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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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übergegriffen hat. Der protestantische Geist, von dem Deutschland beherrscht
wird, ist nun auch verantwortlich für das "Potsdamer System", für die
"brutale Angriffslust" und sür die "hunnische Kriegführung" der Deutschen.
Nietzsche, Treuschke und Bernhardi, die Autoritäten des deutschen Militarismus,
sind die geistigen Nachkommen Luthers, des Schöpfers des protestantischen, daher
unchristlichen Staatsbegriffs. Ein Kampf gegen das ihren Ideen verfallene
Preußen -- die Süddeutschen machen ja nur mehr oder weniger widerwillig
mit -- ist also auch ein Kampf gegen den kirchen-, im letzten Grunde christen¬
tumsfeindlichen Protestantismus. Wie englische Sekten wohl früher manchmal
Deutschland als Missions gebiet betrachteten, weil deutsches Christentum ihrer
lauten exaltierten Frömmigkeit nicht entsprach, so stellen Anglokatholiken jetzt
oft Deutschland als ein in skandinavisches Heidentum zurückgefallenes Land dar.
Man tut so, als ob der Wodanskult einiger Überdeutscher die Religion der
herrschenden Klasse geworden und tief in das geistige Leben des deutschen Volkes
eingedrungen sei. So schreibt das Hauptorgan der Anglokatholiken, die "Church
Times", in einem Leitartikel vom 15. Mai 1915: ,.Deutschland war in Europa
das Land, das am spätesten christianisiert wurde, und die Bekehrung geschah
stellenweise so oberflächlich, daß das Christentum vor einem verfeinerten
Heidentum wieder zu verschwinden droht. Größer als die Mauern des
neuen Jerusalems sind die Mauern Asgards und Walhallas, größer
als die Kinder Gottes die Kinder Odins, der größer ist als Jehovah.
So wird Deutschland wahrscheinlich zu allerletzt in Europa in vollem
Sinne zivilisiert werden. Kein zivilisierender Einfluß konnte es in den letzten
Jahren von außen erreichen, denn die Deutschen waren auf dem Standpunkt
höchster Verachtung für alles Nichtdeutsche angelangt. Sie sind überzeugt, daß
sie und sie ganz allein schon die Zivilisation besitzen, soweit sie überhaupt der
Rede wert ist, und daß es ihr Beruf ist, diese ihre Zivilisation der Welt mit der
SchärfedesSchwertesaufzuzwingen." Esistdarum eineFügung, daß England gerade
mit katholischen Mächten im Bunde steht und den Kampf gegen das teutonische
Heidentum sührt, eine Fügung, für die man Gott dankbar sein muß und die
verheißungsvolle Ausblicke in die Zukunft eröffnet. Der Bund gegen Deutsch¬
land ist eine heilige Allianz.

Als die ersten Berichte über die "belgischen Greuel" bekannt wurden, schrieb
ein Anglokatholik in den "Church Times": "Fünf Nationen sind im Kriege, weil sie
sich zur Botschaft des Kreuzes bekennen. Daß Wahrheit und Treue, Barmherzigkeit und
Liebe, die selbst die Greuel desKrieges lindern, das höchste Gesetz sind: das ist dieJn-
schrift, die diese fünf Nationen auf ihr Banner geschrieben haben. Zwei Völker haben
für ein anderes Bekenntnis zu den Waffen gegriffen, nämlich: daß Macht Recht ist,
daß Selbsthingabe und Selbstverleugnung Sklaventugenden sind .... Das
Wort Christi, das Ideal des Kreuzes wird verachtet, zur Seite gestoßen, verletzt
durch eine Militärmacht, die sich an der Lehre eines Philosophen nährte, der
im Irrenhause starb und sich selbst zum Gott erklärte. -- O. heute ein Eng-


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übergegriffen hat. Der protestantische Geist, von dem Deutschland beherrscht
wird, ist nun auch verantwortlich für das „Potsdamer System", für die
„brutale Angriffslust" und sür die „hunnische Kriegführung" der Deutschen.
Nietzsche, Treuschke und Bernhardi, die Autoritäten des deutschen Militarismus,
sind die geistigen Nachkommen Luthers, des Schöpfers des protestantischen, daher
unchristlichen Staatsbegriffs. Ein Kampf gegen das ihren Ideen verfallene
Preußen — die Süddeutschen machen ja nur mehr oder weniger widerwillig
mit — ist also auch ein Kampf gegen den kirchen-, im letzten Grunde christen¬
tumsfeindlichen Protestantismus. Wie englische Sekten wohl früher manchmal
Deutschland als Missions gebiet betrachteten, weil deutsches Christentum ihrer
lauten exaltierten Frömmigkeit nicht entsprach, so stellen Anglokatholiken jetzt
oft Deutschland als ein in skandinavisches Heidentum zurückgefallenes Land dar.
Man tut so, als ob der Wodanskult einiger Überdeutscher die Religion der
herrschenden Klasse geworden und tief in das geistige Leben des deutschen Volkes
eingedrungen sei. So schreibt das Hauptorgan der Anglokatholiken, die „Church
Times", in einem Leitartikel vom 15. Mai 1915: ,.Deutschland war in Europa
das Land, das am spätesten christianisiert wurde, und die Bekehrung geschah
stellenweise so oberflächlich, daß das Christentum vor einem verfeinerten
Heidentum wieder zu verschwinden droht. Größer als die Mauern des
neuen Jerusalems sind die Mauern Asgards und Walhallas, größer
als die Kinder Gottes die Kinder Odins, der größer ist als Jehovah.
So wird Deutschland wahrscheinlich zu allerletzt in Europa in vollem
Sinne zivilisiert werden. Kein zivilisierender Einfluß konnte es in den letzten
Jahren von außen erreichen, denn die Deutschen waren auf dem Standpunkt
höchster Verachtung für alles Nichtdeutsche angelangt. Sie sind überzeugt, daß
sie und sie ganz allein schon die Zivilisation besitzen, soweit sie überhaupt der
Rede wert ist, und daß es ihr Beruf ist, diese ihre Zivilisation der Welt mit der
SchärfedesSchwertesaufzuzwingen." Esistdarum eineFügung, daß England gerade
mit katholischen Mächten im Bunde steht und den Kampf gegen das teutonische
Heidentum sührt, eine Fügung, für die man Gott dankbar sein muß und die
verheißungsvolle Ausblicke in die Zukunft eröffnet. Der Bund gegen Deutsch¬
land ist eine heilige Allianz.

Als die ersten Berichte über die „belgischen Greuel" bekannt wurden, schrieb
ein Anglokatholik in den „Church Times": „Fünf Nationen sind im Kriege, weil sie
sich zur Botschaft des Kreuzes bekennen. Daß Wahrheit und Treue, Barmherzigkeit und
Liebe, die selbst die Greuel desKrieges lindern, das höchste Gesetz sind: das ist dieJn-
schrift, die diese fünf Nationen auf ihr Banner geschrieben haben. Zwei Völker haben
für ein anderes Bekenntnis zu den Waffen gegriffen, nämlich: daß Macht Recht ist,
daß Selbsthingabe und Selbstverleugnung Sklaventugenden sind .... Das
Wort Christi, das Ideal des Kreuzes wird verachtet, zur Seite gestoßen, verletzt
durch eine Militärmacht, die sich an der Lehre eines Philosophen nährte, der
im Irrenhause starb und sich selbst zum Gott erklärte. — O. heute ein Eng-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/47>, abgerufen am 01.09.2024.