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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Wo liegt unser llolonialland?

und Fleisch der Neuen Welt in "Kapital" verwandelt hat. daß heißt in einen
Papierhaufen, auf dem er dann freilich samt seinen Opfern verhungern muß.
Bei dieser Lage der Dinge eröffnen den übervölkerten Ländern des eigentlichen
Europas nur noch Osteuropa und Westasien Aussicht auf Rettung, da sie dünn
bevölkert und schlecht angebaut sind, ihr Bodenertrag darum auf ein mehrfaches
erhöht werden kann. Diese Erhöhung ist aber nur von Deutschen zu erwarten,
denn nur der deutsche Landwirt liebt und pflegt die Scholle und hängt an ihr;
der rein kapitalistisch denkende, fühlende und wirtschaftende Angelsachse saugt sie
aus und läßt sie im Stich, sobald sie nicht mehr rentiert, der Slawe aber wirt¬
schaftet liederlich und, unverständig, so lange er der deutschen Leitung und des
deutschen Vorbildes entbehrt. Namentlich den Russen können alle Agrarreformen
nicht viel nützen, solange sie unter sich bleiben. Am treffendsten und genauesten
hat ihre Triebhaftigkeit und Passivität ein Engländer geschildert, Sir Donald
Mackenzie Wallace, der namentlich zeigt, daß ihre Studierten und ihre
Großgrundbesitzer mit der reichlich importierten westeuropäischen Wissenschaft
Nichts anzufangen wissen, weil sie sie nur zu unfruchtbarem Theoretisteren ver¬
wenden. Und Witte hat bekannt, daß die Akademiker zwar als Studenten die
schönsten Hoffnungen erwecken, als Beamte dann aber nichts taugen. An Intelli¬
genz fehlt's ihnen nicht, wohl aber am besten: an praktischer Vernunft, an
Willenskraft, an Charakter. Wären die Engländer, unter denen es wenige gibt,
die, wie Wallace, ein offenes Auge für fremde Volksart haben, nicht durch
Unwissenheit und Hochmut verblendet, so würden sie die 1905 sich darbietende
günstige Gelegenheit benützt haben, ihren alten Feind für immer unschädlich zu
machen und die Ernährung ihrer Nachkommen zu sichern. John Bull würde
im Namen Europas dem deutschen Michel das Mandat erteilt haben: "ziehe
aus, schaffe Ordnung in diesem Chaos und rette das Brot Europas; du bist
der nächste dazu, und du bist der allein befähigte." Und Italien, das, wenn
auch nicht in demselben Maße wie England, ebenfalls der Nahrungsmittelein¬
fuhr bedarf, würde sich ihm angeschlossen haben.

In kurzen Thesen möchte ich die Tatsachen aussprechen, auf denen mein
schon vor 30 Jahren, als noch kein Mensch an Krieg dachte, stückweise veröffent¬
lichtes Programm beruht.

1. Die Südostgrenze des Deutschen Reiches ist militärisch unmöglich; halt¬
bar wird sie nur durch das Bündnis mit Österreich, und auch so bleibt sie
eine beständige Einladung der Kosaken zur Wiederholung ihres Besuches in
Ostpreußen.

2. Wir brauchen mehr Nahrungsmittel und darum Landzuwachs. Alle
Methoden, die Ernährung eines Volkes auf andere Weise als durch einen dem
Bevölkerungszuwachs entsprechenden Bodenzuwachs zu sichern, sind entweder
phantastisch oder gefährlich.

3. Desgleichen bedürfen wir der Erweiterung unsers Tätigkeitsspielraums
zur Versorgung unserer überschüssigen Intelligenz.


Wo liegt unser llolonialland?

und Fleisch der Neuen Welt in „Kapital" verwandelt hat. daß heißt in einen
Papierhaufen, auf dem er dann freilich samt seinen Opfern verhungern muß.
Bei dieser Lage der Dinge eröffnen den übervölkerten Ländern des eigentlichen
Europas nur noch Osteuropa und Westasien Aussicht auf Rettung, da sie dünn
bevölkert und schlecht angebaut sind, ihr Bodenertrag darum auf ein mehrfaches
erhöht werden kann. Diese Erhöhung ist aber nur von Deutschen zu erwarten,
denn nur der deutsche Landwirt liebt und pflegt die Scholle und hängt an ihr;
der rein kapitalistisch denkende, fühlende und wirtschaftende Angelsachse saugt sie
aus und läßt sie im Stich, sobald sie nicht mehr rentiert, der Slawe aber wirt¬
schaftet liederlich und, unverständig, so lange er der deutschen Leitung und des
deutschen Vorbildes entbehrt. Namentlich den Russen können alle Agrarreformen
nicht viel nützen, solange sie unter sich bleiben. Am treffendsten und genauesten
hat ihre Triebhaftigkeit und Passivität ein Engländer geschildert, Sir Donald
Mackenzie Wallace, der namentlich zeigt, daß ihre Studierten und ihre
Großgrundbesitzer mit der reichlich importierten westeuropäischen Wissenschaft
Nichts anzufangen wissen, weil sie sie nur zu unfruchtbarem Theoretisteren ver¬
wenden. Und Witte hat bekannt, daß die Akademiker zwar als Studenten die
schönsten Hoffnungen erwecken, als Beamte dann aber nichts taugen. An Intelli¬
genz fehlt's ihnen nicht, wohl aber am besten: an praktischer Vernunft, an
Willenskraft, an Charakter. Wären die Engländer, unter denen es wenige gibt,
die, wie Wallace, ein offenes Auge für fremde Volksart haben, nicht durch
Unwissenheit und Hochmut verblendet, so würden sie die 1905 sich darbietende
günstige Gelegenheit benützt haben, ihren alten Feind für immer unschädlich zu
machen und die Ernährung ihrer Nachkommen zu sichern. John Bull würde
im Namen Europas dem deutschen Michel das Mandat erteilt haben: „ziehe
aus, schaffe Ordnung in diesem Chaos und rette das Brot Europas; du bist
der nächste dazu, und du bist der allein befähigte." Und Italien, das, wenn
auch nicht in demselben Maße wie England, ebenfalls der Nahrungsmittelein¬
fuhr bedarf, würde sich ihm angeschlossen haben.

In kurzen Thesen möchte ich die Tatsachen aussprechen, auf denen mein
schon vor 30 Jahren, als noch kein Mensch an Krieg dachte, stückweise veröffent¬
lichtes Programm beruht.

1. Die Südostgrenze des Deutschen Reiches ist militärisch unmöglich; halt¬
bar wird sie nur durch das Bündnis mit Österreich, und auch so bleibt sie
eine beständige Einladung der Kosaken zur Wiederholung ihres Besuches in
Ostpreußen.

2. Wir brauchen mehr Nahrungsmittel und darum Landzuwachs. Alle
Methoden, die Ernährung eines Volkes auf andere Weise als durch einen dem
Bevölkerungszuwachs entsprechenden Bodenzuwachs zu sichern, sind entweder
phantastisch oder gefährlich.

3. Desgleichen bedürfen wir der Erweiterung unsers Tätigkeitsspielraums
zur Versorgung unserer überschüssigen Intelligenz.


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[0389] Wo liegt unser llolonialland? und Fleisch der Neuen Welt in „Kapital" verwandelt hat. daß heißt in einen Papierhaufen, auf dem er dann freilich samt seinen Opfern verhungern muß. Bei dieser Lage der Dinge eröffnen den übervölkerten Ländern des eigentlichen Europas nur noch Osteuropa und Westasien Aussicht auf Rettung, da sie dünn bevölkert und schlecht angebaut sind, ihr Bodenertrag darum auf ein mehrfaches erhöht werden kann. Diese Erhöhung ist aber nur von Deutschen zu erwarten, denn nur der deutsche Landwirt liebt und pflegt die Scholle und hängt an ihr; der rein kapitalistisch denkende, fühlende und wirtschaftende Angelsachse saugt sie aus und läßt sie im Stich, sobald sie nicht mehr rentiert, der Slawe aber wirt¬ schaftet liederlich und, unverständig, so lange er der deutschen Leitung und des deutschen Vorbildes entbehrt. Namentlich den Russen können alle Agrarreformen nicht viel nützen, solange sie unter sich bleiben. Am treffendsten und genauesten hat ihre Triebhaftigkeit und Passivität ein Engländer geschildert, Sir Donald Mackenzie Wallace, der namentlich zeigt, daß ihre Studierten und ihre Großgrundbesitzer mit der reichlich importierten westeuropäischen Wissenschaft Nichts anzufangen wissen, weil sie sie nur zu unfruchtbarem Theoretisteren ver¬ wenden. Und Witte hat bekannt, daß die Akademiker zwar als Studenten die schönsten Hoffnungen erwecken, als Beamte dann aber nichts taugen. An Intelli¬ genz fehlt's ihnen nicht, wohl aber am besten: an praktischer Vernunft, an Willenskraft, an Charakter. Wären die Engländer, unter denen es wenige gibt, die, wie Wallace, ein offenes Auge für fremde Volksart haben, nicht durch Unwissenheit und Hochmut verblendet, so würden sie die 1905 sich darbietende günstige Gelegenheit benützt haben, ihren alten Feind für immer unschädlich zu machen und die Ernährung ihrer Nachkommen zu sichern. John Bull würde im Namen Europas dem deutschen Michel das Mandat erteilt haben: „ziehe aus, schaffe Ordnung in diesem Chaos und rette das Brot Europas; du bist der nächste dazu, und du bist der allein befähigte." Und Italien, das, wenn auch nicht in demselben Maße wie England, ebenfalls der Nahrungsmittelein¬ fuhr bedarf, würde sich ihm angeschlossen haben. In kurzen Thesen möchte ich die Tatsachen aussprechen, auf denen mein schon vor 30 Jahren, als noch kein Mensch an Krieg dachte, stückweise veröffent¬ lichtes Programm beruht. 1. Die Südostgrenze des Deutschen Reiches ist militärisch unmöglich; halt¬ bar wird sie nur durch das Bündnis mit Österreich, und auch so bleibt sie eine beständige Einladung der Kosaken zur Wiederholung ihres Besuches in Ostpreußen. 2. Wir brauchen mehr Nahrungsmittel und darum Landzuwachs. Alle Methoden, die Ernährung eines Volkes auf andere Weise als durch einen dem Bevölkerungszuwachs entsprechenden Bodenzuwachs zu sichern, sind entweder phantastisch oder gefährlich. 3. Desgleichen bedürfen wir der Erweiterung unsers Tätigkeitsspielraums zur Versorgung unserer überschüssigen Intelligenz.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/389>, abgerufen am 23.07.2024.