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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Der Arieg und die bildende Aunst
v Dr, R. Schacht on

le Frage, ob die Entwicklung der bildenden Künste durch Kriege
gehemmt, geschädigt oder gefördert wird, ist im Grunde eine echte
Journalistenfrage, über die sich mit einleuchtenden Gründen bis
ins Uferlose hin- und herstreiten läßt. Die einen weisen auf die
Namen gefallener Künstler, auf zerstörte Kunstdenkmäler, auf
Verarmung, auf Rückgang der allgemeinen Kultur usw. und führen Beispiele
aus der Geschichte an; die andern weisen auf den neuen Aufschwung der
Kräfte, auf neue durch den Krieg geschaffene Aufgaben (Denkmäler, Friedhöfe,
Wiederaufbau zerstörter Ortschaften oder Monumentalgebäude), die Vereinheit¬
lichung der geistigen Interessen usw. und führen andere Beispiele aus der
Geschichte an. Das Ergebnis ist, daß der Zuhörer entweder bei seiner vorher¬
gefaßten, ihm durch irgendwelche konkreten Beispiele nahegelegten Meinung
bleibt, oder nicht weiß, was er denken soll.

Fördernder dürfte es daher sein, die im Grunde zu nichts führende
allgemeine Fassung der Frage auf den vorliegenden Fall einzuschränken und
sich zu überlegen, welche Wirkung der jetzige Krieg auf die bildenden Künste
haben kann.

Allgemein läßt sich die Frage schon deshalb nicht beantworten, weil ein
Analogieschluß von früheren Kriegen auf den jetzigen nicht möglich ist. Aus
zwei Ursachen nicht. Einmal sind die Künstler, vor allem die werdenden, heute
am Kriege in weit stärkerem Maße aktiv beteiligt, als es in früheren Jahr¬
hunderten der Fall war, wo sie entweder als betriebsame Handwerker sich in
den Mauern der Städte sorglich fern vom Kriegsgetümmel hielten, oder, seit
der Renaissance, in der Gefolgschaft der großen Herren den Krieg höchstens
einmal als Schlachtenbummler besahen. Der moderne Künstler aber erlebt den
Krieg, nicht wie ein Abenteuer, sondern als Notwendigkeit, die nicht nur dem
Künstler, sondern vor allem dem Menschen aufgezwungen wird; ob er will
oder nicht, er muß sich mit dem Krieg auseinandersetzen. Und es ist an¬
zunehmen, daß das mannigfaltige Erleben, die notgedrungen veränderte Art
des Lebensrhythmus, die mannigfachen optischen Eindrücke, die Erweiterung des
Gefühlskreises auch aus die Gestaltungsweise des Künstlers einen bedeutenden,
um voraus allerdings schwer abzuschätzender Einfluß ausüben werden. Ein
Krieg, der, das ganze Volk in Mitleidenschaft ziehend, sich in einen Dauer¬
zustand zu verwandeln droht, wird zudem ganz andere physische und damit
auch künstlerische Wirkungen haben als etwa die kurzen Kriege der sechziger
>Mhre oder 1870/71.

Die zweite Ursache liegt in der Andersartigkeit der Kunst bei Ausbruch
des jetzigen Krieges. Man hat sich oft gefragt, worin denn z. B. das unter-
ichledliche Merkmal der Malerei des neunzehnten Jahrhunderts gegenüber der
früherer Jahrhunderte besteht und häufig die Antwort gehört, das neunzehnte




Der Arieg und die bildende Aunst
v Dr, R. Schacht on

le Frage, ob die Entwicklung der bildenden Künste durch Kriege
gehemmt, geschädigt oder gefördert wird, ist im Grunde eine echte
Journalistenfrage, über die sich mit einleuchtenden Gründen bis
ins Uferlose hin- und herstreiten läßt. Die einen weisen auf die
Namen gefallener Künstler, auf zerstörte Kunstdenkmäler, auf
Verarmung, auf Rückgang der allgemeinen Kultur usw. und führen Beispiele
aus der Geschichte an; die andern weisen auf den neuen Aufschwung der
Kräfte, auf neue durch den Krieg geschaffene Aufgaben (Denkmäler, Friedhöfe,
Wiederaufbau zerstörter Ortschaften oder Monumentalgebäude), die Vereinheit¬
lichung der geistigen Interessen usw. und führen andere Beispiele aus der
Geschichte an. Das Ergebnis ist, daß der Zuhörer entweder bei seiner vorher¬
gefaßten, ihm durch irgendwelche konkreten Beispiele nahegelegten Meinung
bleibt, oder nicht weiß, was er denken soll.

Fördernder dürfte es daher sein, die im Grunde zu nichts führende
allgemeine Fassung der Frage auf den vorliegenden Fall einzuschränken und
sich zu überlegen, welche Wirkung der jetzige Krieg auf die bildenden Künste
haben kann.

Allgemein läßt sich die Frage schon deshalb nicht beantworten, weil ein
Analogieschluß von früheren Kriegen auf den jetzigen nicht möglich ist. Aus
zwei Ursachen nicht. Einmal sind die Künstler, vor allem die werdenden, heute
am Kriege in weit stärkerem Maße aktiv beteiligt, als es in früheren Jahr¬
hunderten der Fall war, wo sie entweder als betriebsame Handwerker sich in
den Mauern der Städte sorglich fern vom Kriegsgetümmel hielten, oder, seit
der Renaissance, in der Gefolgschaft der großen Herren den Krieg höchstens
einmal als Schlachtenbummler besahen. Der moderne Künstler aber erlebt den
Krieg, nicht wie ein Abenteuer, sondern als Notwendigkeit, die nicht nur dem
Künstler, sondern vor allem dem Menschen aufgezwungen wird; ob er will
oder nicht, er muß sich mit dem Krieg auseinandersetzen. Und es ist an¬
zunehmen, daß das mannigfaltige Erleben, die notgedrungen veränderte Art
des Lebensrhythmus, die mannigfachen optischen Eindrücke, die Erweiterung des
Gefühlskreises auch aus die Gestaltungsweise des Künstlers einen bedeutenden,
um voraus allerdings schwer abzuschätzender Einfluß ausüben werden. Ein
Krieg, der, das ganze Volk in Mitleidenschaft ziehend, sich in einen Dauer¬
zustand zu verwandeln droht, wird zudem ganz andere physische und damit
auch künstlerische Wirkungen haben als etwa die kurzen Kriege der sechziger
>Mhre oder 1870/71.

Die zweite Ursache liegt in der Andersartigkeit der Kunst bei Ausbruch
des jetzigen Krieges. Man hat sich oft gefragt, worin denn z. B. das unter-
ichledliche Merkmal der Malerei des neunzehnten Jahrhunderts gegenüber der
früherer Jahrhunderte besteht und häufig die Antwort gehört, das neunzehnte


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[0265] [Abbildung] Der Arieg und die bildende Aunst v Dr, R. Schacht on le Frage, ob die Entwicklung der bildenden Künste durch Kriege gehemmt, geschädigt oder gefördert wird, ist im Grunde eine echte Journalistenfrage, über die sich mit einleuchtenden Gründen bis ins Uferlose hin- und herstreiten läßt. Die einen weisen auf die Namen gefallener Künstler, auf zerstörte Kunstdenkmäler, auf Verarmung, auf Rückgang der allgemeinen Kultur usw. und führen Beispiele aus der Geschichte an; die andern weisen auf den neuen Aufschwung der Kräfte, auf neue durch den Krieg geschaffene Aufgaben (Denkmäler, Friedhöfe, Wiederaufbau zerstörter Ortschaften oder Monumentalgebäude), die Vereinheit¬ lichung der geistigen Interessen usw. und führen andere Beispiele aus der Geschichte an. Das Ergebnis ist, daß der Zuhörer entweder bei seiner vorher¬ gefaßten, ihm durch irgendwelche konkreten Beispiele nahegelegten Meinung bleibt, oder nicht weiß, was er denken soll. Fördernder dürfte es daher sein, die im Grunde zu nichts führende allgemeine Fassung der Frage auf den vorliegenden Fall einzuschränken und sich zu überlegen, welche Wirkung der jetzige Krieg auf die bildenden Künste haben kann. Allgemein läßt sich die Frage schon deshalb nicht beantworten, weil ein Analogieschluß von früheren Kriegen auf den jetzigen nicht möglich ist. Aus zwei Ursachen nicht. Einmal sind die Künstler, vor allem die werdenden, heute am Kriege in weit stärkerem Maße aktiv beteiligt, als es in früheren Jahr¬ hunderten der Fall war, wo sie entweder als betriebsame Handwerker sich in den Mauern der Städte sorglich fern vom Kriegsgetümmel hielten, oder, seit der Renaissance, in der Gefolgschaft der großen Herren den Krieg höchstens einmal als Schlachtenbummler besahen. Der moderne Künstler aber erlebt den Krieg, nicht wie ein Abenteuer, sondern als Notwendigkeit, die nicht nur dem Künstler, sondern vor allem dem Menschen aufgezwungen wird; ob er will oder nicht, er muß sich mit dem Krieg auseinandersetzen. Und es ist an¬ zunehmen, daß das mannigfaltige Erleben, die notgedrungen veränderte Art des Lebensrhythmus, die mannigfachen optischen Eindrücke, die Erweiterung des Gefühlskreises auch aus die Gestaltungsweise des Künstlers einen bedeutenden, um voraus allerdings schwer abzuschätzender Einfluß ausüben werden. Ein Krieg, der, das ganze Volk in Mitleidenschaft ziehend, sich in einen Dauer¬ zustand zu verwandeln droht, wird zudem ganz andere physische und damit auch künstlerische Wirkungen haben als etwa die kurzen Kriege der sechziger >Mhre oder 1870/71. Die zweite Ursache liegt in der Andersartigkeit der Kunst bei Ausbruch des jetzigen Krieges. Man hat sich oft gefragt, worin denn z. B. das unter- ichledliche Merkmal der Malerei des neunzehnten Jahrhunderts gegenüber der früherer Jahrhunderte besteht und häufig die Antwort gehört, das neunzehnte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/265>, abgerufen am 23.07.2024.