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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Aus der politischen Vergangenheit der deutschen Katholiken

was ihm etwa Paniscus "PKilosoplua militans" davon erzählt. Es ist aber
immerhin zweifelhaft, ob Paulsen dem Neuthomismus gerecht wird. Auch mit
ihm sollte man sich mehr Mühe geben, ehe man ihn verwirft. Doch wollen
diese Zeilen nicht vom philosophischen, sondern vom politischen Katholizismus
und seiner Geschichte im neunzehnten Jahrhundert reden. Sie möchten außer¬
halb der kirchen- und parteigeschichtlichen Fachwissenschaft anregen zur Erkenntnis
der historischen Richtungen des neueren Katholizismus und zum Studium der
Ideale und der Politik der kirchlichen Partei im deutschen Staatsleben.

Einen Überblick über die Entwicklung der neueren katholischen Kirche als
Rechtsordnung und der Hauptrichtungen in ihren Verfassungskämpfen gewährt
in ausgezeichneter Klarheit und Knappheit die kleine Schrift von Fritz Vigener
"Gallikanismus und episkopalistische Strömungen im deutschen Katholizismus
zwischen Trioentinum und Vaticanum" (München--Berlin, R. Oldenbourg,
1913; Preis 1.50 Mark). Daß der Papst in Sachen des Glaubens und der
Moral unfehlbarer Monarch der Kirche sei, ist ja keineswegs ein altes Dogma,
sondern erst im Jahre 1870 zur offiziellen Lehre der Kirche erhoben worden.
Unfehlbar ist seit alter Zeit nur die Kirche als solche. Diese aber gilt seit dem
Kirchenvater Cyprian als repräsentiert durch die Gesamtheit und Einheit des
Episkopats. Unter den Bischöfen war der Papst doch eigentlich nur der primus
inter pares, und wenn auch seine Macht mit der wachsenden Zentralisation
und Zucht der Kirche stieg, so war doch noch auf dem Konzil von Trient,
dessen Stimmung an sich zentralistisch genug war, da es galt den Glauben der
katholischen Kirche gegen die protestantische Häresie scharf abzugrenzen, keine
Möglichkeit, dem Papst eine absolute Herrschaft über die Kirche zuzuschreiben.
Auch im neueren Katholizismus standen sich also die Auffassungen des Kuria-
lismus und Episkopalismus noch Jahrhunderte lang unentschieden gegenüber.
Der Episkopalismus schloß in sich nationalkirchliche Gebilde, wie sie insbesondere
die alte Kirche Frankreichs, die man darum die gallikanische nannte, durchzu¬
setzen verstanden hat, und sogar territorialistisch-ständische Bestrebungen, die
zumal in Deutschland gewöhnlich waren, weil die Kirchenfiirsten hier zugleich
als Landesherren und Reichsstände fungierten. Ein deutscher Bischof, Johannes
Nikolaus von Hontheim, Weihbischof von Trier, hat unter dem Namen
Febronius dem episkopalistischen Standpunkt die theoretische Grundlegung und
prinzipielle Rechtfertigung geschrieben (1763). Den päpstlichen Primat läßt
Febronius durchaus gelten, nicht aber die Vorgesetztenstellung des Papstes über
den Bischöfen. Nicht der Papst, sondern die Kirche, also der ganze Episkopat,
hat die Schlüsselgewalt. Die Bischöfe müssen neben dem Papst ihre ebenso
unmittelbar apostolische Weihe zur Geltung bringen. Man hat die Vertreter
des episkopalistischen Kirchensystems seitdem oft Febronianer genannt, und die
kurialistischen Katholiken haben sie halbe Ketzer gescholten und für rationalistische
Zerstörer der historischen Kirche gehalten. Nicht mit Recht. Der Febronianismus
ist scharf zu scheiden von den Kirchenlehrer der Aufklärung, die auch im katho-


Aus der politischen Vergangenheit der deutschen Katholiken

was ihm etwa Paniscus „PKilosoplua militans" davon erzählt. Es ist aber
immerhin zweifelhaft, ob Paulsen dem Neuthomismus gerecht wird. Auch mit
ihm sollte man sich mehr Mühe geben, ehe man ihn verwirft. Doch wollen
diese Zeilen nicht vom philosophischen, sondern vom politischen Katholizismus
und seiner Geschichte im neunzehnten Jahrhundert reden. Sie möchten außer¬
halb der kirchen- und parteigeschichtlichen Fachwissenschaft anregen zur Erkenntnis
der historischen Richtungen des neueren Katholizismus und zum Studium der
Ideale und der Politik der kirchlichen Partei im deutschen Staatsleben.

Einen Überblick über die Entwicklung der neueren katholischen Kirche als
Rechtsordnung und der Hauptrichtungen in ihren Verfassungskämpfen gewährt
in ausgezeichneter Klarheit und Knappheit die kleine Schrift von Fritz Vigener
„Gallikanismus und episkopalistische Strömungen im deutschen Katholizismus
zwischen Trioentinum und Vaticanum" (München—Berlin, R. Oldenbourg,
1913; Preis 1.50 Mark). Daß der Papst in Sachen des Glaubens und der
Moral unfehlbarer Monarch der Kirche sei, ist ja keineswegs ein altes Dogma,
sondern erst im Jahre 1870 zur offiziellen Lehre der Kirche erhoben worden.
Unfehlbar ist seit alter Zeit nur die Kirche als solche. Diese aber gilt seit dem
Kirchenvater Cyprian als repräsentiert durch die Gesamtheit und Einheit des
Episkopats. Unter den Bischöfen war der Papst doch eigentlich nur der primus
inter pares, und wenn auch seine Macht mit der wachsenden Zentralisation
und Zucht der Kirche stieg, so war doch noch auf dem Konzil von Trient,
dessen Stimmung an sich zentralistisch genug war, da es galt den Glauben der
katholischen Kirche gegen die protestantische Häresie scharf abzugrenzen, keine
Möglichkeit, dem Papst eine absolute Herrschaft über die Kirche zuzuschreiben.
Auch im neueren Katholizismus standen sich also die Auffassungen des Kuria-
lismus und Episkopalismus noch Jahrhunderte lang unentschieden gegenüber.
Der Episkopalismus schloß in sich nationalkirchliche Gebilde, wie sie insbesondere
die alte Kirche Frankreichs, die man darum die gallikanische nannte, durchzu¬
setzen verstanden hat, und sogar territorialistisch-ständische Bestrebungen, die
zumal in Deutschland gewöhnlich waren, weil die Kirchenfiirsten hier zugleich
als Landesherren und Reichsstände fungierten. Ein deutscher Bischof, Johannes
Nikolaus von Hontheim, Weihbischof von Trier, hat unter dem Namen
Febronius dem episkopalistischen Standpunkt die theoretische Grundlegung und
prinzipielle Rechtfertigung geschrieben (1763). Den päpstlichen Primat läßt
Febronius durchaus gelten, nicht aber die Vorgesetztenstellung des Papstes über
den Bischöfen. Nicht der Papst, sondern die Kirche, also der ganze Episkopat,
hat die Schlüsselgewalt. Die Bischöfe müssen neben dem Papst ihre ebenso
unmittelbar apostolische Weihe zur Geltung bringen. Man hat die Vertreter
des episkopalistischen Kirchensystems seitdem oft Febronianer genannt, und die
kurialistischen Katholiken haben sie halbe Ketzer gescholten und für rationalistische
Zerstörer der historischen Kirche gehalten. Nicht mit Recht. Der Febronianismus
ist scharf zu scheiden von den Kirchenlehrer der Aufklärung, die auch im katho-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/342>, abgerufen am 23.07.2024.