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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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dem eigentümlichen Ursprung und Gang der englischen Reformation hat ja die
in ihrer Lehre zweifellos evangelisch-reformierte englische Kirche in Kultus und
Verfassung manche katholische Reste beibehalten. In folgerechter Weiterentwicklung
der durch die Oxforder Bewegung (seit 1333) gegebenen Anregungen bemühen
sich die Anglokatholiken, diese Reste so auszugestalten und aufzuputzen, daß sie
der Kirche ein durchaus katholisches Gepräge geben. Es würde zu weit führen,
im einzelnen nachzuweisen, mit welchen Mitteln und Künsten das gemacht wird.
Den Weg hat schon der später römisch gewordene Newman, einer der Führer
der Oxforder Bewegung, in seinem berüchtigten neunzigsten Traktat angegeben,
in dem er dem grundlegenden Bekenntnis der englischen Kirche, den neununddreißig
Artikeln, in der gewaltsamsten und spitzfindigsten Weise eine katholische Deutung auf¬
zwang. Seitdem ist die Kunst, ihre Kirche von allem protestantischen Sauerteig
zu reinigen und sie als eine echt katholische zu erweisen, von den Anglokatholiken
immer mehr ausgebildet worden.

Von hier aus erklärt es sich nun, daß die Anglokatholiken gegenwärtig
zu den entschiedensten Deutschfeinden gehören. Bekanntlich wurden die ehemaligen
deutsch-englischen Verständigungsbestrebungen in beiden Ländern auch von kirch¬
licher Seite unterstützt. Auch anglikanische Kirchenmänner haben sich daran
beteiligt; aber man darf jetzt wohl mit Recht bezweifeln, ob es den anglo-
katholisch Gesinnten unter ihnen recht ernst damit war. Protestantisch gesinnte
Freikirchler waren es besonders, die noch in letzter Stunde den Versuch machten,
England neutral zu halten, auch wenn die belgische Neutralität verletzt werden
sollte. Ihnen -- und gewiß auch manchen evangelisch gerichteten Staats-
kirchlern -- war ein Zusammengehen mit dem atheistischen Frankreich und dem
jede evangelische Regung brutal unterdrückenden Moskowitertum gegen das
Stamm- und glaubensverwandte Deutschland ein ungeheuerlicher Gedanke. Gatten
doch in England bisher die Russen vielfach als halbe Heiden; es soll ein
englisches Missionslied geben, in dem um ihre Bekehrung gebetet wird. Auch
diese Kreise haben jetzt freilich umgelernt. Man hat es erlebt, daß hervor"
ragende Freikirchler öffentlich Abbitte taten für ihre frühere Verkennung und
Mißachtung des "kindlich frommen und wahrhaft duldsamer Rußland", und
daß sie die Menschenfreundlichkeit der Kosaken im Gegensatz zu den deutschen
Barbaren rühmten. Die Anglokatholiken aber hatten nichts zu bedauern und
zurückzunehmen. Ihnen war der Krieg gegen Deutschland auch von ihrem
kirchlichen und religiösen Standpunkt aus willkommen. Von Sympathien mit
Deutschland konnte bei ihnen keine Rede sein. Wie es heute in England vielfach
zum guten Ton gehört, die Stammesverwandtschaft zu leugnen und sich auf
das romanische Blut zu berufen, das das germanische weit überwiege, so
wird von den Anglokatholiken jede religiöse Verwandtschaft mit Deutschland
abgewiesen, ähnlich wie einst den Buren gegenüber. Denn Deutschland ist
ja das Mutterland der Reformation, in der sie nach ihrem Kirchenideal
nur eine unheilvolle Bewegung sehen können, die leider auch nach England


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dem eigentümlichen Ursprung und Gang der englischen Reformation hat ja die
in ihrer Lehre zweifellos evangelisch-reformierte englische Kirche in Kultus und
Verfassung manche katholische Reste beibehalten. In folgerechter Weiterentwicklung
der durch die Oxforder Bewegung (seit 1333) gegebenen Anregungen bemühen
sich die Anglokatholiken, diese Reste so auszugestalten und aufzuputzen, daß sie
der Kirche ein durchaus katholisches Gepräge geben. Es würde zu weit führen,
im einzelnen nachzuweisen, mit welchen Mitteln und Künsten das gemacht wird.
Den Weg hat schon der später römisch gewordene Newman, einer der Führer
der Oxforder Bewegung, in seinem berüchtigten neunzigsten Traktat angegeben,
in dem er dem grundlegenden Bekenntnis der englischen Kirche, den neununddreißig
Artikeln, in der gewaltsamsten und spitzfindigsten Weise eine katholische Deutung auf¬
zwang. Seitdem ist die Kunst, ihre Kirche von allem protestantischen Sauerteig
zu reinigen und sie als eine echt katholische zu erweisen, von den Anglokatholiken
immer mehr ausgebildet worden.

Von hier aus erklärt es sich nun, daß die Anglokatholiken gegenwärtig
zu den entschiedensten Deutschfeinden gehören. Bekanntlich wurden die ehemaligen
deutsch-englischen Verständigungsbestrebungen in beiden Ländern auch von kirch¬
licher Seite unterstützt. Auch anglikanische Kirchenmänner haben sich daran
beteiligt; aber man darf jetzt wohl mit Recht bezweifeln, ob es den anglo-
katholisch Gesinnten unter ihnen recht ernst damit war. Protestantisch gesinnte
Freikirchler waren es besonders, die noch in letzter Stunde den Versuch machten,
England neutral zu halten, auch wenn die belgische Neutralität verletzt werden
sollte. Ihnen — und gewiß auch manchen evangelisch gerichteten Staats-
kirchlern — war ein Zusammengehen mit dem atheistischen Frankreich und dem
jede evangelische Regung brutal unterdrückenden Moskowitertum gegen das
Stamm- und glaubensverwandte Deutschland ein ungeheuerlicher Gedanke. Gatten
doch in England bisher die Russen vielfach als halbe Heiden; es soll ein
englisches Missionslied geben, in dem um ihre Bekehrung gebetet wird. Auch
diese Kreise haben jetzt freilich umgelernt. Man hat es erlebt, daß hervor»
ragende Freikirchler öffentlich Abbitte taten für ihre frühere Verkennung und
Mißachtung des „kindlich frommen und wahrhaft duldsamer Rußland", und
daß sie die Menschenfreundlichkeit der Kosaken im Gegensatz zu den deutschen
Barbaren rühmten. Die Anglokatholiken aber hatten nichts zu bedauern und
zurückzunehmen. Ihnen war der Krieg gegen Deutschland auch von ihrem
kirchlichen und religiösen Standpunkt aus willkommen. Von Sympathien mit
Deutschland konnte bei ihnen keine Rede sein. Wie es heute in England vielfach
zum guten Ton gehört, die Stammesverwandtschaft zu leugnen und sich auf
das romanische Blut zu berufen, das das germanische weit überwiege, so
wird von den Anglokatholiken jede religiöse Verwandtschaft mit Deutschland
abgewiesen, ähnlich wie einst den Buren gegenüber. Denn Deutschland ist
ja das Mutterland der Reformation, in der sie nach ihrem Kirchenideal
nur eine unheilvolle Bewegung sehen können, die leider auch nach England


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/46>, abgerufen am 27.07.2024.