Kriege" glänzend widerlegt, sondern es nehmen darin
auch die vier Vertreterinnen der großen Studentinnenverbände das Wort und
verkündigen vernehmlich, aber ohne ruhmredige Übertreibung, was ihre Körper¬
schaften im Dienste der Allgemeinheit und der akademischen Jugend gewirkt
haben.

Fast sämtliche bisher genannten Veröffentlichungen besitzen als gemeinsames
Merkmal, daß sie für die im Kriege weilenden Akademiker bestimmt und zumeist
von den Daheimgebliebenen geschrieben sind. Sie führen in die Gedanken-
und Gefühlswelt der letzteren ein und stellen -- zum größten Teil wenigstens
-- sittliche Forderungen auf, die sie durch die Draußenstehenden, "unsere
Jugendschar, die Heilige Schar im deutschen Heer", wie sie der Würzburger
Rektor Professor Ernst Mauer rühmend nennt, gern erfüllt sehen möchten.
Sie entrollen vor uns Ideale, und es fragt sich nun, inwieweit diese der
Wirklichkeit entsprechen, und ob ein das Innenleben läuternder und veredelnder
Schützengrabengeist in der akademischen Jugend zum Durchbruch gekommen ist.
Um dies zu entscheiden, wäre eine Durchsicht und Prüfung der Feldpostbriefe,
Gedichte und Artikel der im Felde befindlichen Studenten nötig, aber das


Akademische Ariegsliteratur

und zwar sind die meisten Aufsätze durchströmt von einem starken christlichen
Empfinden, das sich seines Glaubens in keiner Weise vor der Öffentlichkeit
schämt. So wirken die Liebesgaben ebenso wie die beiden streng katholischen
als eine christliche Tendcnzliteratur im edelsten Sinne, als Zeichen eines neu¬
erwachten, tief innerlichen religiösen Glaubens, der sich kräftig genug fühlt, den
Kampf mit der andersdenkenden Welt aufzunehmen und zu einem siegreichen
Ende zu führen. Den einen oder anderen Leser stört vielleicht die stark christ¬
liche Note, oder sie fordert gar seinen Widerspruch heraus, aber selbst der,
welcher die Grundstimmung der Bücher nicht teilt, wird gern zugeben, daß sie
inhaltlich wertvoll sind und „als schöner Einschlag in das so oft eintönige
Schützengrabenleben" die ihnen zuteil gewordene Massenverbreitung in mehr
als 300000 Abzügen tatsächlich verdienen. Einen entschiedenen Mangel dagegen
erblicke ich darin, daß von den eigentlich studentischen Führern, älteren wie
jüngeren, fast keiner in den Büchern der Furche und der beiden katholischen
Verlage vertreten ist. Diese Nichtbeteiligung mag darin ihren Grund haben,
daß es den Herausgebern in erster Linie darauf ankam, Weltanschauungsfragen
mit voller Schärfe herauszuarbeiten, aber sie hat doch zur Folge, daß der
Zusammenhang mit dem für die Hochschuljugend wichtigen und vertrauten
Studentenleben nicht gefördert wird. In dieser Hinsicht haben die deutschen
Studentinnen einen praktischeren Sinn bewiesen. In dem schönen Sammel¬
buche: „Vor uns der Tag", dessen gutgewählter symbolischer Titel schon wie
ein jauchzender Jubelruf, wie ein der eigenen Kraft sicherer Gruß an die
Zukunft klingt, werden nicht nur mit ruhigem Stolze die Probleme, Forderungen
und Leistungen des gegenwärtigen Frauengeschlechts von einem der christlichen
Studentenbewegung verwandten Standpunkt erörtert und die Redereien vom
„Versagen der Frau im Kriege" glänzend widerlegt, sondern es nehmen darin
auch die vier Vertreterinnen der großen Studentinnenverbände das Wort und
verkündigen vernehmlich, aber ohne ruhmredige Übertreibung, was ihre Körper¬
schaften im Dienste der Allgemeinheit und der akademischen Jugend gewirkt
haben.

Fast sämtliche bisher genannten Veröffentlichungen besitzen als gemeinsames
Merkmal, daß sie für die im Kriege weilenden Akademiker bestimmt und zumeist
von den Daheimgebliebenen geschrieben sind. Sie führen in die Gedanken-
und Gefühlswelt der letzteren ein und stellen — zum größten Teil wenigstens
— sittliche Forderungen auf, die sie durch die Draußenstehenden, „unsere
Jugendschar, die Heilige Schar im deutschen Heer", wie sie der Würzburger
Rektor Professor Ernst Mauer rühmend nennt, gern erfüllt sehen möchten.
Sie entrollen vor uns Ideale, und es fragt sich nun, inwieweit diese der
Wirklichkeit entsprechen, und ob ein das Innenleben läuternder und veredelnder
Schützengrabengeist in der akademischen Jugend zum Durchbruch gekommen ist.
Um dies zu entscheiden, wäre eine Durchsicht und Prüfung der Feldpostbriefe,
Gedichte und Artikel der im Felde befindlichen Studenten nötig, aber das


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[0420] Akademische Ariegsliteratur und zwar sind die meisten Aufsätze durchströmt von einem starken christlichen Empfinden, das sich seines Glaubens in keiner Weise vor der Öffentlichkeit schämt. So wirken die Liebesgaben ebenso wie die beiden streng katholischen als eine christliche Tendcnzliteratur im edelsten Sinne, als Zeichen eines neu¬ erwachten, tief innerlichen religiösen Glaubens, der sich kräftig genug fühlt, den Kampf mit der andersdenkenden Welt aufzunehmen und zu einem siegreichen Ende zu führen. Den einen oder anderen Leser stört vielleicht die stark christ¬ liche Note, oder sie fordert gar seinen Widerspruch heraus, aber selbst der, welcher die Grundstimmung der Bücher nicht teilt, wird gern zugeben, daß sie inhaltlich wertvoll sind und „als schöner Einschlag in das so oft eintönige Schützengrabenleben" die ihnen zuteil gewordene Massenverbreitung in mehr als 300000 Abzügen tatsächlich verdienen. Einen entschiedenen Mangel dagegen erblicke ich darin, daß von den eigentlich studentischen Führern, älteren wie jüngeren, fast keiner in den Büchern der Furche und der beiden katholischen Verlage vertreten ist. Diese Nichtbeteiligung mag darin ihren Grund haben, daß es den Herausgebern in erster Linie darauf ankam, Weltanschauungsfragen mit voller Schärfe herauszuarbeiten, aber sie hat doch zur Folge, daß der Zusammenhang mit dem für die Hochschuljugend wichtigen und vertrauten Studentenleben nicht gefördert wird. In dieser Hinsicht haben die deutschen Studentinnen einen praktischeren Sinn bewiesen. In dem schönen Sammel¬ buche: „Vor uns der Tag", dessen gutgewählter symbolischer Titel schon wie ein jauchzender Jubelruf, wie ein der eigenen Kraft sicherer Gruß an die Zukunft klingt, werden nicht nur mit ruhigem Stolze die Probleme, Forderungen und Leistungen des gegenwärtigen Frauengeschlechts von einem der christlichen Studentenbewegung verwandten Standpunkt erörtert und die Redereien vom „Versagen der Frau im Kriege" glänzend widerlegt, sondern es nehmen darin auch die vier Vertreterinnen der großen Studentinnenverbände das Wort und verkündigen vernehmlich, aber ohne ruhmredige Übertreibung, was ihre Körper¬ schaften im Dienste der Allgemeinheit und der akademischen Jugend gewirkt haben. Fast sämtliche bisher genannten Veröffentlichungen besitzen als gemeinsames Merkmal, daß sie für die im Kriege weilenden Akademiker bestimmt und zumeist von den Daheimgebliebenen geschrieben sind. Sie führen in die Gedanken- und Gefühlswelt der letzteren ein und stellen — zum größten Teil wenigstens — sittliche Forderungen auf, die sie durch die Draußenstehenden, „unsere Jugendschar, die Heilige Schar im deutschen Heer", wie sie der Würzburger Rektor Professor Ernst Mauer rühmend nennt, gern erfüllt sehen möchten. Sie entrollen vor uns Ideale, und es fragt sich nun, inwieweit diese der Wirklichkeit entsprechen, und ob ein das Innenleben läuternder und veredelnder Schützengrabengeist in der akademischen Jugend zum Durchbruch gekommen ist. Um dies zu entscheiden, wäre eine Durchsicht und Prüfung der Feldpostbriefe, Gedichte und Artikel der im Felde befindlichen Studenten nötig, aber das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/420>, abgerufen am 23.07.2024.