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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Leopold der Zweite als erster Vorkämpfer Mitteleuropas

naturgemäß fanden sich Rußland und Frankreich zu England; sie standen ihm
in Vorderasien nicht als Gegner gegenüber, deren Lebensinteressen dort auf
dem Spiele standen. Frankreich war befriedigt durch die Teilung: Westafrika
französisch, Ostafrika englisch und durch kleine Konzessionen in Syrien; Rußland
war durch Entgegenkommen in Persien zu gewinnen. Und die Entwicklung
nahm diesen Weg, nachdem England in Südafrika frei geworden war.

Es hat nicht an Versuchen gefehlt, den deutsch-englischen Interessengegensatz
auszugleichen; der ernsteste wurde 1912 unternommen. Nach den Ausführungen,
die Sir Harry Johnston am 24. Februar 1915 in der Royal Geographical
Society zu London gemacht hat, war England geneigt, Deutschland eine Art
zentralafrikanischen Besitzes zuzugestehen und seine besonderen Interessen in Klein¬
asien und Mesopotamien anzuerkennen, wenn Deutschland Metz und das französisch
sprechende Lothringen an Frankreich abtreten wollte. England sollte dafür die
Anwartschaft auf Arabien und Südpersien erhalten. Die Versuche scheiterten,
und es kam der Krieg.

Der Weltkrieg hat bewiesen, wie richtig Leopold der Zweite schon 1897
die große Gefahr erkannt hat, die Mittel- und Südosteuropa von der englischen
Festsetzung in Ägypten drohte. Sie erst erlaubte die Hineinpressung Italiens
in den Dreiverband ganz gegen sein Interesse und die Vergewaltigung Griechen¬
lands. Man denke sich Ägypten noch türkisch und male sich die Folgen für
Britisch-Ostafrika, für Nigeria und Französisch-Äquatorialafrika aus. Und
andererseits: wenn die englische Herrschaft in Ägypten schon Griechenland und
Italien England ausliefert, welches würden erst die Folgen sein, wenn auch
Vorderasien in die Hand der Briten fiele?




Leopold der Zweite als erster Vorkämpfer Mitteleuropas

naturgemäß fanden sich Rußland und Frankreich zu England; sie standen ihm
in Vorderasien nicht als Gegner gegenüber, deren Lebensinteressen dort auf
dem Spiele standen. Frankreich war befriedigt durch die Teilung: Westafrika
französisch, Ostafrika englisch und durch kleine Konzessionen in Syrien; Rußland
war durch Entgegenkommen in Persien zu gewinnen. Und die Entwicklung
nahm diesen Weg, nachdem England in Südafrika frei geworden war.

Es hat nicht an Versuchen gefehlt, den deutsch-englischen Interessengegensatz
auszugleichen; der ernsteste wurde 1912 unternommen. Nach den Ausführungen,
die Sir Harry Johnston am 24. Februar 1915 in der Royal Geographical
Society zu London gemacht hat, war England geneigt, Deutschland eine Art
zentralafrikanischen Besitzes zuzugestehen und seine besonderen Interessen in Klein¬
asien und Mesopotamien anzuerkennen, wenn Deutschland Metz und das französisch
sprechende Lothringen an Frankreich abtreten wollte. England sollte dafür die
Anwartschaft auf Arabien und Südpersien erhalten. Die Versuche scheiterten,
und es kam der Krieg.

Der Weltkrieg hat bewiesen, wie richtig Leopold der Zweite schon 1897
die große Gefahr erkannt hat, die Mittel- und Südosteuropa von der englischen
Festsetzung in Ägypten drohte. Sie erst erlaubte die Hineinpressung Italiens
in den Dreiverband ganz gegen sein Interesse und die Vergewaltigung Griechen¬
lands. Man denke sich Ägypten noch türkisch und male sich die Folgen für
Britisch-Ostafrika, für Nigeria und Französisch-Äquatorialafrika aus. Und
andererseits: wenn die englische Herrschaft in Ägypten schon Griechenland und
Italien England ausliefert, welches würden erst die Folgen sein, wenn auch
Vorderasien in die Hand der Briten fiele?




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[0416] Leopold der Zweite als erster Vorkämpfer Mitteleuropas naturgemäß fanden sich Rußland und Frankreich zu England; sie standen ihm in Vorderasien nicht als Gegner gegenüber, deren Lebensinteressen dort auf dem Spiele standen. Frankreich war befriedigt durch die Teilung: Westafrika französisch, Ostafrika englisch und durch kleine Konzessionen in Syrien; Rußland war durch Entgegenkommen in Persien zu gewinnen. Und die Entwicklung nahm diesen Weg, nachdem England in Südafrika frei geworden war. Es hat nicht an Versuchen gefehlt, den deutsch-englischen Interessengegensatz auszugleichen; der ernsteste wurde 1912 unternommen. Nach den Ausführungen, die Sir Harry Johnston am 24. Februar 1915 in der Royal Geographical Society zu London gemacht hat, war England geneigt, Deutschland eine Art zentralafrikanischen Besitzes zuzugestehen und seine besonderen Interessen in Klein¬ asien und Mesopotamien anzuerkennen, wenn Deutschland Metz und das französisch sprechende Lothringen an Frankreich abtreten wollte. England sollte dafür die Anwartschaft auf Arabien und Südpersien erhalten. Die Versuche scheiterten, und es kam der Krieg. Der Weltkrieg hat bewiesen, wie richtig Leopold der Zweite schon 1897 die große Gefahr erkannt hat, die Mittel- und Südosteuropa von der englischen Festsetzung in Ägypten drohte. Sie erst erlaubte die Hineinpressung Italiens in den Dreiverband ganz gegen sein Interesse und die Vergewaltigung Griechen¬ lands. Man denke sich Ägypten noch türkisch und male sich die Folgen für Britisch-Ostafrika, für Nigeria und Französisch-Äquatorialafrika aus. Und andererseits: wenn die englische Herrschaft in Ägypten schon Griechenland und Italien England ausliefert, welches würden erst die Folgen sein, wenn auch Vorderasien in die Hand der Briten fiele?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/416>, abgerufen am 27.07.2024.