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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Deutschland und die Koalition

land nicht eine heilige Sache, in dem es sein eigenes Blut vergießt zur Ver¬
teidigung seiner Sicherheit und Größe. Der Krieg ist in seinen Augen
ein Unternehmen, in das sich der Staat eingelassen hat. Ein Unter¬
nehmen, nicht schlechter und nicht besser als viele andere industrielle Unter¬
nehmungen -- besser, je nachdem es sich finanziell bezahlt macht. Wenn der
Durchstich eines Tunnels von Europa nach Amerika größere Gewinne ver¬
spräche als der Krieg, so würde England statt des Kriegstrustes ein Tunnel-
Syndikat organisiert haben. Daß der Krieg Opfer an Menschenleben und
Gesundheit nach sich zieht, disqualifiziert das Geschäft nicht: denn jeder In¬
dustriezweig erfordert Opfer. Wieviel verschlingt beispielsweise der Bergbau!
Es handelt sich darum, die Zahl der eigenen Opfer herabzusetzen, den Vorrang
des Todes anderen zu überlassen. Und freigebig überläßt England die Todes¬
felder den anderen Partnern im Kriege. Alle Mitglieder der Koalition, die
gegen den Zweibund kämpfen, haben sich die Adern geöffnet. England hat
bisher nur den Geldbeutel geöffnet.

Für jeden Soldaten bedeutet es eine psychische Katastrophe, in Gefangen¬
schaft zu geraten. Der plötzliche Übergang aus dem Stand der Bewaffneten,
aus dem Stand, der im Besitz der todsäenden Macht ist, in den Stand des
hilflosen Opfers, das an die fremde Waffe gefesselt ist, erschüttert auch die be¬
harrlichste Seele. Für den Engländer aber bedeutet die Gefangenschaft nur
eine Station der Entwicklung. Als er sich anwerben ließ und in den Krieg
zog, hatte er mit dem Vaterland seinen Kontrakt gemacht, in dem alle Mög¬
lichkeiten des Schicksals unter entsprechenden Paragraphen vorgesehen sind.
Wenn ihn die Gefangenschaft getroffen hat, tritt der bestimmte Parapraph des
Kontraktes ins Leben, so wie ein anderer Paragraph in Wirksamkeit träte und
die Existenz seiner Familie sicherte für den Fall, daß er zum Krüppel würde
oder den Tod erlitte. So kommt der Engländer ins Gefangenenlager wie auf
einen Posten. Man kann nicht sagen, daß er in der Gefangenschaft leidet
oder daß er überhaupt an der Gefangenschaft trägt; man könnte eher sagen,
der Engländer erledige die Gefangenschaft so, wie man jedes andere Geschäft
(Busineß) erledigt. Das Vaterland versieht ihn mit allen notwendigen Dingen,
es versteht ihn reichlich und getreulich. Er erhält seine monatliche Penston für
laufende Ausgaben, er erhält Provision, Kleidung und Modeartikel. Von
allem hat er genug. Von gewissen Dingen hat er Überfluß. Die verkauft er
feinen Mitgefangenen zu festen Preisen wie in einem Londoner Magazin. Und
so kann manchmal im deutschen Lager der Gefangene, wenn er Geld hat, sich
das erlauben, was eine kleine Warschauer Eitelkeit ist: er kann ein englisches
Kostüm erwerben nach dem Schnitt der neuesten Mode. Von dem Tage
der Hilflosigkeit an, wo er aus dem Schlachtgetümmel herausgerissen in die
Gewalt des mächtigen Feindes geriet, hört der Engländer auch nicht einen
Tag auf, die Fürsorge seines Vaterlandes an sich zu empfinden. Er fühlt,
daß er ein Vaterland hat.


Deutschland und die Koalition

land nicht eine heilige Sache, in dem es sein eigenes Blut vergießt zur Ver¬
teidigung seiner Sicherheit und Größe. Der Krieg ist in seinen Augen
ein Unternehmen, in das sich der Staat eingelassen hat. Ein Unter¬
nehmen, nicht schlechter und nicht besser als viele andere industrielle Unter¬
nehmungen — besser, je nachdem es sich finanziell bezahlt macht. Wenn der
Durchstich eines Tunnels von Europa nach Amerika größere Gewinne ver¬
spräche als der Krieg, so würde England statt des Kriegstrustes ein Tunnel-
Syndikat organisiert haben. Daß der Krieg Opfer an Menschenleben und
Gesundheit nach sich zieht, disqualifiziert das Geschäft nicht: denn jeder In¬
dustriezweig erfordert Opfer. Wieviel verschlingt beispielsweise der Bergbau!
Es handelt sich darum, die Zahl der eigenen Opfer herabzusetzen, den Vorrang
des Todes anderen zu überlassen. Und freigebig überläßt England die Todes¬
felder den anderen Partnern im Kriege. Alle Mitglieder der Koalition, die
gegen den Zweibund kämpfen, haben sich die Adern geöffnet. England hat
bisher nur den Geldbeutel geöffnet.

Für jeden Soldaten bedeutet es eine psychische Katastrophe, in Gefangen¬
schaft zu geraten. Der plötzliche Übergang aus dem Stand der Bewaffneten,
aus dem Stand, der im Besitz der todsäenden Macht ist, in den Stand des
hilflosen Opfers, das an die fremde Waffe gefesselt ist, erschüttert auch die be¬
harrlichste Seele. Für den Engländer aber bedeutet die Gefangenschaft nur
eine Station der Entwicklung. Als er sich anwerben ließ und in den Krieg
zog, hatte er mit dem Vaterland seinen Kontrakt gemacht, in dem alle Mög¬
lichkeiten des Schicksals unter entsprechenden Paragraphen vorgesehen sind.
Wenn ihn die Gefangenschaft getroffen hat, tritt der bestimmte Parapraph des
Kontraktes ins Leben, so wie ein anderer Paragraph in Wirksamkeit träte und
die Existenz seiner Familie sicherte für den Fall, daß er zum Krüppel würde
oder den Tod erlitte. So kommt der Engländer ins Gefangenenlager wie auf
einen Posten. Man kann nicht sagen, daß er in der Gefangenschaft leidet
oder daß er überhaupt an der Gefangenschaft trägt; man könnte eher sagen,
der Engländer erledige die Gefangenschaft so, wie man jedes andere Geschäft
(Busineß) erledigt. Das Vaterland versieht ihn mit allen notwendigen Dingen,
es versteht ihn reichlich und getreulich. Er erhält seine monatliche Penston für
laufende Ausgaben, er erhält Provision, Kleidung und Modeartikel. Von
allem hat er genug. Von gewissen Dingen hat er Überfluß. Die verkauft er
feinen Mitgefangenen zu festen Preisen wie in einem Londoner Magazin. Und
so kann manchmal im deutschen Lager der Gefangene, wenn er Geld hat, sich
das erlauben, was eine kleine Warschauer Eitelkeit ist: er kann ein englisches
Kostüm erwerben nach dem Schnitt der neuesten Mode. Von dem Tage
der Hilflosigkeit an, wo er aus dem Schlachtgetümmel herausgerissen in die
Gewalt des mächtigen Feindes geriet, hört der Engländer auch nicht einen
Tag auf, die Fürsorge seines Vaterlandes an sich zu empfinden. Er fühlt,
daß er ein Vaterland hat.


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[0016] Deutschland und die Koalition land nicht eine heilige Sache, in dem es sein eigenes Blut vergießt zur Ver¬ teidigung seiner Sicherheit und Größe. Der Krieg ist in seinen Augen ein Unternehmen, in das sich der Staat eingelassen hat. Ein Unter¬ nehmen, nicht schlechter und nicht besser als viele andere industrielle Unter¬ nehmungen — besser, je nachdem es sich finanziell bezahlt macht. Wenn der Durchstich eines Tunnels von Europa nach Amerika größere Gewinne ver¬ spräche als der Krieg, so würde England statt des Kriegstrustes ein Tunnel- Syndikat organisiert haben. Daß der Krieg Opfer an Menschenleben und Gesundheit nach sich zieht, disqualifiziert das Geschäft nicht: denn jeder In¬ dustriezweig erfordert Opfer. Wieviel verschlingt beispielsweise der Bergbau! Es handelt sich darum, die Zahl der eigenen Opfer herabzusetzen, den Vorrang des Todes anderen zu überlassen. Und freigebig überläßt England die Todes¬ felder den anderen Partnern im Kriege. Alle Mitglieder der Koalition, die gegen den Zweibund kämpfen, haben sich die Adern geöffnet. England hat bisher nur den Geldbeutel geöffnet. Für jeden Soldaten bedeutet es eine psychische Katastrophe, in Gefangen¬ schaft zu geraten. Der plötzliche Übergang aus dem Stand der Bewaffneten, aus dem Stand, der im Besitz der todsäenden Macht ist, in den Stand des hilflosen Opfers, das an die fremde Waffe gefesselt ist, erschüttert auch die be¬ harrlichste Seele. Für den Engländer aber bedeutet die Gefangenschaft nur eine Station der Entwicklung. Als er sich anwerben ließ und in den Krieg zog, hatte er mit dem Vaterland seinen Kontrakt gemacht, in dem alle Mög¬ lichkeiten des Schicksals unter entsprechenden Paragraphen vorgesehen sind. Wenn ihn die Gefangenschaft getroffen hat, tritt der bestimmte Parapraph des Kontraktes ins Leben, so wie ein anderer Paragraph in Wirksamkeit träte und die Existenz seiner Familie sicherte für den Fall, daß er zum Krüppel würde oder den Tod erlitte. So kommt der Engländer ins Gefangenenlager wie auf einen Posten. Man kann nicht sagen, daß er in der Gefangenschaft leidet oder daß er überhaupt an der Gefangenschaft trägt; man könnte eher sagen, der Engländer erledige die Gefangenschaft so, wie man jedes andere Geschäft (Busineß) erledigt. Das Vaterland versieht ihn mit allen notwendigen Dingen, es versteht ihn reichlich und getreulich. Er erhält seine monatliche Penston für laufende Ausgaben, er erhält Provision, Kleidung und Modeartikel. Von allem hat er genug. Von gewissen Dingen hat er Überfluß. Die verkauft er feinen Mitgefangenen zu festen Preisen wie in einem Londoner Magazin. Und so kann manchmal im deutschen Lager der Gefangene, wenn er Geld hat, sich das erlauben, was eine kleine Warschauer Eitelkeit ist: er kann ein englisches Kostüm erwerben nach dem Schnitt der neuesten Mode. Von dem Tage der Hilflosigkeit an, wo er aus dem Schlachtgetümmel herausgerissen in die Gewalt des mächtigen Feindes geriet, hört der Engländer auch nicht einen Tag auf, die Fürsorge seines Vaterlandes an sich zu empfinden. Er fühlt, daß er ein Vaterland hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/16>, abgerufen am 01.07.2024.