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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Aus der politischen Vergangenheit der deutschen Aatholiken

gallikanische Anschauungen vermieden, so wurde die Haltung ihrer Freunde im
"Katholik" von Jahr zu Jahr entschiedener kurialistisch. Restauration und
Romantik haben dem Episkopalismus in der katholischen Kirchlichkeit den
Boden entzogen. Bald sollte die Aufnahme liberaler Freiheitsideale und der
Kampf gegen den Polizeistaat der über die Berge nach Rom schauenden Partei
auch die Popularität bei den katholischen Volksmassen sichern.

Dem Mainzer Kreis hat auch Ludwig Bergsträßer in seinen "Studien zur
Vorgeschichte der Zentrumspartei" ("Beiträge zur Parteigeschichte", heraus¬
gegeben von Adalbert Wahl, Bd. I. Tübingen Mohr IMebeckZ 1910) eine
Darstellung gewidmet. Im übrigen legt dieses Buch hauptsächlich verdienst¬
liche Sonderuntersuchungen über die Entstehung der katholischen Partei in
Bayern und im Großherzogtum Hessen-Darmstadt vor. Auch in Bayern läßt
sich die Entwicklung mancher Persönlichkeiten vom Episkopalismus zu kurialisti-
schen Anschauungen verfolgen (Weihbischof Zirkel von Würzburg). 1814 er¬
folgte die Gründung eines "Literarischen Vereins zur Aufrechterhaltung, Ver¬
teidigung und Auslegung der römisch-katholischen Religion". Er gab eine
"Literaturzeitung" zur Vertretung seiner Sache heraus, die erst ein gewisser
Felder, seit 1818 Mastiaux redigierte. Die bayerische Zweite Kammer, zu der
damals die Geistlichkeit als besondere Klasse wählte, war das erste deutsche
Parlament, in dem sich eine Art kleiner katholischer Fraktion von fünf Ab¬
geordneten der strengen Richtung des Klerus zusammenfand. Daneben ist
Hessen-Darmstadt einer derjenigen Staaten, in dessen Landtag am frühesten
katholische Interessen ihre Vertreter fanden. Hier waren dies in der Zweiten
Kammer bemerkenswerterweise keine Geistlichen, fondern zwei rheinhessische
Großkaufleute Kertell und Lauteren und ein ehemaliger Professor und Landwirt
Rech. Daß hier in Hessen Kaufleute als Wortführer des politischen Katholi¬
zismus auftraten, fällt besonders dem auf, der die Haltung dieses Standes im
preußischen Rheinland und in Westfalen kennt. Dort erscheinen nämlich die
Kaufleute und Fabrikanten meistens als Gründer der liberalen Partei, während
die Katholiken neben Adel und Geistlichkeit besonders an den rheinischen Juristen
(Bauerband, Ferd. Walter, die beiden Reichensperger) einen Rückhalt fanden.
Interessant ist der Werdegang des Abgeordneten Rech. Er war von Haus
aus Priester und theologischer Professor in Bonn, aber keineswegs Kurialist,
sondern Febronianer, ja mehr als das: Aufklärer und ausgesprochener Kantianer.
Von Kant ging er später zur antirationalistischen Glaubensphilosophie Jacobis
über, die beiläufig auch auf bayerische Katholiken besondere Einflüsse ausgeübt
hat, trat aber trotzdem damals noch aus dem Priesterstande aus und heiratete.
Erst nachdem er die gelehrte Laufbahn aufgegeben hatte und Landwirt ge¬
worden war, fand er von neuem Anschluß an die katholische Kirche. Der
abtrünnige Priester endete als katholischer Abgeordneter und universalistisch
gesinnter Mitarbeiter des Mainzer "Katholik", nachdem er sich mit allen
Richtungen der protestantischen Philosophie von Kant bis zu Jacobi aus-


Aus der politischen Vergangenheit der deutschen Aatholiken

gallikanische Anschauungen vermieden, so wurde die Haltung ihrer Freunde im
„Katholik" von Jahr zu Jahr entschiedener kurialistisch. Restauration und
Romantik haben dem Episkopalismus in der katholischen Kirchlichkeit den
Boden entzogen. Bald sollte die Aufnahme liberaler Freiheitsideale und der
Kampf gegen den Polizeistaat der über die Berge nach Rom schauenden Partei
auch die Popularität bei den katholischen Volksmassen sichern.

Dem Mainzer Kreis hat auch Ludwig Bergsträßer in seinen „Studien zur
Vorgeschichte der Zentrumspartei" („Beiträge zur Parteigeschichte", heraus¬
gegeben von Adalbert Wahl, Bd. I. Tübingen Mohr IMebeckZ 1910) eine
Darstellung gewidmet. Im übrigen legt dieses Buch hauptsächlich verdienst¬
liche Sonderuntersuchungen über die Entstehung der katholischen Partei in
Bayern und im Großherzogtum Hessen-Darmstadt vor. Auch in Bayern läßt
sich die Entwicklung mancher Persönlichkeiten vom Episkopalismus zu kurialisti-
schen Anschauungen verfolgen (Weihbischof Zirkel von Würzburg). 1814 er¬
folgte die Gründung eines „Literarischen Vereins zur Aufrechterhaltung, Ver¬
teidigung und Auslegung der römisch-katholischen Religion". Er gab eine
„Literaturzeitung" zur Vertretung seiner Sache heraus, die erst ein gewisser
Felder, seit 1818 Mastiaux redigierte. Die bayerische Zweite Kammer, zu der
damals die Geistlichkeit als besondere Klasse wählte, war das erste deutsche
Parlament, in dem sich eine Art kleiner katholischer Fraktion von fünf Ab¬
geordneten der strengen Richtung des Klerus zusammenfand. Daneben ist
Hessen-Darmstadt einer derjenigen Staaten, in dessen Landtag am frühesten
katholische Interessen ihre Vertreter fanden. Hier waren dies in der Zweiten
Kammer bemerkenswerterweise keine Geistlichen, fondern zwei rheinhessische
Großkaufleute Kertell und Lauteren und ein ehemaliger Professor und Landwirt
Rech. Daß hier in Hessen Kaufleute als Wortführer des politischen Katholi¬
zismus auftraten, fällt besonders dem auf, der die Haltung dieses Standes im
preußischen Rheinland und in Westfalen kennt. Dort erscheinen nämlich die
Kaufleute und Fabrikanten meistens als Gründer der liberalen Partei, während
die Katholiken neben Adel und Geistlichkeit besonders an den rheinischen Juristen
(Bauerband, Ferd. Walter, die beiden Reichensperger) einen Rückhalt fanden.
Interessant ist der Werdegang des Abgeordneten Rech. Er war von Haus
aus Priester und theologischer Professor in Bonn, aber keineswegs Kurialist,
sondern Febronianer, ja mehr als das: Aufklärer und ausgesprochener Kantianer.
Von Kant ging er später zur antirationalistischen Glaubensphilosophie Jacobis
über, die beiläufig auch auf bayerische Katholiken besondere Einflüsse ausgeübt
hat, trat aber trotzdem damals noch aus dem Priesterstande aus und heiratete.
Erst nachdem er die gelehrte Laufbahn aufgegeben hatte und Landwirt ge¬
worden war, fand er von neuem Anschluß an die katholische Kirche. Der
abtrünnige Priester endete als katholischer Abgeordneter und universalistisch
gesinnter Mitarbeiter des Mainzer „Katholik", nachdem er sich mit allen
Richtungen der protestantischen Philosophie von Kant bis zu Jacobi aus-


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[0345] Aus der politischen Vergangenheit der deutschen Aatholiken gallikanische Anschauungen vermieden, so wurde die Haltung ihrer Freunde im „Katholik" von Jahr zu Jahr entschiedener kurialistisch. Restauration und Romantik haben dem Episkopalismus in der katholischen Kirchlichkeit den Boden entzogen. Bald sollte die Aufnahme liberaler Freiheitsideale und der Kampf gegen den Polizeistaat der über die Berge nach Rom schauenden Partei auch die Popularität bei den katholischen Volksmassen sichern. Dem Mainzer Kreis hat auch Ludwig Bergsträßer in seinen „Studien zur Vorgeschichte der Zentrumspartei" („Beiträge zur Parteigeschichte", heraus¬ gegeben von Adalbert Wahl, Bd. I. Tübingen Mohr IMebeckZ 1910) eine Darstellung gewidmet. Im übrigen legt dieses Buch hauptsächlich verdienst¬ liche Sonderuntersuchungen über die Entstehung der katholischen Partei in Bayern und im Großherzogtum Hessen-Darmstadt vor. Auch in Bayern läßt sich die Entwicklung mancher Persönlichkeiten vom Episkopalismus zu kurialisti- schen Anschauungen verfolgen (Weihbischof Zirkel von Würzburg). 1814 er¬ folgte die Gründung eines „Literarischen Vereins zur Aufrechterhaltung, Ver¬ teidigung und Auslegung der römisch-katholischen Religion". Er gab eine „Literaturzeitung" zur Vertretung seiner Sache heraus, die erst ein gewisser Felder, seit 1818 Mastiaux redigierte. Die bayerische Zweite Kammer, zu der damals die Geistlichkeit als besondere Klasse wählte, war das erste deutsche Parlament, in dem sich eine Art kleiner katholischer Fraktion von fünf Ab¬ geordneten der strengen Richtung des Klerus zusammenfand. Daneben ist Hessen-Darmstadt einer derjenigen Staaten, in dessen Landtag am frühesten katholische Interessen ihre Vertreter fanden. Hier waren dies in der Zweiten Kammer bemerkenswerterweise keine Geistlichen, fondern zwei rheinhessische Großkaufleute Kertell und Lauteren und ein ehemaliger Professor und Landwirt Rech. Daß hier in Hessen Kaufleute als Wortführer des politischen Katholi¬ zismus auftraten, fällt besonders dem auf, der die Haltung dieses Standes im preußischen Rheinland und in Westfalen kennt. Dort erscheinen nämlich die Kaufleute und Fabrikanten meistens als Gründer der liberalen Partei, während die Katholiken neben Adel und Geistlichkeit besonders an den rheinischen Juristen (Bauerband, Ferd. Walter, die beiden Reichensperger) einen Rückhalt fanden. Interessant ist der Werdegang des Abgeordneten Rech. Er war von Haus aus Priester und theologischer Professor in Bonn, aber keineswegs Kurialist, sondern Febronianer, ja mehr als das: Aufklärer und ausgesprochener Kantianer. Von Kant ging er später zur antirationalistischen Glaubensphilosophie Jacobis über, die beiläufig auch auf bayerische Katholiken besondere Einflüsse ausgeübt hat, trat aber trotzdem damals noch aus dem Priesterstande aus und heiratete. Erst nachdem er die gelehrte Laufbahn aufgegeben hatte und Landwirt ge¬ worden war, fand er von neuem Anschluß an die katholische Kirche. Der abtrünnige Priester endete als katholischer Abgeordneter und universalistisch gesinnter Mitarbeiter des Mainzer „Katholik", nachdem er sich mit allen Richtungen der protestantischen Philosophie von Kant bis zu Jacobi aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/345>, abgerufen am 23.07.2024.