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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Aus der politischen Vergangenheit der deutschen Katholiken

1814. Die von Schwcchn mußte mehr in die Breite gehen und Einzelheiten
zusammenstellen, weil der belgische Einfluß auf den rheinischen Katholizismus
durch eine Menge von Persönlichkeiten und Pretzorganen vermittelt worden
ist. Während die Einwirkungen aus Belgien in erster Linie von den Er¬
eignissen des Jahres 1830 und demzufolge von der großen allgemeinen west¬
europäischen Revolutionstheorien ausgehen, entspringt die über das Elsaß
fließende Gedankenströmung den geistigen Quellen der Restauration. Nach der
überspannten Maskerade des Vernunftgötzendienstes der Revolution hatte
Napoleon zunächst die äußere Form, die legitime Dynastie dann auch die
innere Macht des Katholizismus in Frankreich wieder hergestellt. Damals
entdeckte Chateaubriand, der Verfasser des "Q6nie ein LKristianisrrie" die
ästhetischen Reize des katholischen Glaubens, und Josef de Maistre -- seiner
Staatsangehörigkeit nach kein Franzose, sondern königlich Sardinischer Gesandter
in Se. Petersburg -- schuf in seinem Buche "Du pape" dem konsequenten
Kurialismus der römischen Weltkirche ein glänzendes Programm. Die erste
Hochburg dieses neukmholischen Geistes in Deutschland wurde Mainz, wo der
Elsäßer Colmar seit 1302 Bischof, der Elsäßer Liebermann seit 1804 Superior
des Priesterseminars war. Beide waren Zöglinge des Seminars in Stra߬
burg, wo schon zurzeit des ancien r6Zinc unter Leitung ehemaliger Jesuiten
ein sittenstrenger, der kirchenauflösenden Aufklärung abholder Geist gepflegt
wurde. Colmar war ein rein religiöser Charakter, der sich nur als Hirt der
ihm anvertrauten Herde fühlte, Liebermann mehr Theoretiker und Politiker.
Er ist als Erzieher eines antirationalistijchen streng kirchlichen und dem Papst
ergebenen Nachwuchses im Klerus ebenso wichtig, wie als Theologe und
Übersetzer zahlreicher französischer Erbauungsschristen. Bald scharten sich Gleich¬
gesinnte um Colmar und Liebermann, und der eigentlich programmatisch und
propagandistisch veranlagte Kopf unter ihnen war der Elsäßer Raeß, der
seinen Gesinnungsgenossen mit seinem Landsmann Weis zusammen das erste
Preßorgan schuf: die 1821 begründete Zeitschrift "Der Katholik". Dies
wurde nun der eigentliche Mittelpunkt der gegen Staatskirchentum und
Febronianisnlus, sowie gegen verständnislose Kirchenpolitik protestantischer
Regierungen für Freiheit und Einheit der Kirche streitenden neukatholisch-
. kurialem Partei. Hier vor allem fand de Maistre seine eifrigen Verkünder.
Das Buch ,,vu pays" hat der "Katholik" eingehend besprochen und seine
völlige Übereinstimmung mit ihm hervorgehoben. Und hier im "Katholik"
vollzog sich auch das Bündnis der katholischen deutschen Romantik mit den
romanischen Nsstaumtionsgedanken. Der fromme Dichter Clemens Brentano
schloß sich un Raeß an, und beide vereint gewannen den berühmten Publizisten
Görres, den Herold des deutschen Nationalgeoankens, völlig für die katholische
Kirche. Görres hat sogar eine kurze Zeit lang die Zeitschrift geleitet. Die
Erfolge blieben nicht ohne Wirkung auf die Haltung des Mainzer Kreises.
Hatten Colmar und Liebermann von Haus aus noch jeden Angriff auf


Aus der politischen Vergangenheit der deutschen Katholiken

1814. Die von Schwcchn mußte mehr in die Breite gehen und Einzelheiten
zusammenstellen, weil der belgische Einfluß auf den rheinischen Katholizismus
durch eine Menge von Persönlichkeiten und Pretzorganen vermittelt worden
ist. Während die Einwirkungen aus Belgien in erster Linie von den Er¬
eignissen des Jahres 1830 und demzufolge von der großen allgemeinen west¬
europäischen Revolutionstheorien ausgehen, entspringt die über das Elsaß
fließende Gedankenströmung den geistigen Quellen der Restauration. Nach der
überspannten Maskerade des Vernunftgötzendienstes der Revolution hatte
Napoleon zunächst die äußere Form, die legitime Dynastie dann auch die
innere Macht des Katholizismus in Frankreich wieder hergestellt. Damals
entdeckte Chateaubriand, der Verfasser des „Q6nie ein LKristianisrrie" die
ästhetischen Reize des katholischen Glaubens, und Josef de Maistre — seiner
Staatsangehörigkeit nach kein Franzose, sondern königlich Sardinischer Gesandter
in Se. Petersburg — schuf in seinem Buche „Du pape" dem konsequenten
Kurialismus der römischen Weltkirche ein glänzendes Programm. Die erste
Hochburg dieses neukmholischen Geistes in Deutschland wurde Mainz, wo der
Elsäßer Colmar seit 1302 Bischof, der Elsäßer Liebermann seit 1804 Superior
des Priesterseminars war. Beide waren Zöglinge des Seminars in Stra߬
burg, wo schon zurzeit des ancien r6Zinc unter Leitung ehemaliger Jesuiten
ein sittenstrenger, der kirchenauflösenden Aufklärung abholder Geist gepflegt
wurde. Colmar war ein rein religiöser Charakter, der sich nur als Hirt der
ihm anvertrauten Herde fühlte, Liebermann mehr Theoretiker und Politiker.
Er ist als Erzieher eines antirationalistijchen streng kirchlichen und dem Papst
ergebenen Nachwuchses im Klerus ebenso wichtig, wie als Theologe und
Übersetzer zahlreicher französischer Erbauungsschristen. Bald scharten sich Gleich¬
gesinnte um Colmar und Liebermann, und der eigentlich programmatisch und
propagandistisch veranlagte Kopf unter ihnen war der Elsäßer Raeß, der
seinen Gesinnungsgenossen mit seinem Landsmann Weis zusammen das erste
Preßorgan schuf: die 1821 begründete Zeitschrift „Der Katholik". Dies
wurde nun der eigentliche Mittelpunkt der gegen Staatskirchentum und
Febronianisnlus, sowie gegen verständnislose Kirchenpolitik protestantischer
Regierungen für Freiheit und Einheit der Kirche streitenden neukatholisch-
. kurialem Partei. Hier vor allem fand de Maistre seine eifrigen Verkünder.
Das Buch ,,vu pays" hat der „Katholik" eingehend besprochen und seine
völlige Übereinstimmung mit ihm hervorgehoben. Und hier im „Katholik"
vollzog sich auch das Bündnis der katholischen deutschen Romantik mit den
romanischen Nsstaumtionsgedanken. Der fromme Dichter Clemens Brentano
schloß sich un Raeß an, und beide vereint gewannen den berühmten Publizisten
Görres, den Herold des deutschen Nationalgeoankens, völlig für die katholische
Kirche. Görres hat sogar eine kurze Zeit lang die Zeitschrift geleitet. Die
Erfolge blieben nicht ohne Wirkung auf die Haltung des Mainzer Kreises.
Hatten Colmar und Liebermann von Haus aus noch jeden Angriff auf


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[0344] Aus der politischen Vergangenheit der deutschen Katholiken 1814. Die von Schwcchn mußte mehr in die Breite gehen und Einzelheiten zusammenstellen, weil der belgische Einfluß auf den rheinischen Katholizismus durch eine Menge von Persönlichkeiten und Pretzorganen vermittelt worden ist. Während die Einwirkungen aus Belgien in erster Linie von den Er¬ eignissen des Jahres 1830 und demzufolge von der großen allgemeinen west¬ europäischen Revolutionstheorien ausgehen, entspringt die über das Elsaß fließende Gedankenströmung den geistigen Quellen der Restauration. Nach der überspannten Maskerade des Vernunftgötzendienstes der Revolution hatte Napoleon zunächst die äußere Form, die legitime Dynastie dann auch die innere Macht des Katholizismus in Frankreich wieder hergestellt. Damals entdeckte Chateaubriand, der Verfasser des „Q6nie ein LKristianisrrie" die ästhetischen Reize des katholischen Glaubens, und Josef de Maistre — seiner Staatsangehörigkeit nach kein Franzose, sondern königlich Sardinischer Gesandter in Se. Petersburg — schuf in seinem Buche „Du pape" dem konsequenten Kurialismus der römischen Weltkirche ein glänzendes Programm. Die erste Hochburg dieses neukmholischen Geistes in Deutschland wurde Mainz, wo der Elsäßer Colmar seit 1302 Bischof, der Elsäßer Liebermann seit 1804 Superior des Priesterseminars war. Beide waren Zöglinge des Seminars in Stra߬ burg, wo schon zurzeit des ancien r6Zinc unter Leitung ehemaliger Jesuiten ein sittenstrenger, der kirchenauflösenden Aufklärung abholder Geist gepflegt wurde. Colmar war ein rein religiöser Charakter, der sich nur als Hirt der ihm anvertrauten Herde fühlte, Liebermann mehr Theoretiker und Politiker. Er ist als Erzieher eines antirationalistijchen streng kirchlichen und dem Papst ergebenen Nachwuchses im Klerus ebenso wichtig, wie als Theologe und Übersetzer zahlreicher französischer Erbauungsschristen. Bald scharten sich Gleich¬ gesinnte um Colmar und Liebermann, und der eigentlich programmatisch und propagandistisch veranlagte Kopf unter ihnen war der Elsäßer Raeß, der seinen Gesinnungsgenossen mit seinem Landsmann Weis zusammen das erste Preßorgan schuf: die 1821 begründete Zeitschrift „Der Katholik". Dies wurde nun der eigentliche Mittelpunkt der gegen Staatskirchentum und Febronianisnlus, sowie gegen verständnislose Kirchenpolitik protestantischer Regierungen für Freiheit und Einheit der Kirche streitenden neukatholisch- . kurialem Partei. Hier vor allem fand de Maistre seine eifrigen Verkünder. Das Buch ,,vu pays" hat der „Katholik" eingehend besprochen und seine völlige Übereinstimmung mit ihm hervorgehoben. Und hier im „Katholik" vollzog sich auch das Bündnis der katholischen deutschen Romantik mit den romanischen Nsstaumtionsgedanken. Der fromme Dichter Clemens Brentano schloß sich un Raeß an, und beide vereint gewannen den berühmten Publizisten Görres, den Herold des deutschen Nationalgeoankens, völlig für die katholische Kirche. Görres hat sogar eine kurze Zeit lang die Zeitschrift geleitet. Die Erfolge blieben nicht ohne Wirkung auf die Haltung des Mainzer Kreises. Hatten Colmar und Liebermann von Haus aus noch jeden Angriff auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/344>, abgerufen am 23.07.2024.