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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Deutschland und die Koalition

sprach, aber auch nur der Ehre wegen, warf er sie hin, nicht um sich wirklich
mit den Deutschen um Metz und Straßburg zu schlagen.

Wenn sich der Franzose so wenig um das nahe Elsaß kümmerte, was
konnte er da dem fernen Polen opfern. Nur so viel, als der Bund
der dritten Republik mit Rußland erlaubte. Der Franzose will nichts
von den nationalen Idealen der Polen hören; er erinnert sich nur an eins:
an den Treuschwur der Bevölkerung des Königreiches Polen für Zar Nikolaus
den Zweiten. Dieser Schwur hat in den Augen des Franzosen über unsere
Haltung im europäischen Krieg zu entscheiden. Die alten Streitigkeiten mit
Rußland müßten uns nur um so bereiter machen zu ihrer Beseitigung. Frank¬
reich hat einst auch mit Moskau gekämpft, und jetzt hat es sich mit ihm ver¬
söhnt. Wenn Frankreich im Namen der Zivilisation seine Vorurteile zum
Opfer gebracht hat, so ist es Polen nicht erlaubt, durch die Erinnerung an das
von Rußland erlittene Unrecht und die Abrechnung mit ihm die Harmonie zu
stören. Die Forderung der Unabhängigkeit seitens der Polen im gegenwärtigen
Augenblick erscheint den Franzosen als eine boshafte Kleinigkeitskrämerei.
"Seht ihr denn nicht", fragte mich ein französischer Gefangener, "das eure
Unabhängigkeit ihre Spitze gegen Rußland kehrt? Daß sie ein Verrat Frank¬
reichs wäre, dieses großen und edlen Frankreichs, für das alle Völker unver-
jährbare Schuld- und Dankesverpflichtungen empfinden müssen? Wenn Ru߬
land in mörderischen Kampfe um die Freiheit und Kultur Europas steht, Seite
"n Seite mit Frankreich, so begeht ihr Polen, wenn ihr euch dagegen wendet,
Legionen dagegen organisiert, eine so unritterliche Tat, wie der, der aus dem
Hinterhalt den Gegner überfällt und durch einen meuchelmörderischen Stoß
in den Rücken überwältigt!" Die ganze Bereitschaft des Franzosen, auf
unsere heutige Lage einzugehen, endigt für den Polen mit Beschimpfung
und mit einem Zynismus, der alle Brücken der Verständigung mit ihm
verbrennt. Das polnische Problem ist für den Franzosen ein Gespenst, das
den Frieden der Alliance mit Rußland stört; auf alle unsere Forderungen,
Vorstellungen, Wünsche und Schmerzen erwidert er mit der Angabe der
Adresse,.........der russischen Großherzigkeit, an die er uns empfiehlt
wie an einen Wundarzt, der unsere Wunden heilen soll. Der heutige Franzose,
namentlich der in der Gefangenschaft noch kleiner gewordene Franzose, ist so
klein, daß keine der polnischen Ideen in ihm Platz finden kann. In seinen
Augen und in seinem Kopfe schrumpft alles zusammen und verkrüppelt alles.
Unsere Legionen, die mit ihrem Blute den Ruhm des polnischen Soldaten
wieder hergestellt haben, sind für den Franzosen Kondottiere des Zweibundes.
Unser Haß gegen Rußland ist für den Franzosen eine zum Verkauf von West¬
europa ausgestellte Ware. Unsere Brust mit ihrem Übermaß von Liebe und
Leid ist für den Franzosen nur ein Speicher käuflicher Gefühle, nur ein
Handelsplatz, wo die Unabhängigkeitsidee ihren Preis hat und der weiße Adler
seinen Preis hat und das Fest des dritten Mai und die Hoffnungen, die Erinne-


Deutschland und die Koalition

sprach, aber auch nur der Ehre wegen, warf er sie hin, nicht um sich wirklich
mit den Deutschen um Metz und Straßburg zu schlagen.

Wenn sich der Franzose so wenig um das nahe Elsaß kümmerte, was
konnte er da dem fernen Polen opfern. Nur so viel, als der Bund
der dritten Republik mit Rußland erlaubte. Der Franzose will nichts
von den nationalen Idealen der Polen hören; er erinnert sich nur an eins:
an den Treuschwur der Bevölkerung des Königreiches Polen für Zar Nikolaus
den Zweiten. Dieser Schwur hat in den Augen des Franzosen über unsere
Haltung im europäischen Krieg zu entscheiden. Die alten Streitigkeiten mit
Rußland müßten uns nur um so bereiter machen zu ihrer Beseitigung. Frank¬
reich hat einst auch mit Moskau gekämpft, und jetzt hat es sich mit ihm ver¬
söhnt. Wenn Frankreich im Namen der Zivilisation seine Vorurteile zum
Opfer gebracht hat, so ist es Polen nicht erlaubt, durch die Erinnerung an das
von Rußland erlittene Unrecht und die Abrechnung mit ihm die Harmonie zu
stören. Die Forderung der Unabhängigkeit seitens der Polen im gegenwärtigen
Augenblick erscheint den Franzosen als eine boshafte Kleinigkeitskrämerei.
„Seht ihr denn nicht", fragte mich ein französischer Gefangener, „das eure
Unabhängigkeit ihre Spitze gegen Rußland kehrt? Daß sie ein Verrat Frank¬
reichs wäre, dieses großen und edlen Frankreichs, für das alle Völker unver-
jährbare Schuld- und Dankesverpflichtungen empfinden müssen? Wenn Ru߬
land in mörderischen Kampfe um die Freiheit und Kultur Europas steht, Seite
«n Seite mit Frankreich, so begeht ihr Polen, wenn ihr euch dagegen wendet,
Legionen dagegen organisiert, eine so unritterliche Tat, wie der, der aus dem
Hinterhalt den Gegner überfällt und durch einen meuchelmörderischen Stoß
in den Rücken überwältigt!" Die ganze Bereitschaft des Franzosen, auf
unsere heutige Lage einzugehen, endigt für den Polen mit Beschimpfung
und mit einem Zynismus, der alle Brücken der Verständigung mit ihm
verbrennt. Das polnische Problem ist für den Franzosen ein Gespenst, das
den Frieden der Alliance mit Rußland stört; auf alle unsere Forderungen,
Vorstellungen, Wünsche und Schmerzen erwidert er mit der Angabe der
Adresse,.........der russischen Großherzigkeit, an die er uns empfiehlt
wie an einen Wundarzt, der unsere Wunden heilen soll. Der heutige Franzose,
namentlich der in der Gefangenschaft noch kleiner gewordene Franzose, ist so
klein, daß keine der polnischen Ideen in ihm Platz finden kann. In seinen
Augen und in seinem Kopfe schrumpft alles zusammen und verkrüppelt alles.
Unsere Legionen, die mit ihrem Blute den Ruhm des polnischen Soldaten
wieder hergestellt haben, sind für den Franzosen Kondottiere des Zweibundes.
Unser Haß gegen Rußland ist für den Franzosen eine zum Verkauf von West¬
europa ausgestellte Ware. Unsere Brust mit ihrem Übermaß von Liebe und
Leid ist für den Franzosen nur ein Speicher käuflicher Gefühle, nur ein
Handelsplatz, wo die Unabhängigkeitsidee ihren Preis hat und der weiße Adler
seinen Preis hat und das Fest des dritten Mai und die Hoffnungen, die Erinne-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/18>, abgerufen am 26.06.2024.