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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Napoleons ?.<ampf gegen England im Lichte der Gegenwart

Wir haben heute die waffengewaltige Kriegsmacht zu Gebote, die der
große Korse ersehnte, die er nur zu einem Teil zur Verfügung hatte, da er
eine jeder Weltpolitik nottuende starke Flotte nicht besaß, obschon er mit be¬
wunderungswürdiger Tatkraft zuversichtlich und fieberhaft an einer Hebung des
französischen Marinewesens arbeitete. Denn er erkannte, daß eine kampfes¬
starke Flotte die erste Vorbedingung für eine Niederwerfung Englands sei.
Solches rastlose Wachstum der französischen Marine konnte denn auch seine
Wirkung in der öffentlichen Meinung Großbritanniens nicht verfehlen. Der
Ausbau einer französischen Flotte hätte jedoch nach Napoleons eigener Ansicht
mindestens eines Jahrzehntes friedfertiger Arbeit bedurft, die ihm anrichten
beschieden war, auf die er aber seine Politik eingestellt hatte, seine Politik, die
nichts gemein hat mit der vielgepriesenen "Legende von der Eroberungsbestie."

Hatte Napoleon den Daseinskampf gegen die britische Weltmacht nicht zur
siegreichen Entscheidung durchzukämpfen vermocht, in erster Linie nicht infolge
der Ohnmacht Frankreichs gegen die allgewaltige meerbeherrschende Flotte Eng¬
lands, so steht es ulls heute zu, diesen Kampf, der eins ist mit dem des ersten
Napoleon, wider unseren größten und mächtigsten Gegner durchzufechten. Wäre es
vor einem Jahrhundert dem Kaiser der Franzosen anstatt dem englischen Golde und
der englischen Diplomatie gelungen. Rußland auf seine Seite zu bringen, so hätte
England vielleicht schon damals die beherrschende Stellung seiner Weltgeltung
eingebüßt. Auch seine heutigen Diplomaten und Staatslenker wissen nur
zu gut, daß, sobald einer ihrer jetzigen Kontinentaldegen der Entente den
Rücken kehrt, der Vorabend einer Katastrophe der britischen Weltstellung an¬
gebrochen ist.

Ein letztes aber unausbleibliches Ergebnis dieses blutigen Krieges muß
und wird es sein, daß -- wenn nicht schon vor dem Frieden, so doch in
nicht allzuferner Zukunft -- die uns heute feindlich gegenüberstehende Mächte¬
gruppe gesprengt und England in isolierterer Position notwendig zur Ge¬
währung von weitgehenden Konzessionen bereit sein wird, um den Grad seiner
Ohnmacht nicht offen zu Tage treten lassen zu müssen. Dem planetarischen
Übergewicht Englands geraten durch die ständig wachsende Intensität der inneren
und äußeren Gefahren mehr und mehr die haltenden Fugen ins Wanken. Der
Tag des völligen Zusammenbruches der traditionellen britischen Weltpolitik ist
unabwendbar.




Napoleons ?.<ampf gegen England im Lichte der Gegenwart

Wir haben heute die waffengewaltige Kriegsmacht zu Gebote, die der
große Korse ersehnte, die er nur zu einem Teil zur Verfügung hatte, da er
eine jeder Weltpolitik nottuende starke Flotte nicht besaß, obschon er mit be¬
wunderungswürdiger Tatkraft zuversichtlich und fieberhaft an einer Hebung des
französischen Marinewesens arbeitete. Denn er erkannte, daß eine kampfes¬
starke Flotte die erste Vorbedingung für eine Niederwerfung Englands sei.
Solches rastlose Wachstum der französischen Marine konnte denn auch seine
Wirkung in der öffentlichen Meinung Großbritanniens nicht verfehlen. Der
Ausbau einer französischen Flotte hätte jedoch nach Napoleons eigener Ansicht
mindestens eines Jahrzehntes friedfertiger Arbeit bedurft, die ihm anrichten
beschieden war, auf die er aber seine Politik eingestellt hatte, seine Politik, die
nichts gemein hat mit der vielgepriesenen „Legende von der Eroberungsbestie."

Hatte Napoleon den Daseinskampf gegen die britische Weltmacht nicht zur
siegreichen Entscheidung durchzukämpfen vermocht, in erster Linie nicht infolge
der Ohnmacht Frankreichs gegen die allgewaltige meerbeherrschende Flotte Eng¬
lands, so steht es ulls heute zu, diesen Kampf, der eins ist mit dem des ersten
Napoleon, wider unseren größten und mächtigsten Gegner durchzufechten. Wäre es
vor einem Jahrhundert dem Kaiser der Franzosen anstatt dem englischen Golde und
der englischen Diplomatie gelungen. Rußland auf seine Seite zu bringen, so hätte
England vielleicht schon damals die beherrschende Stellung seiner Weltgeltung
eingebüßt. Auch seine heutigen Diplomaten und Staatslenker wissen nur
zu gut, daß, sobald einer ihrer jetzigen Kontinentaldegen der Entente den
Rücken kehrt, der Vorabend einer Katastrophe der britischen Weltstellung an¬
gebrochen ist.

Ein letztes aber unausbleibliches Ergebnis dieses blutigen Krieges muß
und wird es sein, daß — wenn nicht schon vor dem Frieden, so doch in
nicht allzuferner Zukunft — die uns heute feindlich gegenüberstehende Mächte¬
gruppe gesprengt und England in isolierterer Position notwendig zur Ge¬
währung von weitgehenden Konzessionen bereit sein wird, um den Grad seiner
Ohnmacht nicht offen zu Tage treten lassen zu müssen. Dem planetarischen
Übergewicht Englands geraten durch die ständig wachsende Intensität der inneren
und äußeren Gefahren mehr und mehr die haltenden Fugen ins Wanken. Der
Tag des völligen Zusammenbruches der traditionellen britischen Weltpolitik ist
unabwendbar.




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[0376] Napoleons ?.<ampf gegen England im Lichte der Gegenwart Wir haben heute die waffengewaltige Kriegsmacht zu Gebote, die der große Korse ersehnte, die er nur zu einem Teil zur Verfügung hatte, da er eine jeder Weltpolitik nottuende starke Flotte nicht besaß, obschon er mit be¬ wunderungswürdiger Tatkraft zuversichtlich und fieberhaft an einer Hebung des französischen Marinewesens arbeitete. Denn er erkannte, daß eine kampfes¬ starke Flotte die erste Vorbedingung für eine Niederwerfung Englands sei. Solches rastlose Wachstum der französischen Marine konnte denn auch seine Wirkung in der öffentlichen Meinung Großbritanniens nicht verfehlen. Der Ausbau einer französischen Flotte hätte jedoch nach Napoleons eigener Ansicht mindestens eines Jahrzehntes friedfertiger Arbeit bedurft, die ihm anrichten beschieden war, auf die er aber seine Politik eingestellt hatte, seine Politik, die nichts gemein hat mit der vielgepriesenen „Legende von der Eroberungsbestie." Hatte Napoleon den Daseinskampf gegen die britische Weltmacht nicht zur siegreichen Entscheidung durchzukämpfen vermocht, in erster Linie nicht infolge der Ohnmacht Frankreichs gegen die allgewaltige meerbeherrschende Flotte Eng¬ lands, so steht es ulls heute zu, diesen Kampf, der eins ist mit dem des ersten Napoleon, wider unseren größten und mächtigsten Gegner durchzufechten. Wäre es vor einem Jahrhundert dem Kaiser der Franzosen anstatt dem englischen Golde und der englischen Diplomatie gelungen. Rußland auf seine Seite zu bringen, so hätte England vielleicht schon damals die beherrschende Stellung seiner Weltgeltung eingebüßt. Auch seine heutigen Diplomaten und Staatslenker wissen nur zu gut, daß, sobald einer ihrer jetzigen Kontinentaldegen der Entente den Rücken kehrt, der Vorabend einer Katastrophe der britischen Weltstellung an¬ gebrochen ist. Ein letztes aber unausbleibliches Ergebnis dieses blutigen Krieges muß und wird es sein, daß — wenn nicht schon vor dem Frieden, so doch in nicht allzuferner Zukunft — die uns heute feindlich gegenüberstehende Mächte¬ gruppe gesprengt und England in isolierterer Position notwendig zur Ge¬ währung von weitgehenden Konzessionen bereit sein wird, um den Grad seiner Ohnmacht nicht offen zu Tage treten lassen zu müssen. Dem planetarischen Übergewicht Englands geraten durch die ständig wachsende Intensität der inneren und äußeren Gefahren mehr und mehr die haltenden Fugen ins Wanken. Der Tag des völligen Zusammenbruches der traditionellen britischen Weltpolitik ist unabwendbar.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/376>, abgerufen am 23.07.2024.