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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Englands Pakte mit Portugal

des Vorjahres, so dürfte es sich durch den Weltkrieg vielleicht zu der Ergänzung
bewogen fühlen, daß Dünkirchen auch nicht an die französische Republik aus¬
geliefert werden soll.

Übrigens hat England seine Verpflichtungen aus der "traditionellen Freund¬
schaft" niemals erfüllt. In einer Geheimklausel versprach König Karl der Zweite
von England als Gatte der Infantin Katharina von Portugal: "aus Dank¬
barkeit für das große Heiratsgut alle Eroberungen und Kolonien der Krone
Portugal zu beschützen und zu verteidigen". Aber Ostindien ging verloren, ohne
daß ein englisches Hilfskorps erschien; das südamerikanische Kolonialreich Por¬
tugals ging in Trümmer trotz aller Versprechungen englischen Schutzes.

Zu Lissabon wurde im Jahre 1702 erneut ein englisch-portugiesisch¬
holländisches Bündnis geschlossen, das sich gegen Frankreich und Spanien
richtete. Bemerkenswert ist die Bestimmung, daß alle an die portugiesische Küste
entsandten Kriegsschiffe dem Befehle des Königs von Portugal zu unterstellen
seien. Die englischen Dreadnaughts müßten sich also bei einer etwaigen Be¬
nutzung portugiesischer Häfen dem Wortlaut des Bündnisses vom 16. Mai 1702
zufolge unter portugiesisches Kommando stellen, ein Bild, das man sich aller¬
dings nur schwer ausmalen kann und das wohl kaum Wirklichkeit werden dürste.

Und doch ist der letztgenannte in Wahrheit der modernste in der Reihe
der englisch-portugiesischen Bündnisverträge. Er und seine Vorgänger wurden
in der Folgezeit lediglich bestätigt. So in der eingangs erwähnten Depesche
des Lord Granville vom 19. Februar 1873; so auch in den jüngsten
offiziellen Verlautbarungen Englands während des Krieges.

Zum Schlüsse möchte ich noch -- wenn auch nur der Kuriosität halber --
eine englische Denkschrift vor der Vergessenheit bewahren, die zu Anfang 1913
von zwei bekannten Männern des englischen öffentlichen Lebens, nämlich dem
Vorsitzenden der Antisklavereigesellschaft und namhaften Afrikareisenden John
H. Harris und von Mr. I, Se. Loe Strachey, dem Herausgeber der englischen
konservativen Wochenschrift "spectator" gemeinsam verfaßt und an die Mit¬
glieder des Parlaments gerichtet wurde. Hierin wurde der Beweis geführt,
daß unter direkter Duldung, ja Begünstigung der portugiesischen Regierung
noch in der Gegenwart ein überaus lebhafter Sklavenhandel zwischen der
Portugiesischen Westküste Afrikas, Angola, und den portugiesischen Kakaoinseln
San Thoas und Principe im Busen von Guinea getrieben wird.

Die Denkschrift führte auch zu einer Anfrage im Unterhaus, die vom
Regierungstisch aus ablehnend beantwortet wurde. Indem so England ein
weites Herz gegenüber dem Sklavenhalterstaat Portugal bewies, konnte es
unangefochten von den kleinlichen moralischen Hemmungen der Herren Harris
und Se. Loe Strachey den Beitritt seines Vasallen zum Kampfe gegen
deutsches Hunnentum erzwingen unter Berufung auf jene "vielhundertjährige
traditionelle Vertrags- und Freundschaftsbande", deren Wert und Unwert wir
im Vorhergehenden kritisch beleuchtet haben.




Englands Pakte mit Portugal

des Vorjahres, so dürfte es sich durch den Weltkrieg vielleicht zu der Ergänzung
bewogen fühlen, daß Dünkirchen auch nicht an die französische Republik aus¬
geliefert werden soll.

Übrigens hat England seine Verpflichtungen aus der „traditionellen Freund¬
schaft" niemals erfüllt. In einer Geheimklausel versprach König Karl der Zweite
von England als Gatte der Infantin Katharina von Portugal: „aus Dank¬
barkeit für das große Heiratsgut alle Eroberungen und Kolonien der Krone
Portugal zu beschützen und zu verteidigen". Aber Ostindien ging verloren, ohne
daß ein englisches Hilfskorps erschien; das südamerikanische Kolonialreich Por¬
tugals ging in Trümmer trotz aller Versprechungen englischen Schutzes.

Zu Lissabon wurde im Jahre 1702 erneut ein englisch-portugiesisch¬
holländisches Bündnis geschlossen, das sich gegen Frankreich und Spanien
richtete. Bemerkenswert ist die Bestimmung, daß alle an die portugiesische Küste
entsandten Kriegsschiffe dem Befehle des Königs von Portugal zu unterstellen
seien. Die englischen Dreadnaughts müßten sich also bei einer etwaigen Be¬
nutzung portugiesischer Häfen dem Wortlaut des Bündnisses vom 16. Mai 1702
zufolge unter portugiesisches Kommando stellen, ein Bild, das man sich aller¬
dings nur schwer ausmalen kann und das wohl kaum Wirklichkeit werden dürste.

Und doch ist der letztgenannte in Wahrheit der modernste in der Reihe
der englisch-portugiesischen Bündnisverträge. Er und seine Vorgänger wurden
in der Folgezeit lediglich bestätigt. So in der eingangs erwähnten Depesche
des Lord Granville vom 19. Februar 1873; so auch in den jüngsten
offiziellen Verlautbarungen Englands während des Krieges.

Zum Schlüsse möchte ich noch — wenn auch nur der Kuriosität halber —
eine englische Denkschrift vor der Vergessenheit bewahren, die zu Anfang 1913
von zwei bekannten Männern des englischen öffentlichen Lebens, nämlich dem
Vorsitzenden der Antisklavereigesellschaft und namhaften Afrikareisenden John
H. Harris und von Mr. I, Se. Loe Strachey, dem Herausgeber der englischen
konservativen Wochenschrift „spectator" gemeinsam verfaßt und an die Mit¬
glieder des Parlaments gerichtet wurde. Hierin wurde der Beweis geführt,
daß unter direkter Duldung, ja Begünstigung der portugiesischen Regierung
noch in der Gegenwart ein überaus lebhafter Sklavenhandel zwischen der
Portugiesischen Westküste Afrikas, Angola, und den portugiesischen Kakaoinseln
San Thoas und Principe im Busen von Guinea getrieben wird.

Die Denkschrift führte auch zu einer Anfrage im Unterhaus, die vom
Regierungstisch aus ablehnend beantwortet wurde. Indem so England ein
weites Herz gegenüber dem Sklavenhalterstaat Portugal bewies, konnte es
unangefochten von den kleinlichen moralischen Hemmungen der Herren Harris
und Se. Loe Strachey den Beitritt seines Vasallen zum Kampfe gegen
deutsches Hunnentum erzwingen unter Berufung auf jene „vielhundertjährige
traditionelle Vertrags- und Freundschaftsbande", deren Wert und Unwert wir
im Vorhergehenden kritisch beleuchtet haben.




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[0098] Englands Pakte mit Portugal des Vorjahres, so dürfte es sich durch den Weltkrieg vielleicht zu der Ergänzung bewogen fühlen, daß Dünkirchen auch nicht an die französische Republik aus¬ geliefert werden soll. Übrigens hat England seine Verpflichtungen aus der „traditionellen Freund¬ schaft" niemals erfüllt. In einer Geheimklausel versprach König Karl der Zweite von England als Gatte der Infantin Katharina von Portugal: „aus Dank¬ barkeit für das große Heiratsgut alle Eroberungen und Kolonien der Krone Portugal zu beschützen und zu verteidigen". Aber Ostindien ging verloren, ohne daß ein englisches Hilfskorps erschien; das südamerikanische Kolonialreich Por¬ tugals ging in Trümmer trotz aller Versprechungen englischen Schutzes. Zu Lissabon wurde im Jahre 1702 erneut ein englisch-portugiesisch¬ holländisches Bündnis geschlossen, das sich gegen Frankreich und Spanien richtete. Bemerkenswert ist die Bestimmung, daß alle an die portugiesische Küste entsandten Kriegsschiffe dem Befehle des Königs von Portugal zu unterstellen seien. Die englischen Dreadnaughts müßten sich also bei einer etwaigen Be¬ nutzung portugiesischer Häfen dem Wortlaut des Bündnisses vom 16. Mai 1702 zufolge unter portugiesisches Kommando stellen, ein Bild, das man sich aller¬ dings nur schwer ausmalen kann und das wohl kaum Wirklichkeit werden dürste. Und doch ist der letztgenannte in Wahrheit der modernste in der Reihe der englisch-portugiesischen Bündnisverträge. Er und seine Vorgänger wurden in der Folgezeit lediglich bestätigt. So in der eingangs erwähnten Depesche des Lord Granville vom 19. Februar 1873; so auch in den jüngsten offiziellen Verlautbarungen Englands während des Krieges. Zum Schlüsse möchte ich noch — wenn auch nur der Kuriosität halber — eine englische Denkschrift vor der Vergessenheit bewahren, die zu Anfang 1913 von zwei bekannten Männern des englischen öffentlichen Lebens, nämlich dem Vorsitzenden der Antisklavereigesellschaft und namhaften Afrikareisenden John H. Harris und von Mr. I, Se. Loe Strachey, dem Herausgeber der englischen konservativen Wochenschrift „spectator" gemeinsam verfaßt und an die Mit¬ glieder des Parlaments gerichtet wurde. Hierin wurde der Beweis geführt, daß unter direkter Duldung, ja Begünstigung der portugiesischen Regierung noch in der Gegenwart ein überaus lebhafter Sklavenhandel zwischen der Portugiesischen Westküste Afrikas, Angola, und den portugiesischen Kakaoinseln San Thoas und Principe im Busen von Guinea getrieben wird. Die Denkschrift führte auch zu einer Anfrage im Unterhaus, die vom Regierungstisch aus ablehnend beantwortet wurde. Indem so England ein weites Herz gegenüber dem Sklavenhalterstaat Portugal bewies, konnte es unangefochten von den kleinlichen moralischen Hemmungen der Herren Harris und Se. Loe Strachey den Beitritt seines Vasallen zum Kampfe gegen deutsches Hunnentum erzwingen unter Berufung auf jene „vielhundertjährige traditionelle Vertrags- und Freundschaftsbande", deren Wert und Unwert wir im Vorhergehenden kritisch beleuchtet haben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/98>, abgerufen am 27.07.2024.