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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Alte und neue deutsche Politik

Bülow sagt mit Recht: Um unsere wirtschaftliche Expansion zu sichern, brauchten
wir vor allem eine Flotte. Erste Aufgabe unserer Weltpolitik war daher nichts
anderes, als den Ausbau dieser Flotte gegenüber dem Mißtrauen Englands
durchzuführen. Wie nun, wenn wir durch allzu aggressive Politik England irgend¬
eine Handhabe geboten hätten, uns den Krieg zu erklären und unsere Flotte
zu vernichten, ehe sie stark genug war, um ihm zu widerstehen! Darum war
in der Tat große Zurückhaltung bei den auswärtigen Verwicklungen für Deutsch¬
land geboten. Unsere für viele enttäuschende Haltung im Burenkrieg, während
des russisch-japanischen Konfliktes, unsere Zufriedenheit mit dem gewiß an sich
begrenzten Erfolg in Algeciras erklären sich so. Der Ausbau der Flotte war
nicht früher weit genug fortgeschritten als etwa bei Ablauf der Amtszeit des
Fürsten Bülow. Die Hauptsache war aber, daß er überhaupt gelang. Daß
er nicht schneller vorwärts ging, lag vor allem auch an innerpolitischen Wider¬
ständen. Man konnte vom deutschen Volke nicht verlangen, daß es den unge¬
wohnten Aufgaben der Weltpolitik gleich in allen seinen Teilen mit Verständnis
gegenübertrat. Die Parteien mußten erst nach und nach dafür erobert werden:
Nationalliberale und Konservative zuerst, bald auch das Zentrum, zuletzt endlich
der Freisinn. Ungefähr seit den Blockwahlen von 1907 waren die bürgerlichen
Parteien in Fragen der nationalen Expansion und der Wehrkraft einig. Auch
das ist als ein großer Erfolg unserer Weltpolitik zu betrachten, der uns nicht
von selber in den Schoß fiel. Im Weltkrieg selber ist nun auch der größere
Teil der noch fehlenden Sozialdemokratie in die nationale Phalanx eingeschwenkt.

Nachdem der Bau der Flotte durchgesetzt, und die deutschen Parteien für
die Weltpolitik gewonnen waren, brachte uns die böhmische Krise von 1908
den dritten großen Erfolg. Als Deutschland seine seit Jahrzehnten fest be¬
gründete Kontinentalmacht in die Wagschale warf, zerriß das Gewebe der Ein¬
kreisungspolitik Eduards des Siebenten, und Österreich-Ungarn setzte seine
Ansprüche gegen die feindlichen Mächte durch. Der Bund der beiden Zentral¬
mächte hatte seine Feuerprobe bestanden, und der Versuch Englands, Deutsch¬
land durch überlegene Diplomatie matt zu setzen, war gescheitert. England hat
diesen Versuch nicht wiederholt. Von da an war es klar, daß Deutschland,
wenn überhaupt, nur durch Waffengewalt würd? niedergezwungen werden können.
Als sich durch den Ausbruch des Weltkrieges dazu Gelegenheit fand, da hat
allerdings England diese benutzt. Der vierte bedeutende Erfolg unserer Welt¬
politik endlich ist errungen worden in unserer türkenfreundlichen Orientpolitik,
die seit dem Kaiserbesuch in Jerusalem und Damaskus konsequent durchgeführt
worden ist, der auch letzten Endes die Kaiserrede in Tanger und unsere Haltung
während der Balkankriege gedient hat. Der Weltkrieg hat gezeigt, daß die
unter uns doch recht behalten haben, die das Vertrauen auf unsere türkische
Hypothek nicht verloren, obwohl gerade manche unserer "nationalen" Zeitungen
in den Tagen der Tschataldschakämpfe reichlich kleinmütig den "jugendkräftigen"
Balkanstaaten in kritikloser Bewunderung zufielen. Auch Frymann riet schon


Alte und neue deutsche Politik

Bülow sagt mit Recht: Um unsere wirtschaftliche Expansion zu sichern, brauchten
wir vor allem eine Flotte. Erste Aufgabe unserer Weltpolitik war daher nichts
anderes, als den Ausbau dieser Flotte gegenüber dem Mißtrauen Englands
durchzuführen. Wie nun, wenn wir durch allzu aggressive Politik England irgend¬
eine Handhabe geboten hätten, uns den Krieg zu erklären und unsere Flotte
zu vernichten, ehe sie stark genug war, um ihm zu widerstehen! Darum war
in der Tat große Zurückhaltung bei den auswärtigen Verwicklungen für Deutsch¬
land geboten. Unsere für viele enttäuschende Haltung im Burenkrieg, während
des russisch-japanischen Konfliktes, unsere Zufriedenheit mit dem gewiß an sich
begrenzten Erfolg in Algeciras erklären sich so. Der Ausbau der Flotte war
nicht früher weit genug fortgeschritten als etwa bei Ablauf der Amtszeit des
Fürsten Bülow. Die Hauptsache war aber, daß er überhaupt gelang. Daß
er nicht schneller vorwärts ging, lag vor allem auch an innerpolitischen Wider¬
ständen. Man konnte vom deutschen Volke nicht verlangen, daß es den unge¬
wohnten Aufgaben der Weltpolitik gleich in allen seinen Teilen mit Verständnis
gegenübertrat. Die Parteien mußten erst nach und nach dafür erobert werden:
Nationalliberale und Konservative zuerst, bald auch das Zentrum, zuletzt endlich
der Freisinn. Ungefähr seit den Blockwahlen von 1907 waren die bürgerlichen
Parteien in Fragen der nationalen Expansion und der Wehrkraft einig. Auch
das ist als ein großer Erfolg unserer Weltpolitik zu betrachten, der uns nicht
von selber in den Schoß fiel. Im Weltkrieg selber ist nun auch der größere
Teil der noch fehlenden Sozialdemokratie in die nationale Phalanx eingeschwenkt.

Nachdem der Bau der Flotte durchgesetzt, und die deutschen Parteien für
die Weltpolitik gewonnen waren, brachte uns die böhmische Krise von 1908
den dritten großen Erfolg. Als Deutschland seine seit Jahrzehnten fest be¬
gründete Kontinentalmacht in die Wagschale warf, zerriß das Gewebe der Ein¬
kreisungspolitik Eduards des Siebenten, und Österreich-Ungarn setzte seine
Ansprüche gegen die feindlichen Mächte durch. Der Bund der beiden Zentral¬
mächte hatte seine Feuerprobe bestanden, und der Versuch Englands, Deutsch¬
land durch überlegene Diplomatie matt zu setzen, war gescheitert. England hat
diesen Versuch nicht wiederholt. Von da an war es klar, daß Deutschland,
wenn überhaupt, nur durch Waffengewalt würd? niedergezwungen werden können.
Als sich durch den Ausbruch des Weltkrieges dazu Gelegenheit fand, da hat
allerdings England diese benutzt. Der vierte bedeutende Erfolg unserer Welt¬
politik endlich ist errungen worden in unserer türkenfreundlichen Orientpolitik,
die seit dem Kaiserbesuch in Jerusalem und Damaskus konsequent durchgeführt
worden ist, der auch letzten Endes die Kaiserrede in Tanger und unsere Haltung
während der Balkankriege gedient hat. Der Weltkrieg hat gezeigt, daß die
unter uns doch recht behalten haben, die das Vertrauen auf unsere türkische
Hypothek nicht verloren, obwohl gerade manche unserer „nationalen" Zeitungen
in den Tagen der Tschataldschakämpfe reichlich kleinmütig den „jugendkräftigen"
Balkanstaaten in kritikloser Bewunderung zufielen. Auch Frymann riet schon


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[0402] Alte und neue deutsche Politik Bülow sagt mit Recht: Um unsere wirtschaftliche Expansion zu sichern, brauchten wir vor allem eine Flotte. Erste Aufgabe unserer Weltpolitik war daher nichts anderes, als den Ausbau dieser Flotte gegenüber dem Mißtrauen Englands durchzuführen. Wie nun, wenn wir durch allzu aggressive Politik England irgend¬ eine Handhabe geboten hätten, uns den Krieg zu erklären und unsere Flotte zu vernichten, ehe sie stark genug war, um ihm zu widerstehen! Darum war in der Tat große Zurückhaltung bei den auswärtigen Verwicklungen für Deutsch¬ land geboten. Unsere für viele enttäuschende Haltung im Burenkrieg, während des russisch-japanischen Konfliktes, unsere Zufriedenheit mit dem gewiß an sich begrenzten Erfolg in Algeciras erklären sich so. Der Ausbau der Flotte war nicht früher weit genug fortgeschritten als etwa bei Ablauf der Amtszeit des Fürsten Bülow. Die Hauptsache war aber, daß er überhaupt gelang. Daß er nicht schneller vorwärts ging, lag vor allem auch an innerpolitischen Wider¬ ständen. Man konnte vom deutschen Volke nicht verlangen, daß es den unge¬ wohnten Aufgaben der Weltpolitik gleich in allen seinen Teilen mit Verständnis gegenübertrat. Die Parteien mußten erst nach und nach dafür erobert werden: Nationalliberale und Konservative zuerst, bald auch das Zentrum, zuletzt endlich der Freisinn. Ungefähr seit den Blockwahlen von 1907 waren die bürgerlichen Parteien in Fragen der nationalen Expansion und der Wehrkraft einig. Auch das ist als ein großer Erfolg unserer Weltpolitik zu betrachten, der uns nicht von selber in den Schoß fiel. Im Weltkrieg selber ist nun auch der größere Teil der noch fehlenden Sozialdemokratie in die nationale Phalanx eingeschwenkt. Nachdem der Bau der Flotte durchgesetzt, und die deutschen Parteien für die Weltpolitik gewonnen waren, brachte uns die böhmische Krise von 1908 den dritten großen Erfolg. Als Deutschland seine seit Jahrzehnten fest be¬ gründete Kontinentalmacht in die Wagschale warf, zerriß das Gewebe der Ein¬ kreisungspolitik Eduards des Siebenten, und Österreich-Ungarn setzte seine Ansprüche gegen die feindlichen Mächte durch. Der Bund der beiden Zentral¬ mächte hatte seine Feuerprobe bestanden, und der Versuch Englands, Deutsch¬ land durch überlegene Diplomatie matt zu setzen, war gescheitert. England hat diesen Versuch nicht wiederholt. Von da an war es klar, daß Deutschland, wenn überhaupt, nur durch Waffengewalt würd? niedergezwungen werden können. Als sich durch den Ausbruch des Weltkrieges dazu Gelegenheit fand, da hat allerdings England diese benutzt. Der vierte bedeutende Erfolg unserer Welt¬ politik endlich ist errungen worden in unserer türkenfreundlichen Orientpolitik, die seit dem Kaiserbesuch in Jerusalem und Damaskus konsequent durchgeführt worden ist, der auch letzten Endes die Kaiserrede in Tanger und unsere Haltung während der Balkankriege gedient hat. Der Weltkrieg hat gezeigt, daß die unter uns doch recht behalten haben, die das Vertrauen auf unsere türkische Hypothek nicht verloren, obwohl gerade manche unserer „nationalen" Zeitungen in den Tagen der Tschataldschakämpfe reichlich kleinmütig den „jugendkräftigen" Balkanstaaten in kritikloser Bewunderung zufielen. Auch Frymann riet schon

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/402>, abgerufen am 01.07.2024.