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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Außenpolitisches aus Rußland

vorausgesetzt, daß überhaupt ein Widerstand von Rußland gewagt werden
würde.

Für uns muß es auf jeden Fall tröstlich sein, zu sehen, daß auch da die
Bäume nicht in den Himmel wachsen werden. Haben diese Gesichtspunkte
vielleicht für den Augenblick keine Bedeutung, so werden sie es später haben,
denn jede Schuld, und namentlich die politische, rächt sich auf Erden.

Endlich noch ein paar Worte zur polnischen Frage. Diese scheint durch
Stürmers Eingreifen vorläufig in Rußland zu einem gewissen Ruhepunkt ge¬
kommen zu sein. Man will der Zukunft nicht vorgreifen und sich alle Freiheit
des Handelns Polen gegenüber vorbehalten. In dem "Rußkoje Slowo" erschien
eine offiziöse Notiz, wonach der in Vorbereitung befindliche Aufruf an die
Polen "nicht eher veröffentlicht werden wird, als bis die russischen Heere in
das Königreich Polen eingerückt sind, d. h. nicht früher, als bis die Forcierung
der Buglmie erfolgt ist. Wenn inzwischen irgend welche Akte der Deutschen
und Österreicher in der polnischen Frage erfolgen sollten, so wird die russische
Regierung unverzüglich mit einem Gegenakt antworten." Diese Entscheidung
der russischen Regierung wird vor allem von England und Frankreich bedauert
werden, wo man gewünscht hätte, daß sich Rußland durch einen feierlichen Alt
auch Deutschland und Österreich gegenüber für immer und alle Zukunft festlegen
möchte. Aus diesem Gesichtspunkte sind auch die Ausführungen gewisser
russischer Zeitungen zu verstehen, die sich dafür eingesetzt hatten, daß Rußland
nicht durch innerrussischen Akt, sondern durch diplomatische Notifikation an die
Mächte seine Entschlüsse in der polnischen Frage kundgeben soll. Während
des Aufenthalts von Miljukow und Struve in England, dürfte die englische
Regierung in demselben Sinne auf die ihr ergebenen russischen Politiker
eingewirkt haben.

Alles das hat vorläufig rein akademischen Charakter. Immerhin hat auch
die Polenfrage schließlich einen Hintergrund, der auf die Beziehungen zwischen
Rußland und seinen Verbündeten einen gewissen, wenn auch nicht großen
Einfluß hat.

Uns kann es auch hier gleichgültig sein, was die Entente denkt und
beabsichtigt. Das Geschick Polens wird nicht mehr durch Worte der Entente,
sondern durch die Taten Deutschlands und Österreich-Ungarns beeinflußt.




Außenpolitisches aus Rußland

vorausgesetzt, daß überhaupt ein Widerstand von Rußland gewagt werden
würde.

Für uns muß es auf jeden Fall tröstlich sein, zu sehen, daß auch da die
Bäume nicht in den Himmel wachsen werden. Haben diese Gesichtspunkte
vielleicht für den Augenblick keine Bedeutung, so werden sie es später haben,
denn jede Schuld, und namentlich die politische, rächt sich auf Erden.

Endlich noch ein paar Worte zur polnischen Frage. Diese scheint durch
Stürmers Eingreifen vorläufig in Rußland zu einem gewissen Ruhepunkt ge¬
kommen zu sein. Man will der Zukunft nicht vorgreifen und sich alle Freiheit
des Handelns Polen gegenüber vorbehalten. In dem „Rußkoje Slowo" erschien
eine offiziöse Notiz, wonach der in Vorbereitung befindliche Aufruf an die
Polen „nicht eher veröffentlicht werden wird, als bis die russischen Heere in
das Königreich Polen eingerückt sind, d. h. nicht früher, als bis die Forcierung
der Buglmie erfolgt ist. Wenn inzwischen irgend welche Akte der Deutschen
und Österreicher in der polnischen Frage erfolgen sollten, so wird die russische
Regierung unverzüglich mit einem Gegenakt antworten." Diese Entscheidung
der russischen Regierung wird vor allem von England und Frankreich bedauert
werden, wo man gewünscht hätte, daß sich Rußland durch einen feierlichen Alt
auch Deutschland und Österreich gegenüber für immer und alle Zukunft festlegen
möchte. Aus diesem Gesichtspunkte sind auch die Ausführungen gewisser
russischer Zeitungen zu verstehen, die sich dafür eingesetzt hatten, daß Rußland
nicht durch innerrussischen Akt, sondern durch diplomatische Notifikation an die
Mächte seine Entschlüsse in der polnischen Frage kundgeben soll. Während
des Aufenthalts von Miljukow und Struve in England, dürfte die englische
Regierung in demselben Sinne auf die ihr ergebenen russischen Politiker
eingewirkt haben.

Alles das hat vorläufig rein akademischen Charakter. Immerhin hat auch
die Polenfrage schließlich einen Hintergrund, der auf die Beziehungen zwischen
Rußland und seinen Verbündeten einen gewissen, wenn auch nicht großen
Einfluß hat.

Uns kann es auch hier gleichgültig sein, was die Entente denkt und
beabsichtigt. Das Geschick Polens wird nicht mehr durch Worte der Entente,
sondern durch die Taten Deutschlands und Österreich-Ungarns beeinflußt.




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[0340] Außenpolitisches aus Rußland vorausgesetzt, daß überhaupt ein Widerstand von Rußland gewagt werden würde. Für uns muß es auf jeden Fall tröstlich sein, zu sehen, daß auch da die Bäume nicht in den Himmel wachsen werden. Haben diese Gesichtspunkte vielleicht für den Augenblick keine Bedeutung, so werden sie es später haben, denn jede Schuld, und namentlich die politische, rächt sich auf Erden. Endlich noch ein paar Worte zur polnischen Frage. Diese scheint durch Stürmers Eingreifen vorläufig in Rußland zu einem gewissen Ruhepunkt ge¬ kommen zu sein. Man will der Zukunft nicht vorgreifen und sich alle Freiheit des Handelns Polen gegenüber vorbehalten. In dem „Rußkoje Slowo" erschien eine offiziöse Notiz, wonach der in Vorbereitung befindliche Aufruf an die Polen „nicht eher veröffentlicht werden wird, als bis die russischen Heere in das Königreich Polen eingerückt sind, d. h. nicht früher, als bis die Forcierung der Buglmie erfolgt ist. Wenn inzwischen irgend welche Akte der Deutschen und Österreicher in der polnischen Frage erfolgen sollten, so wird die russische Regierung unverzüglich mit einem Gegenakt antworten." Diese Entscheidung der russischen Regierung wird vor allem von England und Frankreich bedauert werden, wo man gewünscht hätte, daß sich Rußland durch einen feierlichen Alt auch Deutschland und Österreich gegenüber für immer und alle Zukunft festlegen möchte. Aus diesem Gesichtspunkte sind auch die Ausführungen gewisser russischer Zeitungen zu verstehen, die sich dafür eingesetzt hatten, daß Rußland nicht durch innerrussischen Akt, sondern durch diplomatische Notifikation an die Mächte seine Entschlüsse in der polnischen Frage kundgeben soll. Während des Aufenthalts von Miljukow und Struve in England, dürfte die englische Regierung in demselben Sinne auf die ihr ergebenen russischen Politiker eingewirkt haben. Alles das hat vorläufig rein akademischen Charakter. Immerhin hat auch die Polenfrage schließlich einen Hintergrund, der auf die Beziehungen zwischen Rußland und seinen Verbündeten einen gewissen, wenn auch nicht großen Einfluß hat. Uns kann es auch hier gleichgültig sein, was die Entente denkt und beabsichtigt. Das Geschick Polens wird nicht mehr durch Worte der Entente, sondern durch die Taten Deutschlands und Österreich-Ungarns beeinflußt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/340>, abgerufen am 25.08.2024.