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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Ministerumwälzungen in Rußland

linksliberalen, in dem englischen Fahrwasser schwimmenden russischen Politiker
gegen dieses Bündnis so groß gewesen ist, daß diese Kreise an dem Sturze
Ssasonows mit hätten arbeiten helfen. Denn Miljukow stellt ausdrücklich fest,
daß man vielleicht gar nicht Ssasonow persönlich allzusehr für den Abschluß
des Bündnisses verantwortlich machen dürfe, sondern daß andere Leute, und
zwar gerade Leute, die dem Nachfolger Ssasonows, Stürmer, nahe stehen,
die hauptsächlichsten Mitarbeiter an dem Bündnis gewesen sind. Wenn man
also eine Folgerung aus dem Verhalten Ssasonows zu den japanisch-russisch¬
englischen Fragen und die Konsequenzen, die sich persönlich für ihn daraus
ergaben, ziehen darf, so ist es wohl eher die, daß Ssasonow selbst schon während
der Verhandlungen mit Japan in einem Konflikte mit anderen mächtigeren
Kreisen in Rußland gestanden hat, in Konflikten, die dann vielleicht in der
Folge auch mit dazu beigetragen haben, ihm seine Stellung zu erschweren.

Diese Annahme erscheint um so glaubwürdiger, als wir keine weiteren
Anzeichen als die obengenannte Mißstimmung in England über das russisch-
japanische Bündnis für eine Unzufriedenheit Englands mit Ssasonow haben.
Im Gegentheil, die englische Presse ebenso wie die von England beeinflußte
linksliberale Presse Rußlands hat Ssasonow außerordentlich sympathische Worte
bei seinem Abgang gewidmet. Charakteristisch für die Anschauung dieser Kreise
ist folgender Passus aus einer Äußerung der "Rjetsch":

"Gleich Grey in England, Viviani und Briand in Frankreich, war Ssasonow
ein Mitschöpfer der antideutschen Koalition. Mögen die Talente der genannten
Staatsmänner größer oder kleiner sein, mögen ihre Verdienste oder Fehler
mehr oder minder schwer wiegen, der Name eines jeden von ihnen bedeutet
das Symbol für ein gewisses nationales und internationales Programm, ein
Symbol, das schon in sich die Garantie der Verwirklichung trug."

Man kann es verstehen, daß Ssasonow, der sich ja wirklich während des
Krieges zu einem Anhänger Englands und des russisch-englischen Bündnisses
H Wut pnx entwickelt hat, gerade von Miljukow und Genossen mit dem
höchsten Bedauern vermißt wird. Miljukow selbst äußert sich über die Per¬
sönlichkeit Ssasonows dahin, daß er im vollen Maße über jene Eigenschaften
verfügt habe, die den Engländern das vollkommene Gefühl des unbedingten
Glaubens an die Gewissenhaftigkeit ihres Partners, des kair pig^> beigebracht
hatten. Gerade dies persönliche Moment sei etwas in der auswärtigen Politik
Unwägbares und vollkommen Persönliches. Ssasonow habe dies Moment in
hohem Grade besessen. Charakteristisch dafür, wie hoch die Engländer das
Zusammenarbeiten mit Ssasonow schätzten, ist ja auch der Umstand, daß der
englische Botschafter kurz nach dem Rücktritt Ssasonows diesen in seinem
Sommeraufenthalt am Jmatra besucht hat.

Der Rücktritt Ssasonows ist also jedenfalls gegen den Willen Englands
nfolgt. Kommt seine Haltung während der russisch-japanischen Bündnis¬
verhandlungen dabei mit in Frage, so sind ausschlaggebend vielleicht zwei


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Ministerumwälzungen in Rußland

linksliberalen, in dem englischen Fahrwasser schwimmenden russischen Politiker
gegen dieses Bündnis so groß gewesen ist, daß diese Kreise an dem Sturze
Ssasonows mit hätten arbeiten helfen. Denn Miljukow stellt ausdrücklich fest,
daß man vielleicht gar nicht Ssasonow persönlich allzusehr für den Abschluß
des Bündnisses verantwortlich machen dürfe, sondern daß andere Leute, und
zwar gerade Leute, die dem Nachfolger Ssasonows, Stürmer, nahe stehen,
die hauptsächlichsten Mitarbeiter an dem Bündnis gewesen sind. Wenn man
also eine Folgerung aus dem Verhalten Ssasonows zu den japanisch-russisch¬
englischen Fragen und die Konsequenzen, die sich persönlich für ihn daraus
ergaben, ziehen darf, so ist es wohl eher die, daß Ssasonow selbst schon während
der Verhandlungen mit Japan in einem Konflikte mit anderen mächtigeren
Kreisen in Rußland gestanden hat, in Konflikten, die dann vielleicht in der
Folge auch mit dazu beigetragen haben, ihm seine Stellung zu erschweren.

Diese Annahme erscheint um so glaubwürdiger, als wir keine weiteren
Anzeichen als die obengenannte Mißstimmung in England über das russisch-
japanische Bündnis für eine Unzufriedenheit Englands mit Ssasonow haben.
Im Gegentheil, die englische Presse ebenso wie die von England beeinflußte
linksliberale Presse Rußlands hat Ssasonow außerordentlich sympathische Worte
bei seinem Abgang gewidmet. Charakteristisch für die Anschauung dieser Kreise
ist folgender Passus aus einer Äußerung der „Rjetsch":

„Gleich Grey in England, Viviani und Briand in Frankreich, war Ssasonow
ein Mitschöpfer der antideutschen Koalition. Mögen die Talente der genannten
Staatsmänner größer oder kleiner sein, mögen ihre Verdienste oder Fehler
mehr oder minder schwer wiegen, der Name eines jeden von ihnen bedeutet
das Symbol für ein gewisses nationales und internationales Programm, ein
Symbol, das schon in sich die Garantie der Verwirklichung trug."

Man kann es verstehen, daß Ssasonow, der sich ja wirklich während des
Krieges zu einem Anhänger Englands und des russisch-englischen Bündnisses
H Wut pnx entwickelt hat, gerade von Miljukow und Genossen mit dem
höchsten Bedauern vermißt wird. Miljukow selbst äußert sich über die Per¬
sönlichkeit Ssasonows dahin, daß er im vollen Maße über jene Eigenschaften
verfügt habe, die den Engländern das vollkommene Gefühl des unbedingten
Glaubens an die Gewissenhaftigkeit ihres Partners, des kair pig^> beigebracht
hatten. Gerade dies persönliche Moment sei etwas in der auswärtigen Politik
Unwägbares und vollkommen Persönliches. Ssasonow habe dies Moment in
hohem Grade besessen. Charakteristisch dafür, wie hoch die Engländer das
Zusammenarbeiten mit Ssasonow schätzten, ist ja auch der Umstand, daß der
englische Botschafter kurz nach dem Rücktritt Ssasonows diesen in seinem
Sommeraufenthalt am Jmatra besucht hat.

Der Rücktritt Ssasonows ist also jedenfalls gegen den Willen Englands
nfolgt. Kommt seine Haltung während der russisch-japanischen Bündnis¬
verhandlungen dabei mit in Frage, so sind ausschlaggebend vielleicht zwei


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[0270] Ministerumwälzungen in Rußland linksliberalen, in dem englischen Fahrwasser schwimmenden russischen Politiker gegen dieses Bündnis so groß gewesen ist, daß diese Kreise an dem Sturze Ssasonows mit hätten arbeiten helfen. Denn Miljukow stellt ausdrücklich fest, daß man vielleicht gar nicht Ssasonow persönlich allzusehr für den Abschluß des Bündnisses verantwortlich machen dürfe, sondern daß andere Leute, und zwar gerade Leute, die dem Nachfolger Ssasonows, Stürmer, nahe stehen, die hauptsächlichsten Mitarbeiter an dem Bündnis gewesen sind. Wenn man also eine Folgerung aus dem Verhalten Ssasonows zu den japanisch-russisch¬ englischen Fragen und die Konsequenzen, die sich persönlich für ihn daraus ergaben, ziehen darf, so ist es wohl eher die, daß Ssasonow selbst schon während der Verhandlungen mit Japan in einem Konflikte mit anderen mächtigeren Kreisen in Rußland gestanden hat, in Konflikten, die dann vielleicht in der Folge auch mit dazu beigetragen haben, ihm seine Stellung zu erschweren. Diese Annahme erscheint um so glaubwürdiger, als wir keine weiteren Anzeichen als die obengenannte Mißstimmung in England über das russisch- japanische Bündnis für eine Unzufriedenheit Englands mit Ssasonow haben. Im Gegentheil, die englische Presse ebenso wie die von England beeinflußte linksliberale Presse Rußlands hat Ssasonow außerordentlich sympathische Worte bei seinem Abgang gewidmet. Charakteristisch für die Anschauung dieser Kreise ist folgender Passus aus einer Äußerung der „Rjetsch": „Gleich Grey in England, Viviani und Briand in Frankreich, war Ssasonow ein Mitschöpfer der antideutschen Koalition. Mögen die Talente der genannten Staatsmänner größer oder kleiner sein, mögen ihre Verdienste oder Fehler mehr oder minder schwer wiegen, der Name eines jeden von ihnen bedeutet das Symbol für ein gewisses nationales und internationales Programm, ein Symbol, das schon in sich die Garantie der Verwirklichung trug." Man kann es verstehen, daß Ssasonow, der sich ja wirklich während des Krieges zu einem Anhänger Englands und des russisch-englischen Bündnisses H Wut pnx entwickelt hat, gerade von Miljukow und Genossen mit dem höchsten Bedauern vermißt wird. Miljukow selbst äußert sich über die Per¬ sönlichkeit Ssasonows dahin, daß er im vollen Maße über jene Eigenschaften verfügt habe, die den Engländern das vollkommene Gefühl des unbedingten Glaubens an die Gewissenhaftigkeit ihres Partners, des kair pig^> beigebracht hatten. Gerade dies persönliche Moment sei etwas in der auswärtigen Politik Unwägbares und vollkommen Persönliches. Ssasonow habe dies Moment in hohem Grade besessen. Charakteristisch dafür, wie hoch die Engländer das Zusammenarbeiten mit Ssasonow schätzten, ist ja auch der Umstand, daß der englische Botschafter kurz nach dem Rücktritt Ssasonows diesen in seinem Sommeraufenthalt am Jmatra besucht hat. Der Rücktritt Ssasonows ist also jedenfalls gegen den Willen Englands nfolgt. Kommt seine Haltung während der russisch-japanischen Bündnis¬ verhandlungen dabei mit in Frage, so sind ausschlaggebend vielleicht zwei 17*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/270>, abgerufen am 25.08.2024.