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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Ministermmvälzuilgen in Rußland

nachträglich alle Hebel daran setzten, um an dem Urheber oder Ausführer
dieses Gedankens ihr Mütchen zu kühlen und ihn zu beseitigen. Es lagen
Nachrichten vor, daß sich bei den Mitgliedern der russischen parlamentarischen
Delegation während ihrer Gespräche in den nordischen Ländern auf dem Rück¬
wege von London nach Petersburg eine gewisse Verbitterung gegen Ssasonow
gellend machte. Diese Mitglieder waren in England mit den Zielen der eng¬
lischen Politik und denjenigen Bedingungen, die England sür ein Zusammen¬
arbeiten mit Rußland wünschte, bekannt gemacht worden. Es traf sich, daß
die Führer der Delegation zu gleicher Zeit diejenigen Leute waren, die an und
für sich geneigt waren, bei ihrer unbegrenzten Vorliebe für englisch-demo¬
kratische Ideale den englischen Interessen eher Rechnung zu tragen, als dies
vielleicht andere russische Politiker getan hätten, deren durch innerpolitische
Gesichtspunkte nicht gehemmter Gesichtskreis einen freieren Ausblick auch auf die
Zukunftsinterefsen Rußlands eher ermöglichte. Der Gedankenkreis jener libe¬
ralen Politiker mag etwa der folgende gewesen sein: Rußland müsse jedenfalls
dauernd England angeschlossen werden, um eben die Verwirklichung jener
demokratischen Ideale auch in Rußland zu gestatten. Wenn jetzt in England
durch den Abschluß des russisch-japanischen Bündnisses eine gewisse Mi߬
stimmung erzeugt werbe, so könne dies für die Verwirklichung solcher Ziele nur
nachteilig sein. Man verschloß sich nicht der Erkenntnis, daß das Bündnis
nicht nur für die Zukunft eine gewaltige Hemmung für England, sondern auch
eine Gefahr für die Kriegsdauer felbst bilde. Außerdem verlor man im inneren
Kampfe gegen die rechtsstehenden Parteien einen Trumpf aus den Karten.
Sei es, daß wirklich eine Abmachung zwischen Japan und England bestanden
hat, wonach sich Japan England gegenüber verpflichtete, für den Fall eines
Sonderfriedens Rußlands mit Deutschland Rußland den Krieg zu erklären und
ihm in den Rücken zu fallen, sei es, daß die Tatsache einer solchen Abmachung
nur als Schreckmittel im innerpolitischen Kampfe von den linksstehenden Par¬
teisn gegenüber den rechtsstehenden gegen den Abschluß eines Sonderfriedens
benutzt wurde, jedenfalls war klar, daß es nicht mehr möglich war, dieses
Agitationsmittels sich zu bedienen.

Zweifellos ist, daß, ob eine solche Abmachung zwischen Japan und Eng¬
land vorgelegen hat oder nicht, die englischen Politiker unter allen Umständen
mit großem Schmerze auf das japanisch-russische Bündnis blicken mußten, und
daß die Engländer infolgedessen ein gewisses Interesse daran haben konnten,
in Rußland die Urheber dieser Politik zu entfernen.

Diese Gedankengänge hatten daher etwas durchaus einleuchtendes. Sie
wurden bestätigt durch eine Äußerung Miljukows über den Rücktritt von
Ssasonow, die aus mehr als einem Gesichtspunkte hochinteressant ist. Sie zeigt,
daß Miljükow als Führer der linksliberalen Kadetten mit der Politik Rußlands
im fernen Osten jedenfalls nicht einverstanden gewesen ist. Die Äußerung zeigt
aber doch zugleich, daß man nicht glauben kann, daß das Mißvergnügen der


Ministermmvälzuilgen in Rußland

nachträglich alle Hebel daran setzten, um an dem Urheber oder Ausführer
dieses Gedankens ihr Mütchen zu kühlen und ihn zu beseitigen. Es lagen
Nachrichten vor, daß sich bei den Mitgliedern der russischen parlamentarischen
Delegation während ihrer Gespräche in den nordischen Ländern auf dem Rück¬
wege von London nach Petersburg eine gewisse Verbitterung gegen Ssasonow
gellend machte. Diese Mitglieder waren in England mit den Zielen der eng¬
lischen Politik und denjenigen Bedingungen, die England sür ein Zusammen¬
arbeiten mit Rußland wünschte, bekannt gemacht worden. Es traf sich, daß
die Führer der Delegation zu gleicher Zeit diejenigen Leute waren, die an und
für sich geneigt waren, bei ihrer unbegrenzten Vorliebe für englisch-demo¬
kratische Ideale den englischen Interessen eher Rechnung zu tragen, als dies
vielleicht andere russische Politiker getan hätten, deren durch innerpolitische
Gesichtspunkte nicht gehemmter Gesichtskreis einen freieren Ausblick auch auf die
Zukunftsinterefsen Rußlands eher ermöglichte. Der Gedankenkreis jener libe¬
ralen Politiker mag etwa der folgende gewesen sein: Rußland müsse jedenfalls
dauernd England angeschlossen werden, um eben die Verwirklichung jener
demokratischen Ideale auch in Rußland zu gestatten. Wenn jetzt in England
durch den Abschluß des russisch-japanischen Bündnisses eine gewisse Mi߬
stimmung erzeugt werbe, so könne dies für die Verwirklichung solcher Ziele nur
nachteilig sein. Man verschloß sich nicht der Erkenntnis, daß das Bündnis
nicht nur für die Zukunft eine gewaltige Hemmung für England, sondern auch
eine Gefahr für die Kriegsdauer felbst bilde. Außerdem verlor man im inneren
Kampfe gegen die rechtsstehenden Parteien einen Trumpf aus den Karten.
Sei es, daß wirklich eine Abmachung zwischen Japan und England bestanden
hat, wonach sich Japan England gegenüber verpflichtete, für den Fall eines
Sonderfriedens Rußlands mit Deutschland Rußland den Krieg zu erklären und
ihm in den Rücken zu fallen, sei es, daß die Tatsache einer solchen Abmachung
nur als Schreckmittel im innerpolitischen Kampfe von den linksstehenden Par¬
teisn gegenüber den rechtsstehenden gegen den Abschluß eines Sonderfriedens
benutzt wurde, jedenfalls war klar, daß es nicht mehr möglich war, dieses
Agitationsmittels sich zu bedienen.

Zweifellos ist, daß, ob eine solche Abmachung zwischen Japan und Eng¬
land vorgelegen hat oder nicht, die englischen Politiker unter allen Umständen
mit großem Schmerze auf das japanisch-russische Bündnis blicken mußten, und
daß die Engländer infolgedessen ein gewisses Interesse daran haben konnten,
in Rußland die Urheber dieser Politik zu entfernen.

Diese Gedankengänge hatten daher etwas durchaus einleuchtendes. Sie
wurden bestätigt durch eine Äußerung Miljukows über den Rücktritt von
Ssasonow, die aus mehr als einem Gesichtspunkte hochinteressant ist. Sie zeigt,
daß Miljükow als Führer der linksliberalen Kadetten mit der Politik Rußlands
im fernen Osten jedenfalls nicht einverstanden gewesen ist. Die Äußerung zeigt
aber doch zugleich, daß man nicht glauben kann, daß das Mißvergnügen der


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[0269] Ministermmvälzuilgen in Rußland nachträglich alle Hebel daran setzten, um an dem Urheber oder Ausführer dieses Gedankens ihr Mütchen zu kühlen und ihn zu beseitigen. Es lagen Nachrichten vor, daß sich bei den Mitgliedern der russischen parlamentarischen Delegation während ihrer Gespräche in den nordischen Ländern auf dem Rück¬ wege von London nach Petersburg eine gewisse Verbitterung gegen Ssasonow gellend machte. Diese Mitglieder waren in England mit den Zielen der eng¬ lischen Politik und denjenigen Bedingungen, die England sür ein Zusammen¬ arbeiten mit Rußland wünschte, bekannt gemacht worden. Es traf sich, daß die Führer der Delegation zu gleicher Zeit diejenigen Leute waren, die an und für sich geneigt waren, bei ihrer unbegrenzten Vorliebe für englisch-demo¬ kratische Ideale den englischen Interessen eher Rechnung zu tragen, als dies vielleicht andere russische Politiker getan hätten, deren durch innerpolitische Gesichtspunkte nicht gehemmter Gesichtskreis einen freieren Ausblick auch auf die Zukunftsinterefsen Rußlands eher ermöglichte. Der Gedankenkreis jener libe¬ ralen Politiker mag etwa der folgende gewesen sein: Rußland müsse jedenfalls dauernd England angeschlossen werden, um eben die Verwirklichung jener demokratischen Ideale auch in Rußland zu gestatten. Wenn jetzt in England durch den Abschluß des russisch-japanischen Bündnisses eine gewisse Mi߬ stimmung erzeugt werbe, so könne dies für die Verwirklichung solcher Ziele nur nachteilig sein. Man verschloß sich nicht der Erkenntnis, daß das Bündnis nicht nur für die Zukunft eine gewaltige Hemmung für England, sondern auch eine Gefahr für die Kriegsdauer felbst bilde. Außerdem verlor man im inneren Kampfe gegen die rechtsstehenden Parteien einen Trumpf aus den Karten. Sei es, daß wirklich eine Abmachung zwischen Japan und England bestanden hat, wonach sich Japan England gegenüber verpflichtete, für den Fall eines Sonderfriedens Rußlands mit Deutschland Rußland den Krieg zu erklären und ihm in den Rücken zu fallen, sei es, daß die Tatsache einer solchen Abmachung nur als Schreckmittel im innerpolitischen Kampfe von den linksstehenden Par¬ teisn gegenüber den rechtsstehenden gegen den Abschluß eines Sonderfriedens benutzt wurde, jedenfalls war klar, daß es nicht mehr möglich war, dieses Agitationsmittels sich zu bedienen. Zweifellos ist, daß, ob eine solche Abmachung zwischen Japan und Eng¬ land vorgelegen hat oder nicht, die englischen Politiker unter allen Umständen mit großem Schmerze auf das japanisch-russische Bündnis blicken mußten, und daß die Engländer infolgedessen ein gewisses Interesse daran haben konnten, in Rußland die Urheber dieser Politik zu entfernen. Diese Gedankengänge hatten daher etwas durchaus einleuchtendes. Sie wurden bestätigt durch eine Äußerung Miljukows über den Rücktritt von Ssasonow, die aus mehr als einem Gesichtspunkte hochinteressant ist. Sie zeigt, daß Miljükow als Führer der linksliberalen Kadetten mit der Politik Rußlands im fernen Osten jedenfalls nicht einverstanden gewesen ist. Die Äußerung zeigt aber doch zugleich, daß man nicht glauben kann, daß das Mißvergnügen der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/269>, abgerufen am 23.07.2024.