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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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4. Expansion in teils dicht teils hinreichend bevölkerte Länder alter Kultur
ist unmöglich, darum kommt nur d.'r Osten und Südosten in Betracht.

Nun werden aber dortige Lanogebiete kaum in der Form von Annexion
nutzbar gemacht werden können. Die Integrität der Türkei darf nicht ange¬
tastet werden; und was Rußland betrifft, so ist zwar auf dessen Verkleinerung
hinzuarbeiten, aber die Eingliederung großer fremdsprachiger Länder in den
Reichskörper wäre höchst bedenklich. Unmöglich wäre sie nicht. Unmöglich sind
-- vom Standpunkte einer besonnenen Politik aus gesehen -- Annexionen im
Westen. Denn die Bevölkerung dieser Nationalstaaten ist nicht bloß mit ihrem
Boden, sondern auch eine jede mit ihren: Staate so verwachsen, daß sie sich
eher verblutet als davon läßt, und daß annektierte Stücke dieser Länder Eiter¬
beulen am Reichskörper sein würden. Die Fremdvölker des russischen Reiches
dagegen sind zwar ebenfalls mit ihrem Boden, mit ihrem Staate aber so wenig
verwachsen, daß sie von ihm losstreben und, wenn sie der Krieg nicht erlöst,
ihr Ziel durch gewaltsame Erhebung zu erreichen versuchen werden. Aber Auf¬
nahme ins Reich? Deutschland hat ja wohl an den Polen dreier preußischer
Provinzen genug und übergenug.

Die drei Bedürfnisse sind vorhanden, ihre Befriedigung ist Lebensbedingung
fürs deutsche Volk, die einzige mögliche Richtung ist in Ur. 4 gewiesen, die
gewöhnliche Methode der Befriedigung aber versperrt. Was bleibt da zu tun
übrig? Eine neue Methode muß gefunden werden. Zwei Worte mögen sie
andeuten: Mittelosteuropüischer Bund und friedliche Durchdringung. Das
eigentliche Rußland würde nicht in den Bund aufzunehmen, aber durch wirt¬
schaftliche und finanzielle Bindung zu leiten sein. Solche Bindung streben die
Union und England an; denen ist sie zu entwinden.

Zur friedlichen Durchdringung gehören vor allem deutsche Landwirte,
Bauernkolonien. Dr. Schiele und andere erklären es für ein Verbrechen, von
Kolonisation des Ostens durch deutsche Bauern zureden, da wir ja nicht genug
Bauer für die innere Kolonisation haben. Warum fehlt es uns daran? Weil
in jedem dicht bevölkerten und hochkultivierten Lande der Boden so teuer ist,
daß von den Söhnen eines Bauern nur einer Bauer werden kann, die übrigen
in die Stadt müssen, wo sie den ohnehin überzähligen Gewerbetreibenden,
Händlern, Beamten, Lehrern Konkurrenz machen. Steht wohlfeiler Boden im
Osten zur Verfügung, dann wird sich ein zweiter, ein dritter Sohn der Land¬
wirtschaft widmen, und schon hierdurch wird zugleich die Überproduktion an
"Intelligenz" gehemmt. Auch fällt bei der Kolonisation im Osten ein zweiter
Umstand hinweg, der die innere Kolonisation erschwert, und den besonders
Dr. Schiele wiederholt klar gemacht hat; er besteht in den hohen Leistungen
für Schule, Kirche, Straßen und andere Kulturbedürfnisse, die der Staat den
Kolonisten auflegt.




!V>? liegt unser Rolonialland?

4. Expansion in teils dicht teils hinreichend bevölkerte Länder alter Kultur
ist unmöglich, darum kommt nur d.'r Osten und Südosten in Betracht.

Nun werden aber dortige Lanogebiete kaum in der Form von Annexion
nutzbar gemacht werden können. Die Integrität der Türkei darf nicht ange¬
tastet werden; und was Rußland betrifft, so ist zwar auf dessen Verkleinerung
hinzuarbeiten, aber die Eingliederung großer fremdsprachiger Länder in den
Reichskörper wäre höchst bedenklich. Unmöglich wäre sie nicht. Unmöglich sind
— vom Standpunkte einer besonnenen Politik aus gesehen — Annexionen im
Westen. Denn die Bevölkerung dieser Nationalstaaten ist nicht bloß mit ihrem
Boden, sondern auch eine jede mit ihren: Staate so verwachsen, daß sie sich
eher verblutet als davon läßt, und daß annektierte Stücke dieser Länder Eiter¬
beulen am Reichskörper sein würden. Die Fremdvölker des russischen Reiches
dagegen sind zwar ebenfalls mit ihrem Boden, mit ihrem Staate aber so wenig
verwachsen, daß sie von ihm losstreben und, wenn sie der Krieg nicht erlöst,
ihr Ziel durch gewaltsame Erhebung zu erreichen versuchen werden. Aber Auf¬
nahme ins Reich? Deutschland hat ja wohl an den Polen dreier preußischer
Provinzen genug und übergenug.

Die drei Bedürfnisse sind vorhanden, ihre Befriedigung ist Lebensbedingung
fürs deutsche Volk, die einzige mögliche Richtung ist in Ur. 4 gewiesen, die
gewöhnliche Methode der Befriedigung aber versperrt. Was bleibt da zu tun
übrig? Eine neue Methode muß gefunden werden. Zwei Worte mögen sie
andeuten: Mittelosteuropüischer Bund und friedliche Durchdringung. Das
eigentliche Rußland würde nicht in den Bund aufzunehmen, aber durch wirt¬
schaftliche und finanzielle Bindung zu leiten sein. Solche Bindung streben die
Union und England an; denen ist sie zu entwinden.

Zur friedlichen Durchdringung gehören vor allem deutsche Landwirte,
Bauernkolonien. Dr. Schiele und andere erklären es für ein Verbrechen, von
Kolonisation des Ostens durch deutsche Bauern zureden, da wir ja nicht genug
Bauer für die innere Kolonisation haben. Warum fehlt es uns daran? Weil
in jedem dicht bevölkerten und hochkultivierten Lande der Boden so teuer ist,
daß von den Söhnen eines Bauern nur einer Bauer werden kann, die übrigen
in die Stadt müssen, wo sie den ohnehin überzähligen Gewerbetreibenden,
Händlern, Beamten, Lehrern Konkurrenz machen. Steht wohlfeiler Boden im
Osten zur Verfügung, dann wird sich ein zweiter, ein dritter Sohn der Land¬
wirtschaft widmen, und schon hierdurch wird zugleich die Überproduktion an
„Intelligenz" gehemmt. Auch fällt bei der Kolonisation im Osten ein zweiter
Umstand hinweg, der die innere Kolonisation erschwert, und den besonders
Dr. Schiele wiederholt klar gemacht hat; er besteht in den hohen Leistungen
für Schule, Kirche, Straßen und andere Kulturbedürfnisse, die der Staat den
Kolonisten auflegt.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/390>, abgerufen am 23.07.2024.