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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Die Wehrerziehung in Frankreich

daß die Jugend die erste Grundlage eines Volkes in Waffen bildet. Die
militärische Vorbereitung soll in einem Alter beginnen, wo der junge Mann
kräftig genug ist, eine Waffe zu tragen. Die Republik gilt für alle Zeiten als
unbesiegbar, wenn vor der aktiven Dienstpflicht und nach der Entlassung aus
dem Heeresverband der Franzose sich im Schießen und Turnen ohne Unter¬
brechung übt. Damit ergibt sich ein Volksheer, das neben dem Charakter der
stehenden Streitkräfte noch die dauernde Übung nach schweizer Art in sich birgt.
So war ein guter Boden theoretischer Erkenntnis für das wertvolle Samenkorn
einer praktischen Verwirklichung gegeben.

Die ersten Schritte waren durch die Gesetze vom 27. Juli 1880 und vom
28. März 1882 erfolgt, die einen gesetzlichen Turnunterricht in allen Staats-,
Gemeinde- und Kreisknabenschulen einführten, gleichsam als Ausgleich für die
schon früher von fünf auf drei Jahre verkürzte Dienstzeit. . Im Jahre 1882
vollzog sich die Organisation der sogenannten Schülerbataillone (batailions
LLoIail-e3). die jedoch wegen ihrer rein militärischen Eigenart innerhalb der
Jugend niemals Begeisterung erwecken konnten. Den stärksten Antrieb erhielt
die Frage mittelbar durch das Gesetz über die zweijährige Dienstzeit vom
21. März 1905. Der Artikel 94 kündigt ein besonderes Gesetz über die
Jugendvorbereitung an. Darin soll eine gleichmäßige Turnausbildung auf
allen Schulen verlangt und zugleich der Ausbau einer militärischen Jugend¬
organisation für alle jungen Leute zwischen 17 und 20 Jahren gegeben werden.
Schon im Jahre 1903 wurde durch die Initiative des damaligen Kriegs¬
ministers Andr6 denjenigen Jungmannen nach vier Monaten aktiven Dienstes
Beförderungsmöglichkeiten in Aussicht gestellt, die eine erfolgreiche Teilnahme
an einem durch ministerielle Verfügung aufgestellten Lehrgang nachzuweisen
imstande waren (Lertikjcat 6'aptituä-z militaiie). Das Gesetz über die zwei¬
jährige Dienstzeit (1905) berücksichtigte in seinem Artikel 50 das "Lei-tikieat
ä'clptituäe mititairL", indem die mit dieser Bescheinigung versehenen Achtzehn¬
jährigen eine dreijährige Verpflichtung "le äevancement ä'appel" eingehen
konnten mit der Aussicht, schon nach zwei Jahren entlassen zu werden, wenn
sie späterhin eine Reihe festgelegter Übungen ableisten. Die Begünstigungen
und die Zugkraft dieser Bestimmung lag in der Möglichkeit einer frühzeitigen
Erledigung der Heerespflicht, ein Umstand, der im Getriebe des wirtschaftlichen
Lebens Vorteile bietet. In der Folge gab ein Rundschreiben des Kriegs¬
ministeriums vom 19. Februar 1907 Wege an für die Durchführung des
Schießunterrichts an den Mittelschulen und Lehrerbildungsanstalten. Mit der
größten Sorgfalt sollen geeignete Unteroffiziere als Lehrpersonal ausgewählt
und der ganze Lehrgang durch einen Offizier geleitet und überwacht werden.
Inzwischen hatten sich in den verschiedensten Landesteilen Gesellschaften zur
praktischen Förderung der militärischen Vorbereitung gebildet. (LvLiötes as
pi^Mration union-e). Eine ministerielle Äußerung vom 7. November 1908
gibt diesen Gesellschaften amtliche Richtlinien für die Organisation und den


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Die Wehrerziehung in Frankreich

daß die Jugend die erste Grundlage eines Volkes in Waffen bildet. Die
militärische Vorbereitung soll in einem Alter beginnen, wo der junge Mann
kräftig genug ist, eine Waffe zu tragen. Die Republik gilt für alle Zeiten als
unbesiegbar, wenn vor der aktiven Dienstpflicht und nach der Entlassung aus
dem Heeresverband der Franzose sich im Schießen und Turnen ohne Unter¬
brechung übt. Damit ergibt sich ein Volksheer, das neben dem Charakter der
stehenden Streitkräfte noch die dauernde Übung nach schweizer Art in sich birgt.
So war ein guter Boden theoretischer Erkenntnis für das wertvolle Samenkorn
einer praktischen Verwirklichung gegeben.

Die ersten Schritte waren durch die Gesetze vom 27. Juli 1880 und vom
28. März 1882 erfolgt, die einen gesetzlichen Turnunterricht in allen Staats-,
Gemeinde- und Kreisknabenschulen einführten, gleichsam als Ausgleich für die
schon früher von fünf auf drei Jahre verkürzte Dienstzeit. . Im Jahre 1882
vollzog sich die Organisation der sogenannten Schülerbataillone (batailions
LLoIail-e3). die jedoch wegen ihrer rein militärischen Eigenart innerhalb der
Jugend niemals Begeisterung erwecken konnten. Den stärksten Antrieb erhielt
die Frage mittelbar durch das Gesetz über die zweijährige Dienstzeit vom
21. März 1905. Der Artikel 94 kündigt ein besonderes Gesetz über die
Jugendvorbereitung an. Darin soll eine gleichmäßige Turnausbildung auf
allen Schulen verlangt und zugleich der Ausbau einer militärischen Jugend¬
organisation für alle jungen Leute zwischen 17 und 20 Jahren gegeben werden.
Schon im Jahre 1903 wurde durch die Initiative des damaligen Kriegs¬
ministers Andr6 denjenigen Jungmannen nach vier Monaten aktiven Dienstes
Beförderungsmöglichkeiten in Aussicht gestellt, die eine erfolgreiche Teilnahme
an einem durch ministerielle Verfügung aufgestellten Lehrgang nachzuweisen
imstande waren (Lertikjcat 6'aptituä-z militaiie). Das Gesetz über die zwei¬
jährige Dienstzeit (1905) berücksichtigte in seinem Artikel 50 das „Lei-tikieat
ä'clptituäe mititairL", indem die mit dieser Bescheinigung versehenen Achtzehn¬
jährigen eine dreijährige Verpflichtung „le äevancement ä'appel" eingehen
konnten mit der Aussicht, schon nach zwei Jahren entlassen zu werden, wenn
sie späterhin eine Reihe festgelegter Übungen ableisten. Die Begünstigungen
und die Zugkraft dieser Bestimmung lag in der Möglichkeit einer frühzeitigen
Erledigung der Heerespflicht, ein Umstand, der im Getriebe des wirtschaftlichen
Lebens Vorteile bietet. In der Folge gab ein Rundschreiben des Kriegs¬
ministeriums vom 19. Februar 1907 Wege an für die Durchführung des
Schießunterrichts an den Mittelschulen und Lehrerbildungsanstalten. Mit der
größten Sorgfalt sollen geeignete Unteroffiziere als Lehrpersonal ausgewählt
und der ganze Lehrgang durch einen Offizier geleitet und überwacht werden.
Inzwischen hatten sich in den verschiedensten Landesteilen Gesellschaften zur
praktischen Förderung der militärischen Vorbereitung gebildet. (LvLiötes as
pi^Mration union-e). Eine ministerielle Äußerung vom 7. November 1908
gibt diesen Gesellschaften amtliche Richtlinien für die Organisation und den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/351>, abgerufen am 03.07.2024.