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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Englands Pakte mit Portugal

Den Grundstein des englisch-portugiesischen Freundschaftsverhältnisses bildet
der Londoner Vertrag vom 16. Juni 1373, worin sich Eduard, König von
England, und Ferdinand von Portugal und Algarve für ihre Person und für
ihre beiderseitigen Nachfolger zusicherten: "gegenseitig Freunde ihrer Freunde und
Feinde ihrerFeinde" seinzu wollen. DreizehnJahre später wurde die Freundschafts¬
beteuerung in einem am 9. Mai 1386 zu Windsor geschlossenen Vertrag erneuert.

Eine kritische Abwertung dieser beiden grundlegenden Pakte des anglo-
portugiesischen Einvernehmens wird dahingehen, daß die beiden Völker an der
Schließung der Verträge keinen Anteil hatten. Es waren Freundschafts¬
versicherungen mehr persönlicher Art zwischen den beiden Herrscherhäusern.
Zudem waren diese Zustcherungen höchst allgemein und nichtssagend gehalten.
Daher mußte, als sich drei Jahrhunderte später aus der politischen Konstellation
ein Annäherungsbedürfnis zwischen England und Portugal ergab, dem "Bündnis"
durch ergänzende und auslegende Verträge erst einmal ein Inhalt und eine
bestimmtere Form gegeben werden.

Hieraus ergibt sich die zweite Vertragsserie, die die im Zeitabschnitt 1642
bis 1702 geschlossenen Verträge unispannt. Die beiden ersten dieser Verträge
wurden am 29. Januar 1642 und am 20. Juli 1654 abgeschlossen. Beide
weisen auf die ersten grundlegenden englisch-portugiesischen Freundschaftskontrakte
zurück. Inhaltlich bieten also auch sie wenig, was zur heutigen Stunde
bemerkenswert wäre. Charakteristisch ist aber, daß nunmehr das vor drei
Jahrhunderten noch rein dynastische Moment von dem Interesse des Staates
abgelöst worden ist. Am 20. Juli 1654 war auf englischer Seite Cromwell
Vertragsgerent. Der Lord-Protektor zeichnete natürlich nicht wie einst Eduard
im eigenen Interesse, sondern im Namen der damaligen englischen Republik.

Die ersten genau präzistcrten Abmachungen datieren vom 28. April 1660.
Zu Whitehall berieten und einigten sich damals das englische "Lommon ^VealtK"
und der "König von Portugal, Afrika und Indien". Tempora mutantur!
Heute fährt eine sehr zusammengeschrumpfte portugiesische Republik im Schlepptau
eines englischen Königreiches. Aber nicht nur die Regierungsform wurde von
beiden Staaten im Wandel der Zeiten ausgetauscht. Auch inhaltlich sind die
damaligen Vertragsbedingungen durch die Lage beider Länder im jetzigen
Weltkrieg geradezu auf den Kopf gestellt worden. Denn damals erhielt zu
Whitehall der portugiesische König das Recht zugesprochen, "je 4000 Soldaten
in England, Schottland und Irland anzuwerben und 24 Schiffe zu Kriegs¬
zwecken zu heuern". Eine seltsame Ironie will es, daß heute auf Grund auch
dieses niemals aufgehobenen und daher formell noch jetzt zu Recht bestehenden
Vertrages nicht Portugal von England, sondern England von Portugal die
Charterung von in portugiesischen Häfen liegenden Schiffen verlangt hat!

Im Jahre 1661 versprach England seinem lusitanischen Verbündeten
feierlich, weder Jamaika noch Dünkirchen an den König von Kastilien aus¬
zuliefern. Wenn England diesen Vertrag ebenso selbstwillig auslegt wie den


Englands Pakte mit Portugal

Den Grundstein des englisch-portugiesischen Freundschaftsverhältnisses bildet
der Londoner Vertrag vom 16. Juni 1373, worin sich Eduard, König von
England, und Ferdinand von Portugal und Algarve für ihre Person und für
ihre beiderseitigen Nachfolger zusicherten: „gegenseitig Freunde ihrer Freunde und
Feinde ihrerFeinde" seinzu wollen. DreizehnJahre später wurde die Freundschafts¬
beteuerung in einem am 9. Mai 1386 zu Windsor geschlossenen Vertrag erneuert.

Eine kritische Abwertung dieser beiden grundlegenden Pakte des anglo-
portugiesischen Einvernehmens wird dahingehen, daß die beiden Völker an der
Schließung der Verträge keinen Anteil hatten. Es waren Freundschafts¬
versicherungen mehr persönlicher Art zwischen den beiden Herrscherhäusern.
Zudem waren diese Zustcherungen höchst allgemein und nichtssagend gehalten.
Daher mußte, als sich drei Jahrhunderte später aus der politischen Konstellation
ein Annäherungsbedürfnis zwischen England und Portugal ergab, dem „Bündnis"
durch ergänzende und auslegende Verträge erst einmal ein Inhalt und eine
bestimmtere Form gegeben werden.

Hieraus ergibt sich die zweite Vertragsserie, die die im Zeitabschnitt 1642
bis 1702 geschlossenen Verträge unispannt. Die beiden ersten dieser Verträge
wurden am 29. Januar 1642 und am 20. Juli 1654 abgeschlossen. Beide
weisen auf die ersten grundlegenden englisch-portugiesischen Freundschaftskontrakte
zurück. Inhaltlich bieten also auch sie wenig, was zur heutigen Stunde
bemerkenswert wäre. Charakteristisch ist aber, daß nunmehr das vor drei
Jahrhunderten noch rein dynastische Moment von dem Interesse des Staates
abgelöst worden ist. Am 20. Juli 1654 war auf englischer Seite Cromwell
Vertragsgerent. Der Lord-Protektor zeichnete natürlich nicht wie einst Eduard
im eigenen Interesse, sondern im Namen der damaligen englischen Republik.

Die ersten genau präzistcrten Abmachungen datieren vom 28. April 1660.
Zu Whitehall berieten und einigten sich damals das englische „Lommon ^VealtK"
und der „König von Portugal, Afrika und Indien". Tempora mutantur!
Heute fährt eine sehr zusammengeschrumpfte portugiesische Republik im Schlepptau
eines englischen Königreiches. Aber nicht nur die Regierungsform wurde von
beiden Staaten im Wandel der Zeiten ausgetauscht. Auch inhaltlich sind die
damaligen Vertragsbedingungen durch die Lage beider Länder im jetzigen
Weltkrieg geradezu auf den Kopf gestellt worden. Denn damals erhielt zu
Whitehall der portugiesische König das Recht zugesprochen, „je 4000 Soldaten
in England, Schottland und Irland anzuwerben und 24 Schiffe zu Kriegs¬
zwecken zu heuern". Eine seltsame Ironie will es, daß heute auf Grund auch
dieses niemals aufgehobenen und daher formell noch jetzt zu Recht bestehenden
Vertrages nicht Portugal von England, sondern England von Portugal die
Charterung von in portugiesischen Häfen liegenden Schiffen verlangt hat!

Im Jahre 1661 versprach England seinem lusitanischen Verbündeten
feierlich, weder Jamaika noch Dünkirchen an den König von Kastilien aus¬
zuliefern. Wenn England diesen Vertrag ebenso selbstwillig auslegt wie den


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[0097] Englands Pakte mit Portugal Den Grundstein des englisch-portugiesischen Freundschaftsverhältnisses bildet der Londoner Vertrag vom 16. Juni 1373, worin sich Eduard, König von England, und Ferdinand von Portugal und Algarve für ihre Person und für ihre beiderseitigen Nachfolger zusicherten: „gegenseitig Freunde ihrer Freunde und Feinde ihrerFeinde" seinzu wollen. DreizehnJahre später wurde die Freundschafts¬ beteuerung in einem am 9. Mai 1386 zu Windsor geschlossenen Vertrag erneuert. Eine kritische Abwertung dieser beiden grundlegenden Pakte des anglo- portugiesischen Einvernehmens wird dahingehen, daß die beiden Völker an der Schließung der Verträge keinen Anteil hatten. Es waren Freundschafts¬ versicherungen mehr persönlicher Art zwischen den beiden Herrscherhäusern. Zudem waren diese Zustcherungen höchst allgemein und nichtssagend gehalten. Daher mußte, als sich drei Jahrhunderte später aus der politischen Konstellation ein Annäherungsbedürfnis zwischen England und Portugal ergab, dem „Bündnis" durch ergänzende und auslegende Verträge erst einmal ein Inhalt und eine bestimmtere Form gegeben werden. Hieraus ergibt sich die zweite Vertragsserie, die die im Zeitabschnitt 1642 bis 1702 geschlossenen Verträge unispannt. Die beiden ersten dieser Verträge wurden am 29. Januar 1642 und am 20. Juli 1654 abgeschlossen. Beide weisen auf die ersten grundlegenden englisch-portugiesischen Freundschaftskontrakte zurück. Inhaltlich bieten also auch sie wenig, was zur heutigen Stunde bemerkenswert wäre. Charakteristisch ist aber, daß nunmehr das vor drei Jahrhunderten noch rein dynastische Moment von dem Interesse des Staates abgelöst worden ist. Am 20. Juli 1654 war auf englischer Seite Cromwell Vertragsgerent. Der Lord-Protektor zeichnete natürlich nicht wie einst Eduard im eigenen Interesse, sondern im Namen der damaligen englischen Republik. Die ersten genau präzistcrten Abmachungen datieren vom 28. April 1660. Zu Whitehall berieten und einigten sich damals das englische „Lommon ^VealtK" und der „König von Portugal, Afrika und Indien". Tempora mutantur! Heute fährt eine sehr zusammengeschrumpfte portugiesische Republik im Schlepptau eines englischen Königreiches. Aber nicht nur die Regierungsform wurde von beiden Staaten im Wandel der Zeiten ausgetauscht. Auch inhaltlich sind die damaligen Vertragsbedingungen durch die Lage beider Länder im jetzigen Weltkrieg geradezu auf den Kopf gestellt worden. Denn damals erhielt zu Whitehall der portugiesische König das Recht zugesprochen, „je 4000 Soldaten in England, Schottland und Irland anzuwerben und 24 Schiffe zu Kriegs¬ zwecken zu heuern". Eine seltsame Ironie will es, daß heute auf Grund auch dieses niemals aufgehobenen und daher formell noch jetzt zu Recht bestehenden Vertrages nicht Portugal von England, sondern England von Portugal die Charterung von in portugiesischen Häfen liegenden Schiffen verlangt hat! Im Jahre 1661 versprach England seinem lusitanischen Verbündeten feierlich, weder Jamaika noch Dünkirchen an den König von Kastilien aus¬ zuliefern. Wenn England diesen Vertrag ebenso selbstwillig auslegt wie den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/97>, abgerufen am 22.12.2024.