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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Wir und die Chinesen

telegramme und Bilder angeblicher deutscher Greuel bei einer Reihe neutraler
Staaten ein ebenso empfängliches Publikum fanden wie bei unseren Feinden.
Ob ein siegreiches Deutschland diese Unbeliebtheit in absehbarer Zeit ins
Gegenteil verkehren kann, ist zum mindesten zweifelhaft. Unzweifelhaft aber
ist es, daß "der durch den Krieg einmal entsandte und mit Blut besiegelte
nationale Haß", "die erbitterte Stimmung in Frankreich, England und Nußland
sich aus dem Krieg in den Frieden forterben wird" (Fürst Bülow). Dieser
Unsumme von Unbeliebtheit, nationalem Haß und erbitterter Stimmung uns
gegenüber sollen und müssen wir ehrliche Sympathie, wo immer sie uns ent¬
gegengebracht wird, hegen und fördern.

Aber sehen wir ganz von dem mehr oder weniger großen Wert der
Sympathien Chinas für Deutschland ab.. Eine Gleichstellung der Chinesen mit
den Japanern würde in erster Linie ein schweres Unrecht an jenen bedeuten.

Der Inhaber einer bekannten deutschen Firma in Ostasien, der viele Jahre
dort draußen zugebracht hat, schrieb mir kürzlich: "Die Chinesen sind keine
Japaner; generell gesprochen ist bei ersteren eine sehr viel anständigere Gesinnung
zu finden als bei letzteren." Dieser auf jahrzehntelanger Erfahrung beruhende
Satz trifft den Kardinalpunkt: Was den Chinesen dem Japaner gegenüber
auszeichnet, ist die sehr viel anständigere Gesinnung. Darin liegt der Grund
sür die Überzeugung jenes "Ausländers, der in beiden Ländern gelebt hatte,
daß, je länger ein Fremder in Japan lebt, desto weniger er die Japaner liebt,
je länger hingegen ein Fremder in China lebt, desto mehr er die Chinesen liebt."
Sicherlich ist das Seelenleben der Ostasiaten ein anderes als unseres, und wir
können unmöglich erwarten, daß wir jede der menschlichen Eigenschaften, die
uns als die edelsten und besten erscheinen, bei Menschen wiederfinden, die
Jahrtausende hindurch, Generation auf Generation, in einem ganz anderen
Kulturkreis aufgewachsen sind. Gewiß sind uns manche Züge im Leben des
einzelnen Chinesen sowie des chinesischen Volkes im ganzen unverständlich und
vielleicht auch wenig sympathisch, aber "trotz seines Mangels an Reinlichkeit und
Verfeinerung, trotz seiner vielen geistigen und Charakter-Fehler" (Ku Hung Ming*)
finden wir, wenn wir alles nur in allem nehmen, in den typischen Vertretern
des Chinesentums so viele edle Eigenschaften, so viel auch nach unserer Auffassung
grundanständige Gesinnung, daß sie nicht nur unsere Achtung sondern auch
unsere Wertschätzung verdienen. Oder auf das Ganze projeziert: "Im großen



*) Ich benutze die Gelegenheit, auf das soeben im Verlage von Eugen Diederichs,
J-na, erschienene sehr zeitgemäße Buch Ku Hung Mings: "Der Geist des chinesischen Volkes
und der Ausweg aus dem Krieg" hinzuweisen. Ku Hung Ming ist bei uns wohlbekannt.
Seine vor mehreren Jahren in dem gleichen Verlage erschienene Arbeit über "Chinas Ver¬
teidigung gegen europäische Ideen" hat viel Beachtung und warme Anerkennung gefunden.
Für jeden, der sich bemüht, einen Blick in das Seelenleben der Chinesen zu tun, ihren
moralischen Charakter zu erfassen, sind die Arbeiten des geistvollen Ku Hung Ming wert¬
vollstes Material, an dem er nicht vorbeigehen kann.
Wir und die Chinesen

telegramme und Bilder angeblicher deutscher Greuel bei einer Reihe neutraler
Staaten ein ebenso empfängliches Publikum fanden wie bei unseren Feinden.
Ob ein siegreiches Deutschland diese Unbeliebtheit in absehbarer Zeit ins
Gegenteil verkehren kann, ist zum mindesten zweifelhaft. Unzweifelhaft aber
ist es, daß „der durch den Krieg einmal entsandte und mit Blut besiegelte
nationale Haß", „die erbitterte Stimmung in Frankreich, England und Nußland
sich aus dem Krieg in den Frieden forterben wird" (Fürst Bülow). Dieser
Unsumme von Unbeliebtheit, nationalem Haß und erbitterter Stimmung uns
gegenüber sollen und müssen wir ehrliche Sympathie, wo immer sie uns ent¬
gegengebracht wird, hegen und fördern.

Aber sehen wir ganz von dem mehr oder weniger großen Wert der
Sympathien Chinas für Deutschland ab.. Eine Gleichstellung der Chinesen mit
den Japanern würde in erster Linie ein schweres Unrecht an jenen bedeuten.

Der Inhaber einer bekannten deutschen Firma in Ostasien, der viele Jahre
dort draußen zugebracht hat, schrieb mir kürzlich: „Die Chinesen sind keine
Japaner; generell gesprochen ist bei ersteren eine sehr viel anständigere Gesinnung
zu finden als bei letzteren." Dieser auf jahrzehntelanger Erfahrung beruhende
Satz trifft den Kardinalpunkt: Was den Chinesen dem Japaner gegenüber
auszeichnet, ist die sehr viel anständigere Gesinnung. Darin liegt der Grund
sür die Überzeugung jenes „Ausländers, der in beiden Ländern gelebt hatte,
daß, je länger ein Fremder in Japan lebt, desto weniger er die Japaner liebt,
je länger hingegen ein Fremder in China lebt, desto mehr er die Chinesen liebt."
Sicherlich ist das Seelenleben der Ostasiaten ein anderes als unseres, und wir
können unmöglich erwarten, daß wir jede der menschlichen Eigenschaften, die
uns als die edelsten und besten erscheinen, bei Menschen wiederfinden, die
Jahrtausende hindurch, Generation auf Generation, in einem ganz anderen
Kulturkreis aufgewachsen sind. Gewiß sind uns manche Züge im Leben des
einzelnen Chinesen sowie des chinesischen Volkes im ganzen unverständlich und
vielleicht auch wenig sympathisch, aber „trotz seines Mangels an Reinlichkeit und
Verfeinerung, trotz seiner vielen geistigen und Charakter-Fehler" (Ku Hung Ming*)
finden wir, wenn wir alles nur in allem nehmen, in den typischen Vertretern
des Chinesentums so viele edle Eigenschaften, so viel auch nach unserer Auffassung
grundanständige Gesinnung, daß sie nicht nur unsere Achtung sondern auch
unsere Wertschätzung verdienen. Oder auf das Ganze projeziert: „Im großen



*) Ich benutze die Gelegenheit, auf das soeben im Verlage von Eugen Diederichs,
J-na, erschienene sehr zeitgemäße Buch Ku Hung Mings: „Der Geist des chinesischen Volkes
und der Ausweg aus dem Krieg" hinzuweisen. Ku Hung Ming ist bei uns wohlbekannt.
Seine vor mehreren Jahren in dem gleichen Verlage erschienene Arbeit über „Chinas Ver¬
teidigung gegen europäische Ideen" hat viel Beachtung und warme Anerkennung gefunden.
Für jeden, der sich bemüht, einen Blick in das Seelenleben der Chinesen zu tun, ihren
moralischen Charakter zu erfassen, sind die Arbeiten des geistvollen Ku Hung Ming wert¬
vollstes Material, an dem er nicht vorbeigehen kann.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/263>, abgerufen am 23.07.2024.