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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Zur Geschichte des warschauer deutschen Zeitungswesens

für sie und ihr Geschlecht hat Johann Castmir in Grodno am 11. Januar 1653
ausgefertigt. Durch dieses war die Druckerei der Stadtjurisdiktion entzogen
und der Marschalljurisdiktion, das heißt der des Kronmarschalls und damit der
des Königs unterstellt. Die Elertsche Familie hatte sich beständigen Wohl¬
wollens des Königs zu erfreuen. Vom Jahre 1668 an war ihr Haus von
jeder Militär- und Lattdtagsabgeordneten-Einquartierung befreit. Vom Jahre
1676 an wurde die Druckerei ausschließlich von Elerts Erben geführt. Sie
war übrigens lange Zeit die einzige in Warschau. Einen Teil davon er¬
warben die Plansten bereits 1675. Im Jahre 1696 hatten sie die ganze
Druckerei übernommen. August der Zweite gab ihnen für diese Druckerei im
Jahre 1701 ein neues Privilegium. Auch das Privilegium für den Druck der
Landtagsgesetze ging an die Piaristen über, doch hatten sie deshalb und wegen
des Druckes anderer Werke verschiedentlich Streitigkeiten mit den Jesuiten. Die
Druckerei wurde mehrere Male verbessert, so ließ man z. B. neue Typen und
Pressen aus Leipzig kommen. Zur Zeit der Leitung der Druckerei durch einen
Pater Bielski wurden Typen in Warschau gegossen und auch aus Berlin be¬
zogen. Die Druckerei der Piaristen gehörte noch während der ersten Jahre des
neunzehnten Jahrhunderts zu den rührigsten in Polen. Sie hat hauptsächlich
politisch-ökonomische, staatswissenschaftliche und theologische Bücher gedrückt.
Interessant aber ist es, daß sich unter den von ihnen herausgegebenen Werken
auch historisch-politische Nachrichten über Voltaire befinden.

Wie die deutschen "Warschauer Zeitungen" erschien auch die "Gazette de
Varsovie" zweimal wöchentlich. Auch sie hat eine Beilage, welche die Kriegs¬
berichte der Friedrich feindlichen Mächte enthält. Anstatt aus vier Seiten, wie
bei den "Warschauer Zeitungen" besteht diese Beilage mehrfach aus nur zweien.
Da jedoch der Druck bedeutend kleiner ist, ist der Inhalt weit reichhaltiger,
umsomehr, als hier stark ins einzelne gehende Angaben über die verschiedenen
Kriegsoperationen gemacht werden. An die Stelle des blasenden Postreiters
am Kopfe jeder Nummer tritt zunächst eine sehr kriegerische Vignette: eine Art
Nike, die Schlachttrompete am Munde, steht auf der polnischen Krone, die auf
dem viergeteilten polnischen Wappen ruht, ihr zur Seite scheinen sich zwei
Kriegsjungfrauen inmitten von Speeren, Kanonenrohren und Kugeln zu bewegen.
Offenbar hat man sich dann bald darauf besonnen, daß es Pflicht sei, der
Sehnsucht nach Frieden Ausdruck zu verleihen. Jedenfalls trägt die Zeitung
von der achten Nummer an ein friedliches Emblem: die Nike hat einem Friedens¬
engel mit der Friedensschalmei, die Kriegsjungfrauen den ruhenden Symbolen
des Ackerbaues und der Industrie Platz machen müssen. Die französische Sprache,
im ganzen moderner als die gleichzeitige deutsche, erklärt sich natürlich aus dem
Bestreben, dem Blatte einen größeren Leserkreis zu sichern. Daß es nicht nur
mit einem polnischen oder gar Warschauer rechnete, geht daraus hervor, daß
einmal -- im ersten Jahrgang Ur. 163 -- auf die "lectsurZ LtranZers"
ausdrücklich Bezug genommen wird.


Zur Geschichte des warschauer deutschen Zeitungswesens

für sie und ihr Geschlecht hat Johann Castmir in Grodno am 11. Januar 1653
ausgefertigt. Durch dieses war die Druckerei der Stadtjurisdiktion entzogen
und der Marschalljurisdiktion, das heißt der des Kronmarschalls und damit der
des Königs unterstellt. Die Elertsche Familie hatte sich beständigen Wohl¬
wollens des Königs zu erfreuen. Vom Jahre 1668 an war ihr Haus von
jeder Militär- und Lattdtagsabgeordneten-Einquartierung befreit. Vom Jahre
1676 an wurde die Druckerei ausschließlich von Elerts Erben geführt. Sie
war übrigens lange Zeit die einzige in Warschau. Einen Teil davon er¬
warben die Plansten bereits 1675. Im Jahre 1696 hatten sie die ganze
Druckerei übernommen. August der Zweite gab ihnen für diese Druckerei im
Jahre 1701 ein neues Privilegium. Auch das Privilegium für den Druck der
Landtagsgesetze ging an die Piaristen über, doch hatten sie deshalb und wegen
des Druckes anderer Werke verschiedentlich Streitigkeiten mit den Jesuiten. Die
Druckerei wurde mehrere Male verbessert, so ließ man z. B. neue Typen und
Pressen aus Leipzig kommen. Zur Zeit der Leitung der Druckerei durch einen
Pater Bielski wurden Typen in Warschau gegossen und auch aus Berlin be¬
zogen. Die Druckerei der Piaristen gehörte noch während der ersten Jahre des
neunzehnten Jahrhunderts zu den rührigsten in Polen. Sie hat hauptsächlich
politisch-ökonomische, staatswissenschaftliche und theologische Bücher gedrückt.
Interessant aber ist es, daß sich unter den von ihnen herausgegebenen Werken
auch historisch-politische Nachrichten über Voltaire befinden.

Wie die deutschen „Warschauer Zeitungen" erschien auch die „Gazette de
Varsovie" zweimal wöchentlich. Auch sie hat eine Beilage, welche die Kriegs¬
berichte der Friedrich feindlichen Mächte enthält. Anstatt aus vier Seiten, wie
bei den „Warschauer Zeitungen" besteht diese Beilage mehrfach aus nur zweien.
Da jedoch der Druck bedeutend kleiner ist, ist der Inhalt weit reichhaltiger,
umsomehr, als hier stark ins einzelne gehende Angaben über die verschiedenen
Kriegsoperationen gemacht werden. An die Stelle des blasenden Postreiters
am Kopfe jeder Nummer tritt zunächst eine sehr kriegerische Vignette: eine Art
Nike, die Schlachttrompete am Munde, steht auf der polnischen Krone, die auf
dem viergeteilten polnischen Wappen ruht, ihr zur Seite scheinen sich zwei
Kriegsjungfrauen inmitten von Speeren, Kanonenrohren und Kugeln zu bewegen.
Offenbar hat man sich dann bald darauf besonnen, daß es Pflicht sei, der
Sehnsucht nach Frieden Ausdruck zu verleihen. Jedenfalls trägt die Zeitung
von der achten Nummer an ein friedliches Emblem: die Nike hat einem Friedens¬
engel mit der Friedensschalmei, die Kriegsjungfrauen den ruhenden Symbolen
des Ackerbaues und der Industrie Platz machen müssen. Die französische Sprache,
im ganzen moderner als die gleichzeitige deutsche, erklärt sich natürlich aus dem
Bestreben, dem Blatte einen größeren Leserkreis zu sichern. Daß es nicht nur
mit einem polnischen oder gar Warschauer rechnete, geht daraus hervor, daß
einmal — im ersten Jahrgang Ur. 163 — auf die „lectsurZ LtranZers"
ausdrücklich Bezug genommen wird.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/279>, abgerufen am 23.07.2024.