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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Das Buch des Fürsten von Bülow

Bülow außerdem geltend gemacht werden, daß die bösesten Konflikte der Ver¬
gangenheit bei seinem Rücktritt allgemach beigelegt schienen, die Friedens¬
ausfichten mithin auch dadurch begünstigt wurden. Zu schwarzseherischen Ge^
danken lag nach des Fürsten Meinung jedenfalls, trotz der vorhandenen
scharfen Reibungsflächen zu jener Zeit, als die "Deutsche Politik" zum
erstenmal ihren Gang an die Öffentlichkeit antrat, eine erkennbare Veranlassung
nicht vor. Auf die politische Umschau, die dieser Beurteilung der Weltlage im
Jahre 1913 zu Grunde lag, kommen wir noch zurück.

Seit dem nicht unfreundlichen Ausblick des Fürsten Bülow kurz vor dem
Kriege hat eine Sturmflut, wie seit Menschengedenken nicht erlebt, sich gegen
uns herangewälzt. Wir hätten in der ersten Hälfte des Jahres 1914 den
einen Toren gescholten, der uns hätte einreden wollen, daß eine feindliche
Koalition von so furchtbarer Mächtigkeit noch im Sommer desselben Jahres
über uns herfallen würde. Wenn die Männer auf der politischen Wetterwarte
das Nahen der Katastrophe nicht zu erkennen vermochten, so ist der Mangel
solcher Voraussicht erst recht nicht dem bereits seit einigen Jahren aus dem
Amt geschiedenen Reichskanzler vorzuhalten. Die von diesem dargelegten
Richtlinien der deutschen Politik waren aber nun einmal mit jähem Ruck
abgerissen. Die Leser seines früheren Buches mußten mit verwirrtem Staunen
fragen, wie eine im großen und ganzen auf ebenem Wege verlaufende Politik
unversehens in einen Abgrund geraten konnte. Der Weltkrieg konnte un¬
möglich wie "ein Blitz aus heiterm Himmel" in eine allgemeine Friedens-
stimmung heremschlagen, das Verhängnis mußte gewisse kritische Anzeichen
voraussenden. Der Umsturz der Friedenspolitik durch den Krieg mußte dem
neuen Bülowbuch als Kopfstück eingefügt werden, damit die früheren Aus¬
führungen ihren historischen Abschluß fänden.

Fürst Bülow hat während seiner politischen Laufbahn bei sich darbietender
Gelegenheit häufiger seinen großen Vorgänger, den ersten Reichskanzler als
Vorbild und Beispiel angerufen. Er nimmt in dem vorliegenden Buche aus¬
drücklich für sich in Anspruch, das Lebenswerk des Reichsgründers in Ge¬
mäßheit der veränderten Zeitverhältnisse fortzuführen und auszubauen. Die
dazwischenliegende Amtsperiode des Grafen Caprivi und des Fürsten zu
Hohenlohe wird stillschweigend ausgeschaltet oder mit einem abfälligen Seiten¬
blick, so die Caprivische Handelsvertragspolitik, gestreift. Der Schüler Bismarcks
folgt seinem Meister auch in der Beziehung, daß er, wie jener in den "Ge¬
danken und Erinnerungen", nicht den Gang der politischen Geschehnisse mit
historischer Treue darzustellen sich bemüht, sondern aus dem gegebenen Material
politische Lehren und staatsmännische Erkenntnis zu Nutz und Frommen
unserer nationalen Entwicklung zu gestalten sucht. Der Geschichtsschreiber mag
durch das Bülowbuch sein eigenes Urteil bereichern, wird aber den Bülow-
schen Auffassungen nicht in allen Stücken beipflichten. Da die aus¬
wärtige Politik Bülows zu Zeiten ihrer Aktualität vielfach angefochten wurde,


Das Buch des Fürsten von Bülow

Bülow außerdem geltend gemacht werden, daß die bösesten Konflikte der Ver¬
gangenheit bei seinem Rücktritt allgemach beigelegt schienen, die Friedens¬
ausfichten mithin auch dadurch begünstigt wurden. Zu schwarzseherischen Ge^
danken lag nach des Fürsten Meinung jedenfalls, trotz der vorhandenen
scharfen Reibungsflächen zu jener Zeit, als die „Deutsche Politik" zum
erstenmal ihren Gang an die Öffentlichkeit antrat, eine erkennbare Veranlassung
nicht vor. Auf die politische Umschau, die dieser Beurteilung der Weltlage im
Jahre 1913 zu Grunde lag, kommen wir noch zurück.

Seit dem nicht unfreundlichen Ausblick des Fürsten Bülow kurz vor dem
Kriege hat eine Sturmflut, wie seit Menschengedenken nicht erlebt, sich gegen
uns herangewälzt. Wir hätten in der ersten Hälfte des Jahres 1914 den
einen Toren gescholten, der uns hätte einreden wollen, daß eine feindliche
Koalition von so furchtbarer Mächtigkeit noch im Sommer desselben Jahres
über uns herfallen würde. Wenn die Männer auf der politischen Wetterwarte
das Nahen der Katastrophe nicht zu erkennen vermochten, so ist der Mangel
solcher Voraussicht erst recht nicht dem bereits seit einigen Jahren aus dem
Amt geschiedenen Reichskanzler vorzuhalten. Die von diesem dargelegten
Richtlinien der deutschen Politik waren aber nun einmal mit jähem Ruck
abgerissen. Die Leser seines früheren Buches mußten mit verwirrtem Staunen
fragen, wie eine im großen und ganzen auf ebenem Wege verlaufende Politik
unversehens in einen Abgrund geraten konnte. Der Weltkrieg konnte un¬
möglich wie „ein Blitz aus heiterm Himmel" in eine allgemeine Friedens-
stimmung heremschlagen, das Verhängnis mußte gewisse kritische Anzeichen
voraussenden. Der Umsturz der Friedenspolitik durch den Krieg mußte dem
neuen Bülowbuch als Kopfstück eingefügt werden, damit die früheren Aus¬
führungen ihren historischen Abschluß fänden.

Fürst Bülow hat während seiner politischen Laufbahn bei sich darbietender
Gelegenheit häufiger seinen großen Vorgänger, den ersten Reichskanzler als
Vorbild und Beispiel angerufen. Er nimmt in dem vorliegenden Buche aus¬
drücklich für sich in Anspruch, das Lebenswerk des Reichsgründers in Ge¬
mäßheit der veränderten Zeitverhältnisse fortzuführen und auszubauen. Die
dazwischenliegende Amtsperiode des Grafen Caprivi und des Fürsten zu
Hohenlohe wird stillschweigend ausgeschaltet oder mit einem abfälligen Seiten¬
blick, so die Caprivische Handelsvertragspolitik, gestreift. Der Schüler Bismarcks
folgt seinem Meister auch in der Beziehung, daß er, wie jener in den „Ge¬
danken und Erinnerungen", nicht den Gang der politischen Geschehnisse mit
historischer Treue darzustellen sich bemüht, sondern aus dem gegebenen Material
politische Lehren und staatsmännische Erkenntnis zu Nutz und Frommen
unserer nationalen Entwicklung zu gestalten sucht. Der Geschichtsschreiber mag
durch das Bülowbuch sein eigenes Urteil bereichern, wird aber den Bülow-
schen Auffassungen nicht in allen Stücken beipflichten. Da die aus¬
wärtige Politik Bülows zu Zeiten ihrer Aktualität vielfach angefochten wurde,


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[0174] Das Buch des Fürsten von Bülow Bülow außerdem geltend gemacht werden, daß die bösesten Konflikte der Ver¬ gangenheit bei seinem Rücktritt allgemach beigelegt schienen, die Friedens¬ ausfichten mithin auch dadurch begünstigt wurden. Zu schwarzseherischen Ge^ danken lag nach des Fürsten Meinung jedenfalls, trotz der vorhandenen scharfen Reibungsflächen zu jener Zeit, als die „Deutsche Politik" zum erstenmal ihren Gang an die Öffentlichkeit antrat, eine erkennbare Veranlassung nicht vor. Auf die politische Umschau, die dieser Beurteilung der Weltlage im Jahre 1913 zu Grunde lag, kommen wir noch zurück. Seit dem nicht unfreundlichen Ausblick des Fürsten Bülow kurz vor dem Kriege hat eine Sturmflut, wie seit Menschengedenken nicht erlebt, sich gegen uns herangewälzt. Wir hätten in der ersten Hälfte des Jahres 1914 den einen Toren gescholten, der uns hätte einreden wollen, daß eine feindliche Koalition von so furchtbarer Mächtigkeit noch im Sommer desselben Jahres über uns herfallen würde. Wenn die Männer auf der politischen Wetterwarte das Nahen der Katastrophe nicht zu erkennen vermochten, so ist der Mangel solcher Voraussicht erst recht nicht dem bereits seit einigen Jahren aus dem Amt geschiedenen Reichskanzler vorzuhalten. Die von diesem dargelegten Richtlinien der deutschen Politik waren aber nun einmal mit jähem Ruck abgerissen. Die Leser seines früheren Buches mußten mit verwirrtem Staunen fragen, wie eine im großen und ganzen auf ebenem Wege verlaufende Politik unversehens in einen Abgrund geraten konnte. Der Weltkrieg konnte un¬ möglich wie „ein Blitz aus heiterm Himmel" in eine allgemeine Friedens- stimmung heremschlagen, das Verhängnis mußte gewisse kritische Anzeichen voraussenden. Der Umsturz der Friedenspolitik durch den Krieg mußte dem neuen Bülowbuch als Kopfstück eingefügt werden, damit die früheren Aus¬ führungen ihren historischen Abschluß fänden. Fürst Bülow hat während seiner politischen Laufbahn bei sich darbietender Gelegenheit häufiger seinen großen Vorgänger, den ersten Reichskanzler als Vorbild und Beispiel angerufen. Er nimmt in dem vorliegenden Buche aus¬ drücklich für sich in Anspruch, das Lebenswerk des Reichsgründers in Ge¬ mäßheit der veränderten Zeitverhältnisse fortzuführen und auszubauen. Die dazwischenliegende Amtsperiode des Grafen Caprivi und des Fürsten zu Hohenlohe wird stillschweigend ausgeschaltet oder mit einem abfälligen Seiten¬ blick, so die Caprivische Handelsvertragspolitik, gestreift. Der Schüler Bismarcks folgt seinem Meister auch in der Beziehung, daß er, wie jener in den „Ge¬ danken und Erinnerungen", nicht den Gang der politischen Geschehnisse mit historischer Treue darzustellen sich bemüht, sondern aus dem gegebenen Material politische Lehren und staatsmännische Erkenntnis zu Nutz und Frommen unserer nationalen Entwicklung zu gestalten sucht. Der Geschichtsschreiber mag durch das Bülowbuch sein eigenes Urteil bereichern, wird aber den Bülow- schen Auffassungen nicht in allen Stücken beipflichten. Da die aus¬ wärtige Politik Bülows zu Zeiten ihrer Aktualität vielfach angefochten wurde,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/174>, abgerufen am 23.07.2024.