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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Oänischc Stimmungen

Wer die Verhältnisse nicht kennt, könnte vielleicht meinen -- wie z. B. neulich
in einer schwedischen Zeitung behauptet worden ist --, daß die Dänen die
Deutschen nicht mögen, weil diese den Krieg begonnen, Belgien überfallen,
Belgier ermordet und friedliche Handelsschiffe mit Unrecht versenkt haben
sollen. Diese Auffassung ist aber ganz falsch. Richtig ist vielmehr, daß viele
Dänen im voraus gegen Deutschland unfreundlich gesinnt und deshalb ge¬
neigt waren, die Beschuldigungen gegen Deutschland zu glauben und daraus
Nahrung für ihren Unwillen zu schöpfen. Aber woher kam es, daß viele
Dänen in solcher Weise voreingenommen waren? Meiner Meinung nach gibt es
besonders drei Ursachen, von denen aber die erste bei weitem die wichtigste ist.

Diese erste Ursache ist der Krieg von 1864 und die daraus entsprungene
nordschleswigsche Frage. Freilich haben auch die Deutschen und die Öster¬
reicher 1866 gegeneinander gekämpft und sind trotzdem heute blutverbundene
Brüder. Es darf aber nicht übersehen werden, daß der Krieg von 1866 für
Österreich ohne Landverlust endigte. Im Jahre 1864 wurde hingegen Dänemark
durch den Verlust der Herzogtümer (d. h. eigentlich nur durch den Verlust
Nordschleswigs; das andere war verhältnismäßig gleichgültig) eine Wunde
geschlagen, die noch nicht vernarbt und vergessen ist.

Bei meinen Besuchen in Deutschland habe ich den Eindruck gewonnen, daß
sehr wenige Deutsche verstehen, was Nordschleswig für Dänemark und für die
dänischen Stimmungen Deutschland gegenüber bedeutet. Wir Dänen wissen zwar,
daß die Finnen, die Russischpolen, die Jrländer und viele andere auch Grund
Zur Klage haben. Aber dieses Wissen ist ein theoretisches, und deshalb bedeutet
es nicht viel im Vergleich zu den Gefühlen und Leidenschaften, die wegen Nord¬
schleswigs erregt werden. Dänemark ist ein kleines Land, hat kaum drei Millionen
Einwohner, und naturgemäß haben sehr viele von diesen irgendwelche persönliche
Beziehungen zu Nordschleswigern, und was sie von diesen aus erster Hand hören,
hat selbstverständlich eine viel größere Wirkung als Berichte über Zustände etwa
in Rußland, wenn auch diese an und für sich weit schlimmer sein mögen.
Friedrich Naumann schreibt in seinem auch in Dänemark viel gelesenen Buch
"Mitteleuropa": "Überall in Mitteleuropa ist eine freundlichere Denkart über
nationale Minderheiten dringend nötig." Und es kann nicht kräftig genug gesagt
werden, daß eine solche "freundlichere Denkart" über die Dänen in Nordschleswig
eine ungeheuere Wirkung auf die ganze reichsdänische Stimmung haben würde.

Es gibt aber noch wie gesagt zwei weitere Ursachen, denen ich allerdings
nicht so viel Gewicht beimesse, für die nicht besonders freundliche Stimmung
gegen Deutschland, die man bei vielen Dänen findet. Es ist unzweifelhaft eine
gewisse Furcht vor dem neudeutschen Wesen vorhanden. Das gemächliche und
stark individualistische in dem dänischen Volkscharakter sühlt sich von den: intensiverer
Arbeitstempo und der strafferen Organisation der Deutschen ganz natürlich nicht
angezogen. Demgegenüber muß aber gesagt werden, daß während der letzten
Jahre immer mehr bedeutende Dänen eingesehen haben, daß gerade hierin die


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Oänischc Stimmungen

Wer die Verhältnisse nicht kennt, könnte vielleicht meinen — wie z. B. neulich
in einer schwedischen Zeitung behauptet worden ist —, daß die Dänen die
Deutschen nicht mögen, weil diese den Krieg begonnen, Belgien überfallen,
Belgier ermordet und friedliche Handelsschiffe mit Unrecht versenkt haben
sollen. Diese Auffassung ist aber ganz falsch. Richtig ist vielmehr, daß viele
Dänen im voraus gegen Deutschland unfreundlich gesinnt und deshalb ge¬
neigt waren, die Beschuldigungen gegen Deutschland zu glauben und daraus
Nahrung für ihren Unwillen zu schöpfen. Aber woher kam es, daß viele
Dänen in solcher Weise voreingenommen waren? Meiner Meinung nach gibt es
besonders drei Ursachen, von denen aber die erste bei weitem die wichtigste ist.

Diese erste Ursache ist der Krieg von 1864 und die daraus entsprungene
nordschleswigsche Frage. Freilich haben auch die Deutschen und die Öster¬
reicher 1866 gegeneinander gekämpft und sind trotzdem heute blutverbundene
Brüder. Es darf aber nicht übersehen werden, daß der Krieg von 1866 für
Österreich ohne Landverlust endigte. Im Jahre 1864 wurde hingegen Dänemark
durch den Verlust der Herzogtümer (d. h. eigentlich nur durch den Verlust
Nordschleswigs; das andere war verhältnismäßig gleichgültig) eine Wunde
geschlagen, die noch nicht vernarbt und vergessen ist.

Bei meinen Besuchen in Deutschland habe ich den Eindruck gewonnen, daß
sehr wenige Deutsche verstehen, was Nordschleswig für Dänemark und für die
dänischen Stimmungen Deutschland gegenüber bedeutet. Wir Dänen wissen zwar,
daß die Finnen, die Russischpolen, die Jrländer und viele andere auch Grund
Zur Klage haben. Aber dieses Wissen ist ein theoretisches, und deshalb bedeutet
es nicht viel im Vergleich zu den Gefühlen und Leidenschaften, die wegen Nord¬
schleswigs erregt werden. Dänemark ist ein kleines Land, hat kaum drei Millionen
Einwohner, und naturgemäß haben sehr viele von diesen irgendwelche persönliche
Beziehungen zu Nordschleswigern, und was sie von diesen aus erster Hand hören,
hat selbstverständlich eine viel größere Wirkung als Berichte über Zustände etwa
in Rußland, wenn auch diese an und für sich weit schlimmer sein mögen.
Friedrich Naumann schreibt in seinem auch in Dänemark viel gelesenen Buch
„Mitteleuropa": „Überall in Mitteleuropa ist eine freundlichere Denkart über
nationale Minderheiten dringend nötig." Und es kann nicht kräftig genug gesagt
werden, daß eine solche „freundlichere Denkart" über die Dänen in Nordschleswig
eine ungeheuere Wirkung auf die ganze reichsdänische Stimmung haben würde.

Es gibt aber noch wie gesagt zwei weitere Ursachen, denen ich allerdings
nicht so viel Gewicht beimesse, für die nicht besonders freundliche Stimmung
gegen Deutschland, die man bei vielen Dänen findet. Es ist unzweifelhaft eine
gewisse Furcht vor dem neudeutschen Wesen vorhanden. Das gemächliche und
stark individualistische in dem dänischen Volkscharakter sühlt sich von den: intensiverer
Arbeitstempo und der strafferen Organisation der Deutschen ganz natürlich nicht
angezogen. Demgegenüber muß aber gesagt werden, daß während der letzten
Jahre immer mehr bedeutende Dänen eingesehen haben, daß gerade hierin die


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[0191] Oänischc Stimmungen Wer die Verhältnisse nicht kennt, könnte vielleicht meinen — wie z. B. neulich in einer schwedischen Zeitung behauptet worden ist —, daß die Dänen die Deutschen nicht mögen, weil diese den Krieg begonnen, Belgien überfallen, Belgier ermordet und friedliche Handelsschiffe mit Unrecht versenkt haben sollen. Diese Auffassung ist aber ganz falsch. Richtig ist vielmehr, daß viele Dänen im voraus gegen Deutschland unfreundlich gesinnt und deshalb ge¬ neigt waren, die Beschuldigungen gegen Deutschland zu glauben und daraus Nahrung für ihren Unwillen zu schöpfen. Aber woher kam es, daß viele Dänen in solcher Weise voreingenommen waren? Meiner Meinung nach gibt es besonders drei Ursachen, von denen aber die erste bei weitem die wichtigste ist. Diese erste Ursache ist der Krieg von 1864 und die daraus entsprungene nordschleswigsche Frage. Freilich haben auch die Deutschen und die Öster¬ reicher 1866 gegeneinander gekämpft und sind trotzdem heute blutverbundene Brüder. Es darf aber nicht übersehen werden, daß der Krieg von 1866 für Österreich ohne Landverlust endigte. Im Jahre 1864 wurde hingegen Dänemark durch den Verlust der Herzogtümer (d. h. eigentlich nur durch den Verlust Nordschleswigs; das andere war verhältnismäßig gleichgültig) eine Wunde geschlagen, die noch nicht vernarbt und vergessen ist. Bei meinen Besuchen in Deutschland habe ich den Eindruck gewonnen, daß sehr wenige Deutsche verstehen, was Nordschleswig für Dänemark und für die dänischen Stimmungen Deutschland gegenüber bedeutet. Wir Dänen wissen zwar, daß die Finnen, die Russischpolen, die Jrländer und viele andere auch Grund Zur Klage haben. Aber dieses Wissen ist ein theoretisches, und deshalb bedeutet es nicht viel im Vergleich zu den Gefühlen und Leidenschaften, die wegen Nord¬ schleswigs erregt werden. Dänemark ist ein kleines Land, hat kaum drei Millionen Einwohner, und naturgemäß haben sehr viele von diesen irgendwelche persönliche Beziehungen zu Nordschleswigern, und was sie von diesen aus erster Hand hören, hat selbstverständlich eine viel größere Wirkung als Berichte über Zustände etwa in Rußland, wenn auch diese an und für sich weit schlimmer sein mögen. Friedrich Naumann schreibt in seinem auch in Dänemark viel gelesenen Buch „Mitteleuropa": „Überall in Mitteleuropa ist eine freundlichere Denkart über nationale Minderheiten dringend nötig." Und es kann nicht kräftig genug gesagt werden, daß eine solche „freundlichere Denkart" über die Dänen in Nordschleswig eine ungeheuere Wirkung auf die ganze reichsdänische Stimmung haben würde. Es gibt aber noch wie gesagt zwei weitere Ursachen, denen ich allerdings nicht so viel Gewicht beimesse, für die nicht besonders freundliche Stimmung gegen Deutschland, die man bei vielen Dänen findet. Es ist unzweifelhaft eine gewisse Furcht vor dem neudeutschen Wesen vorhanden. Das gemächliche und stark individualistische in dem dänischen Volkscharakter sühlt sich von den: intensiverer Arbeitstempo und der strafferen Organisation der Deutschen ganz natürlich nicht angezogen. Demgegenüber muß aber gesagt werden, daß während der letzten Jahre immer mehr bedeutende Dänen eingesehen haben, daß gerade hierin die 12*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/191>, abgerufen am 23.07.2024.